Benedict Wells über Einsamkeit.

BenedictWells_c_Bogenberger_autorenfotos© Bogenberger / autorenfotos

Ich freue mich heute über einen besonderen Gast, den ich bereits auf meinem Blog in einem Interview über Klassiker sowie mit einem Beitrag über Junge Literatur zu Besuch hatte. Also Vorhang auf für Benedict Wells! Jüngst ist sein neuer Roman »Vom Ende der Einsamkeit« beim Diogenes Verlag erschienen. Dieses erstaunliche und mitreißende Buch feiert kommenden Mittwoch, 2.03., seine Buchpremiere in der Backfabrik in Berlin. Die Klappentexterin verlost dazu zwei Freikarten. Was ihr dafür tun müsst, um bei der Verlosung teilzunehmen, erfahrt ihr am Ende des Interviews. Nun möchte ich den 1984 geborenen Autor zu Wort kommen lassen.

Klappentexterin: Beinah fünf Jahre sind seit dem Erscheinen von deinem letzten Roman »Fast genial« vergangen. Hast du die ganze Zeit an deinem neuen Buch gearbeitet oder auch andere Dinge unternommen?
Benedict Wells: Ich bin vor allem für dreieinhalb Jahre nach Barcelona gegangen, in eine WG. Das war mit die schönste Zeit meines Lebens. Und ansonsten arbeite ich meistens an zwei Projekten gleichzeitig. So kann ich immer eines zur Seite legen und – während ich am anderen sitze – in Ruhe darüber nachdenken. An „Vom Ende der Einsamkeit“ schrieb ich ungefähr sieben Jahre, währenddessen arbeitete ich erst am Roman „Fast genial“, danach am Drehbuch dazu.

Am Anfang steht natürlich immer die Idee. Wie hast du sie für »Vom Ende der Einsamkeit« gefunden? Standen Liz, Jules und Marty eines Morgens einfach vor deiner Tür?
Die drei Geschwister waren tatsächlich schnell da, Alva hingegen ließ sich Zeit, ihr kam ich erst nach Jahren des Schreibens auf die Spur. Ich wollte jedenfalls von Anfang eine Geschichte über das Überwinden von Einsamkeit erzählen, und ich wollte zeigen, wie unterschiedlich man auf einen frühen Verlust reagieren kann. Die Geschwister gehen ja völlig anders damit um. Der Bruder wird aus Angst vor dem Tod übervorsichtig, die Schwester stürzt sich aus den gleichen Gründen fast blind ins Leben. Die Frage, was in einem Menschen unveränderlich ist, kristallisierte sich dagegen erst nach und nach als ein wichtiges Thema des Buchs heraus.

Wann wusstest du, dass die Einsamkeit und die Melancholie in deinem Roman eine große Rolle einnehmen werden?
Noch nicht am Anfang, ich dachte lange Zeit wirklich, der Roman würde lustiger werden. Aber als ich dann nach mehreren Monaten am Ende der ersten Fassung angelangt war, habe ich gemerkt, dass das Buch viel melancholischer und ernster wird als gedacht. Und dass es auch gar nicht anders möglich ist. Ich habe dann versucht, trotzdem etwas Hoffnungsvolles zu schreiben.

Wann bist du der Einsamkeit das erste Mal in deinem Leben begegnet?
Vermutlich als ich mit sechs ins Internat kam. Wobei das jetzt viel dramatischer klingt, als es gemeint ist. Es ging damals eben nicht anders, weil ein Elternteil von mir krank wurde und ausfiel, und der andere selbstständig war und den ganzen Tag arbeiten musste, da es finanzielle Probleme gab. Ich war also nicht sauer auf meine Eltern, weil ich ja wusste, wieso ich ins Heim kam, und ich war alles in allem auch gern dort und bedauere da überhaupt nichts. Im Gegenteil, gerade die letzten Jahre waren wunderbar, ich habe diese Stimmung zum Beispiel sehr im Buch „Eine wie Alaska“ von John Green wiedergefunden. Doch ich habe meine komplette Schulzeit fern von zu Hause verbracht, da entsteht sicher eine gewisse Form von Einsamkeit. Nämlich die, während man von lauter Menschen umgeben ist. Später dann, als ich nach Berlin ging, um zu schreiben, habe ich die direkte Einsamkeit kennengelernt. Wenn ich gerade keinen Nebenjob hatte, gab es manchmal Tage und Wochen, an denen ich mit keinem Menschen geredet und nur geschrieben hatte. Im Rückblick waren diese ersten zwei, drei Jahre wahnsinnig, aber ich wollte es damals ja so. Und ich würde beides immer wieder machen, die Internate und die Jahre in Berlin. Denn sie sind ein Teil von mir.

Traurigkeit kann auch schön sein. Spätestens nach deinem Roman weiß man das. War dir das beim Schreiben bewusst?
Nein, aber ich habe es gehofft. Ich freue mich sehr, dass du das schreibst.

Viele Menschen denken, einsam ist man, sobald man allein ist. Aber so ist es nicht. Man kann auch einsam sein, wenn man unter Menschen ist. Insofern hat Alva recht, als sie sagt: »Das Gegengift zu Einsamkeit ist Geborgenheit.« Stimmst du uns beiden zu?
(lacht) Ja, ich glaube, ihr habt beide Recht.

Du hast in deinem Roman »Das Herz ist ein einsamer Jäger« eine kleine Gastrolle geschenkt. Gehört das Buch von Carson McCullers zu deinen Lieblingen oder ist es einfach nur Teil der Geschichte und passte deshalb gut?
Es ist zuerst ein Teil der Geschichte, weil es einfach wahnsinnig gut passt. Aber ich mag das Buch auch selbst sehr gern, eine wunderbare Erzählung mit unglaublich tollen Figuren. Niemals kann ich zum Beispiel Mick vergessen.

Eine meiner Lieblingsstellen ist diese: »Um sein wahres Ich zu finden, ist es notwendig, alles in Frage zu stellen, was man bei der Geburt vorgefunden hat. Manches auch davon zu verlieren, denn oft lernt man nur im Schmerz, was wirklich zu einem gehört… Es sind die Brüche, in denen man sich erkennt.« Wenn der Weg so lehrreich ist, warum schmerzt er dann so sehr? Oder ohne Schmerz keine Erkenntnis?
Es gibt natürlich auch Erkenntnis ohne Schmerz. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass man oft gerade im Verlust begreift, was einem wichtig ist. Manchmal erkennt man das, was man eigentlich wollte, erst, wenn man einen bitteren Fehler gemacht hat oder wenn einem etwas weggenommen wurde. Auch Einsamkeit kann ein Kompass sein. Auf einmal merkt man, wie wichtig manche Freunde und Erlebnisse sind und was man wirklich in seinem Leben vermisst.

Dir gelingt es in deinem Roman auch, in Figuren hineinzuschlüpfen, die viel älter sind als du. Ich denke insbesondere an den russischen Schriftsteller Romanow, der Mitte Sechzig ist. Das ist wirklich erstaunlich. Wie machst du das?
Danke. Und schwer zu sagen, ich versuche einfach, Menschen zu beobachten. Gar nicht so sehr Details, mehr Emotionen. Oft ist es eine bestimmte Aussage oder Geste, die mich nicht loslässt, und die ich dann hochrechne. Ich mag beim Schreiben, dass man sich in andere Hineinversetzen kann. Das ist etwas, was ich auch im normalen Leben immer versuche. Wieso handelt dieser Mensch so, was hat ihn geprägt, wie könnte er sich jetzt fühlen? Was macht ihm Angst, was macht ihn glücklich? Jeder hat seine Gründe, sich so zu verhalten, wie er es tut. Jeder hat seine Geschichte.

Du hast seinerzeit in meinem Interview gesagt, dass du nicht möchtest, dass deine Bücher jemals als eBook erscheinen. So ist es gekommen. Obwohl du viele junge Leser hast, hältst du weiterhin daran fest. Das finde ich mutig, gerade, wo sich heute vieles auf medialer Ebene abspielt und das elektronische Lesen zugenommen hat. Stehst du noch zu deiner Meinung wie am ersten Tag?
Mir ist natürlich klar, dass dieser Standpunkt immer extremer und nerviger wird. Ich finde aber, es muss ihn geben, und da es sonst kaum jemand macht, mache ich es eben. Denn ich liebe gedruckte Bücher und klassische unabhängige Buchhandlungen, und ich möchte zumindest ein wenig dafür kämpfen, dass beides erhalten bleibt. Auch, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, was mit ihnen verloren gehen kann. Ein gedrucktes Buch kann einen ein Leben lang begleiten, man kann es in die Hand nehmen, darin blättern, etwas reinschreiben. Es verleihen und nach Jahren zurückbekommen. Es bekommt eine eigene Geschichte. Ein e-Book dagegen ist und bleibt nur eine Datei. Ich weiß, dass es auf Reisen praktisch ist, aber ich kann ja Diogenes leider schlecht sagen, dass es e-books nur für Reisende geben soll.

Apropos Bücher. Welche haben dich persönlich zuletzt tief beeindruckt?
Zuletzt war es „Jenseits von Eden“ von John Steinbeck, das mich unheimlich begeistert hat. Was für eine Ambition, so eine Geschichte über mehrere Generationen hinweg zu erzählen, und vor allem: was für großartige, unvergessliche Charaktere. Im vergangenen Jahr habe ich zudem mehrere Bücher von Richard Yates gelesen, die mir sehr gefallen haben. John Green war für mich eine Entdeckung, die mich noch lange inspirieren wird, gerade wenn ich wieder mal ein Jugendbuch schreibe sollte. Und Ronald Reng hat für mich mit „Mroskos Talente“ aufs Neue bewiesen, dass er einer der besten Autoren von Sportbüchern ist, die es gibt.

Die Klappentexterin dankt Benedict Wells für das Interview! Und wünscht dem Autor weiterhin alles Gute und allseits Inspiration zum Schreiben!

Und nun seid ihr dran. Welche Frage wolltet ihr Benedict Wells immer schon mal stellen? Unter allen TeilnehmerInnen verlose ich zweimal je eine Freikarte für die Buchpremiere am kommenden Mittwoch, 2.03.2016, in der Backfabrik. Ihr habt bis Montag, 29.02.2016, Zeit. Das Los entscheidet. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Auszahlung des Gewinns ist nicht möglich. Vielen Dank an den Diogenes Verlag für die tolle Unterstützung! #wellsliest

Weitere Interviews mit Benedict Wells findet ihr bei:

Wer Benedict Wells Bücher noch entdecken möchte, für den habe ich hier die Benedict Wells-Bibliothek zusammengestellt. Ein Klick auf die Links und schon seid ihr bei meinen Besprechungen.

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2 Gedanken zu „Benedict Wells über Einsamkeit.

  1. Pingback: Für gut befunden… Januar und Februar | plume et lettre

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