Schlagwort-Archive: Amerikanische Literatur

Die Welt in die Luft jagen.

Was kann Literatur? Was darf Literatur? Zwei Fragen, die nach der Lektüre der beiden aktuellen Romane von Cormac McCarthy unmittelbar auftauchen. Denn Der Passagier und Stella Maris sprengen den üblichen Rahmen zeitgenössischer Literatur, wie wir sie aus den heutigen Feuilletons und Bestsellerlisten kennen.

Ein Protagonist, dessen Schicksal es zu sein scheint, Flugzeugwracks zu entdecken, in denen sich noch die Leichen der Passagiere befinden. Eine junge, hochbegabte Frau, die seit Kindheitstagen weiß, dass sie anders ist als alle anderen. Sehr anders.

Nicht zu vergessen: Es sind Geschwister, die sich – im wahrsten Sinne des Wortes – unsterblich ineinander verliebt haben.

Und dann wäre da noch dieser Zwerg, der eine nicht unwichtige Rolle spielt. Meistens taucht er zusammen mit einer Showtruppe auf, die unter anderem Minstrel Shows aufführen. Ja, da sind die mit dem Black Facing.

Sagen wir´s so: Sowas würde heutzutage jeder Agent, jeder Lektor und jeder Verlag empört ablehnen. Außer, du bist Cormac McCarthy, der diesen Wahnsinn mit fast neunzig Jahren geschrieben hat. Wofür wir ihm nicht dankbar genug sein können.

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Unterwegs auf der Straße des Lebens.

„Ich glaube fest, dass der liebe Gott für jeden Einzelnen von uns einen Auftrag hat, einen Auftrag, der unsere Schwächen mit Nachsicht behandelt und unseren Kräften angepasst ist und der auf jeden persönlich zugeschnitten ist. Aber mit diesem Auftrag kommt Gott nicht unbedingt zu uns und präsentiert ihn wie einen Kuchen mit Zuckerguss.“ Es liegt also ganz an uns, dies herauszufinden oder zu schauen, was uns das Leben für Aufgaben gibt, um ebendiesen Lebenspfad zu folgen.

Um solche Schwächen, aber auch um Träume und Hoffnungen dreht sich das neue Buch von Amor Towles. „Lincoln Highway“ ist ein Schwergewicht und ich kann mir gut vorstellen, dass einige vor dem Umfang zurückschrecken. Sollte dies der Fall sein, dann bleibt bitte kurz.

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Freunde und andere Prüfungen.

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die ein sicher geglaubtes Leben aus dem Gleichgewicht bringen können. Bei »Unter Freunden« von Cynthia D’Aprix Sweeney ist es ein Ehering. Als Flora zum Schulabschluss ihrer Tochter ein Foto aus alten Tagen sucht, stößt sie in der Garage auf den Ring, den ihr Mann angeblich beim Schwimmen verloren haben soll. Nun liegt er versteckt in der Garage und blitzt ihr entgegen. Was hat das zu bedeuten?   

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Fantasiewelten verschenken.

© Illustration Kat Menschik / Galiani Berlin

So eingeschränkt wir in diesem Jahr auch waren, für uns Leser*innen gab es immer ein Schlupfloch – die Bücher! Unsere bibliophilen Freunde haben uns stets die Türen offen gehalten, schließlich kennt die Welt der Fantasie keine Grenzen. Dank vieler wunderbarer Bücher sind wir dem Alltag entflohen, haben außergewöhnliche Entdeckungen machen können und auch Hoffnung geschöpft. Nachdem Herr Klappentexter bereits seine Empfehlungen präsentiert hat, zeige ich euch heute eine geschenkfreudige Auswahl:

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Der Hundertjährige, der aus dem Sixpack stieg.

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Man stelle sich nur mal vor, Charles Bukowski wäre tatsächlich hundert Jahre alt geworden. Gut, wahrscheinlich würde er dann im Rollstuhl sitzen, und Linda müsste ihn zum Wettschalter auf der Pferderennbahn schieben. Auf das Jubiläum würde er mit einem Achselzucken reagieren und jedem unangekündigten Besucher eine eiskalte Bierdose entgegenschleudern. Ein lebendiger, hundertjähriger Bukowski wäre tatsächlich ein medizinisches Wunder, eine Fackel im Sturm des Gesundheitswahns, ein Sieg gegen den allgegenwärtigen Stumpfsinn.
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Optimismus in Zeiten des Virus.

Bild von Chickenonline auf Pixabay

Es gibt Bücher, bei deren Lektüre ganz viel mit einem passiert. „Die Optimisten“ von Rebecca Makkai ist so eines: Unzählige Gedanken und Gefühle krabbeln wie Ameisen durch Geist und Körper, während man atemlos und zutiefst berührt Seite um Seite umblättert. Eine wahrlich bewegende Geschichte. Beginnen wir mit einem nachdenklichen und gleichsam optimistisch stimmenden Zitat: »Optimisten wie wir haben schon etwas durchgemacht und stehen trotzdem jeden Tag auf, weil wir glauben, wir könnten verhindern, dass es noch einmal passiert. Oder wir tricksen uns einfach aus, um das zu glauben.« Aus diesen Zeilen spricht nichts weniger als ein unerschütterlicher, starker Überlebenswille. Und so einen Willen braucht, denke ich, jeder hin und wieder in Momenten, wo das Leben finster und bedrohlich erscheint. Weiterlesen

Von beeindruckender Größe: der beste Freund des Menschen.

Neulich, so schien es, hatte mich die Schreibblockade gepackt. Jegliche Lust am Rezensieren war mit dem steifen Wind über die Nordsee verflogen. Bis zu jenem Sonntag, an dem ich Der Freund von Sigrid Nunez aufschlug und anfing, darin zu lesen. Von Seite zu Seite spürte ich mehr, wie die leuchtende Kraft der Inspiration aus ihrer unfreiwilligen Pause zurückkam.

Bald hüpfte ich durch die Wohnung und versuchte, die Horde herumgaloppierenden Pferden in meinem Geist zu zähmen. Nun sitze ich am Computer, die Pferde haben sich mittlerweile beruhigt, zupfen gemächlich am Gras und blicken mich mitunter an. Als würden sie sagen: Los mach schon! Schreib, was du zu schreiben hast. Also tippe ich, erst vorsichtig und schließlich immer schneller, Sätze über ein Buch, dem ich sehr viel verdanke. Weiterlesen

Alles neu. Bis auf Weihnachten.

Alle Jahre wieder sieht bei uns in diesem Jahr nicht wie alle Jahre zuvor aus. Nicht umsonst war es in den vergangenen Wochen ein wenig ruhiger auf unserem Blog und auf Instagram – geradezu windstill. Aber nur online. Denn im wirklichen Leben sind wir genau dahin gegangen, wo stets eine frische Brise weht.

Aus verschiedenen Gründen haben wir uns gefragt, wo wir eigentlich wirklich leben wollen. Und so sind wir nach vielen Jahren in der Großstadt an die Nordsee gezogen. Hoher Norden, gut für Körper und Seele, mit vielen Orten der Stille.

Längst sind nicht alle Kartons ausgepackt, doch unsere Bücher haben wir bereits befreit und in die Regale gestellt. Dabei fielen uns ein paar Lieblinge des Jahres in die Hände, die wir euch nicht vorenthalten wollen. Vielleicht ist da draußen ja noch jemand, der eine Anregung fürs Weihnachtsfest gebrauchen kann. In diesem Jahr fassen wir uns jedoch etwas kürzer. Aber Liebe braucht ja bekanntlich nicht viele Worte.
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Das Leuchten der ersten Liebe.

»Siebzehnter Sommer« kann ohne Zweifel als Klassiker bezeichnet werden, ist es doch bereits 1942 erschienen. Ein durch und durch großartiges Buch – und das aus der Feder einer 17jährigen Autorin! Der Text liest sich immer noch so herrlich frisch und modern, als wäre er erst gestern geschrieben worden. Dieses kleine literarische Wunder habe ich einer äußerst engagierten Buchhändlerin zu verdanken: Anna Jeller hat ihr ganz persönliches Lieblingsbuch in ihrem eigenen Verlag Edition Anna Jeller neu übersetzen lassen und herausgebracht. Und so etwas Feines blieb der Klappentexterin natürlich nicht lange verborgen, schon gar nicht in meiner Funktion als Buchhändlern. Buchhändler haben ja feine Spürnasen und sind stets auf der Suche nach besonderen Entdeckungen. Haben wir erstmal einen Liebling unter den zahlreichen Büchern erspäht, wird daraus schnell eine mitreißende Welle. So erging es »Siebzehnter Sommer«, das jetzt als Taschenbuch erschienen ist. Weiterlesen

The Acid States: Ein amerikanischer Alptraum.

America the Beautiful! America the Land of the Free! Das weite Land, in dem angeblich jeder vom Tellerwäscher zum Millionär werden konnte, wenn er nur hart genug arbeiten würde, das Sehnsuchtsland von Auswanderern und Aussteigern, was ist nur aus dir geworden? Beunruhigende Nachrichten erreichen uns aus den Vereinigten Staaten, die einst Garant für Freiheit, Frieden und Wohlstand waren. Diese Vereinigten Staaten sind ein gespaltenes Land geworden, canyontiefe Risse ziehen sich durch die Gesellschaft. Beautiful? Millionen von Amerikanern sind fettleibig und die Natur wird weiterhin systematisch von Gas- und Ölkonzernen zerstört. Freiheit? Vielleicht mit der richtigen Hautfarbe und einem gut gefüllten Bankkonto. Frieden? In keinem Land kommen proportional mehr Menschen durch Schusswaffen ums Leben als zwischen New York und Los Angeles, zwischen Seattle und San Diego.
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