Der Hundertjährige, der aus dem Sixpack stieg.

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Man stelle sich nur mal vor, Charles Bukowski wäre tatsächlich hundert Jahre alt geworden. Gut, wahrscheinlich würde er dann im Rollstuhl sitzen, und Linda müsste ihn zum Wettschalter auf der Pferderennbahn schieben. Auf das Jubiläum würde er mit einem Achselzucken reagieren und jedem unangekündigten Besucher eine eiskalte Bierdose entgegenschleudern. Ein lebendiger, hundertjähriger Bukowski wäre tatsächlich ein medizinisches Wunder, eine Fackel im Sturm des Gesundheitswahns, ein Sieg gegen den allgegenwärtigen Stumpfsinn.

Bedauerlicherweise wurde Charles Bukowski nur 73 Jahre alt, was im Anbetracht seiner Erlebnisse und seines Lebenswandels bevor er Linda Lee kennenlernte, auch schon eine beachtliche Leistung ist. Trotzdem fehlt jemand wie er in diesen Zeiten. In den Zeiten des Literaturoverkills, in denen das, was gerade angesagt ist, bis zum Zusammenbruch totgeritten wird. Der Krimigaul, das Identitätenmaultier, der Life-Writing-Bulle – alle ächzen sie unter der Peitsche des Marketing. Und im Sattel halten sich hartnäckig die neuen Dompteure des Zirkus: die Agenten. Allesamt tun sie enorm wichtig und sind im Besitz des goldenen Schlüssels zum Erfolg. Gegen eine kleine Provision, versteht sich.

Bukowski brauchte das alles nicht und verachtete jegliches Brimborium, Personenkult war seine Sache nicht. Er war wie er war, wahrhaftig und ungefiltert. Genauso beschrieb er auch das Leben. Gut, er lebt nicht mehr, aber seine Literatur ist quicklebendig. Allein das lässt ihn im Jenseits sein breitestes Grinsen aufsetzen, ein wohliges Grunzen entfährt ihm, wenn er an all diejenigen denkt, die in ihm keinen ernsthaften Schriftsteller sahen. Wo sind sie jetzt? Verschwunden im Orkus ihrer ohnmächtigen Belanglosigkeit.

Geruch von Gosse, Dunst von Alkohol

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Foto: © Michael Montfort, Zweitausendeins: »Notes on a Dirty Old Man«

Natürlich polarisiert er – hat er immer und wird es weiterhin tun. Bukoswki hat nur Fans und Gegner, denn kalt lässt dieses Phänomen niemanden. Dieser Punch seiner Sätze, der Geruch von Gosse und der Dunst von Alkohol. Apropos. Alkohol ist ein wenig aus der Mode gekommen, zumindest literarisch. Offen mag sich niemand mehr dazu bekennen, dass bei manchen Menschen der kreative Prozess hin und wieder ein wenig, pardon, angestoßen werden muss.

Der moderne Poet nimmt noch eben einen letzten Bissen von seinem veganen Cookie und spült ihn mit einem Schluck von seinem Espresso Roast mit Sojamilch runter, bevor er die Bühne zur Lesung entert. Das war definitiv nicht Bukowskis Welt. Überhaupt war er eher ein stiller Mensch, der gern allein und für sich war. Und für den die Welt der sogenannten sozialen Netzwerke nur ein Horror hätte sein können.

In dieser Welt kann und wird es keinen zweiten Bukowski geben. Wo gern laut aufgeschrien, angeklagt und im gleich Atemzug verurteilt wird. In dieser oft nichtreflexiven Welt der tönenden Lautsprecher. Und wer der lauteste ist, gewinnt.

Ab einem gewissen Alter hat Bukowski nur noch allein getrunken, beim Schreiben oder höchstens in Gegenwart seiner Frau. „Trinken ölt die Maschinerie. …/Es wirbelt den Wind hinter den Göttern auf.“ Aber ist Alkohol nicht ungesund? Natürlich, dies ist auch kein Aufruf zum kollektiven Saufgelage. Oder was meinst du, Buk? „Natürlich kann Trinken dich umbringen/genau wie eine kalte Dusche/oder ein Gemälde von Gaugin/oder ein alter Hund an einem heißen Tag.“ Oder Blutwurst. Oder ein Diesel von Volkswagen. Oder ein kindsköpfiger Präsident.

Zwei Verlagswitwen

Na ja, am Ende ist das Leben stets tödlich. Aber bis es soweit ist, möchte ich nicht vergessen, darauf hinzuweisen, dass es noch einen weiteren Jubilar gibt – den mindestens genauso legendären MaroVerlag. Der wird fünfzig. Und hat nicht unerheblich zur Bekanntheit von Bukowski in der guten alten Bundesrepublik beigetragen. Ebenso wie Zweitausendeins. Beiden gebührt lebenslange Dankbarkeit, die sich in meinem Fall in regelmäßigen Bestellungen ausdrückt.

Selbstverständlich haben beide Verlage den Hundertsten von Buk nicht vergessen und pünktlich zum Jahrhundertereignis jeweils ein neues Büchlein für uns trunkene alte Schiffe auf die Planken geworfen.

Charles_Bukowski_Ein_Sixpack_zum_FrühstückEin Sixpack zum Frühstück von Maro trägt den passenden Untertitel Über das Trinken und versammelt eine kurzweilige Mischung aus Gedichten, Stories, Interviews Briefen und Romanauszügen, dazu die unverwechselbaren Zeichnungen, mit denen Buk oft Briefe und Gedichte schmückte. Einige der Texte erscheinen erstmals auf Deutsch.

notes_on_a_dirty_old_manNotes on a Dirty Old Man von Frank Schäfer ist so etwas wie ein kleines Lexikon zu und über den Dirty Old Man, sozusagen eine persönliche Bukowskipedia. Das Buch ist prallvoll mit Anekdoten aus dem prallvollen Dasein von Bukowski, garniert mit den wunderbaren Photos vom Michael Montfort. Sehr schön der Bericht über die einzige Auslandsreise von Bukowski, die ihn erst nach Deutschland führte (unvergessene Lesung in Hamburg) und dann nach Frankreich (ebenso unvergessener Auftritt in einer Talkshow). Nach diesem Ereignis im Fernsehstudio schrieb die Le Monde : „Es war an der Zeit, daß man mal was Ehrliches im französischen Fernsehen sehen konnte.“

Ewige Flamme

Als bekennender und ewiger Leser von Bukowski muss man natürlich beide haben. Aber auch, wer sich diesem oft verkannten, aber seit Jahren doch anerkannten Schriftsteller nähern will, kann beruhigt zu diesen Büchern greifen. Sie seien hiermit ausdrücklich empfohlen. Eine Zufriedenheitsgarantie oder gar ein Attest für Überempfindliche kann ich dagegen nicht ausstellen.

Aber vielleicht gefällt euch das, ein Auszug aus Heute Abend: … Es macht mich traurig./Sie sind öde, fad und verzagt./Ich kratze meinen Bauch und träume vom Albatros./Dieser Raum ist voll von mir und ich bin voll./Das hier trinke ich auf euch alle und auf mich./Es ist jetzt nach Mitternacht und ein einsamer Hund heult in der Nacht./Und ich bin so jung wie das Feuer, das gerade brennt.

Bukowski ist still On Fire, meine Lieben. Lest ihn! Es gibt nichts, was besser hilft
gegen die Lügen des Kapitals, die hohlen Glücksversprechen der Moderne oder die fauligen Abgründe des Alltags.

Da Bukowski nicht jeden Tag 100 Jahre alt wird, feiern wir das Ereignis noch mit einem kleinen Gewinnspiel. Zu gewinnen gibt es Ein Sixpack zum Frühstück, das neue Bukowski Buch aus dem MaroVerlag, der uns das Exemplar auch freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

Die Frage lautet: »Welche Leidenschaft hatte Charles Bukowski noch, außer dem Trinken und Schreiben?« Einfach eine Mail mit der richtigen Antwort bis zum 23. August 2020 an klappentexterin@hotmail.de schicken. Bei mehreren richtigen Antworten entscheidet das Los, der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Wir verschicken nur Bücher innerhalb Deutschlands. Viel Glück allen Schnapsdrosseln und Bukowski-Freunden!

Zu den Büchern:

Charles Bukowski: Ein Sixpack zum Frühstück. Über das Trinken: Gedichte, Stories, Briefe, Interviews. Aus dem amerikanischen Englisch von Esther Ghionda-Breger, Carl Weissner u.a. Herausgegeben von Abel Debritto. MaroVerlag, August 2020, 253 Seiten, 24,- €.

Frank Schäfer: Notes on a Dirty Old Man. Charles Bukowski von A bis Z. Zweitausendeins, 2020, 271 Seiten, 17,90 €.

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