Während ich diese Zeilen schreibe, fällt der Schnee bedächtig auf unsere große Stadt. Ich höre die umarmende Stille und denke: Eine schönere Kulisse könnte es für dieses Werk nicht geben. „Mein ärgster Feind“ von Willa Cather verdient diese Ruhe und Aufmerksamkeit, weil es ein Buch ist, das den Kopf erhitzt und im höchsten Maße beeindruckt.
Als dieser schmale Roman im Jahre 1926 erschien, war er ein Exot. Zur damaligen Zeit war es unüblich so offen über die Ehe und Liebe zu schreiben wie es Willa Cather mit „Mein ärgster Feind“ getan hat. Willa Cather erzählt die Geschichte aus der Sicht der jungen Nellie, die mit 15 Jahren zum ersten Mal auf Myra Henshawe trifft. Die extravagante Frau fasziniert Nellie sofort. „Obwohl sie nicht größer war als ich, fühlte ich mich vollkommen überwältigt von ihr – dumm, hoffnungslos plump und dumm.“ Nellie hatte bis dahin nur von Myra Henshawe und ihrer Legende gehört. Nun steht die Frau vor ihr und Nellie ist überwältigt, fühlt sich von ihrer direkten Art überfordert. Wurde Nellie doch bislang von ihrer Mutter und Tante mit Samthandschuhen angefasst, öffnet sich Myra Henshawe wie eine Schleuse.
Kurze Zeit später reist Nellie mit ihrer Tante Lydia über die Weihnachtsfeiertage nach New York und besucht das Ehepaar Henshawe. Dort beobachtet Nellie zwischen Myra und ihrem Mann Oswald eine Auseinandersetzung, die sie zutiefst aufrüttelt: „Alles um mich wirkte bedrohlich. Wenn die Menschen ihre Freundlichkeit verlieren, und es nur für wenige Augenblicke, dann fürchten wir uns vor ihnen ebenso, als hätten sie den Verstand verloren. Wenn die Freundlichkeit nicht länger da ist, wo wir sie immer vorgefunden haben, ist es, als würden wir Schiffbruch erleiden; wir stürzen aus der Sicherheit in etwas Heimtückisches und Bodenloses.“ Danach bekommt Nellies romantisches Bild von der Liebe hässliche Risse. Sie verblassen Jahre später, als sie das Ehepaar unter anderen Umständen wieder trifft. Dann erkennt sie die andere Seite der Liebe.
Dieses Buch geht unter die Haut. Nicht plötzlich mit einem Schnitt, sondern langsam und sanft wie Schneeflocken. Willa Cather erzählt subtil und zieht die Tragödie aus der Tiefe bedächtig nach oben. Zunächst sieht man sie nicht, und doch nehme ich sie schattenhaft wahr. Die 1873 geborene Autorin hat mit Myra Henshawe eine schillernde, liebenswürdige und auffällige Frau erschaffen, ein Mensch so stark wie ein Baum. Die Sätze aus ihrem Mund treffen mich wie scharfes Geschütz und hinterlassen ein lautes Echo. Sie spricht, was sie denkt, ohne die Dinge zu beschönigen. „Wir waren nie wirklich glücklich. Ich bin eine habgierige, selbstsüchtige, oberflächliche Frau; ich wollte immer Erfolg und eine besondere Stellung in der Welt. Jetzt bin ich alt und krank und sehe aus wie eine Vogelscheuche, aber unter meinesgleichen hätte ich noch immer die rechte Gesellschaft; ich wäre von zuvorkommenden Menschen mit höflichen Manieren umgeben und müsste mir nicht von irgendwelchen Rohlingen das Hirn aus dem Kopf trampeln lassen.“ Dadurch erzeugt die Autorin ein Brodeln, das mich verunsichert. Einerseits horche ich erschrocken auf, andererseits schiebt sich ein Lächeln dazwischen, wenige Sekunden nur, aber es ist da, ein Lächeln der Kraft und der Hochachtung.
„Mein ärgster Feind“ ist nur knapp hundert Seiten lang, trotzdem hat das Buch das Gewicht eines umfangreichen Werkes. Stellt euch eine dünne Eisschicht vor, die mehr trägt als es eigentlich möglich ist. Wir schlagen die Hände vors Gesicht, sind fassungslos, überrascht und beeindruckt. So erging es mir mit diesem Werk. Willa Cather erzählt dicht und holt den Leser ganz nah heran.
Was mich besonders beeindruckt hat, sind die einzelnen perfekt gezeichneten Charaktere sowie das Wechselspiel zwischen den lauten Konflikten und den stillen Momenten. Ergreifend lesen sich Sätze wie dieser: „Die Liebe selbst bringt doch schon fast alles Unglück dieser Welt über eine Frau.“ Radikal und offen in der Sprache, fernab von den avantgardistischen Techniken ihrer europäischen Schriftstellerkolleginnen wie Gertrude Stein oder Djuna Barnes, entfaltet Willa Cather ihre eigene Stimme, die klare und bodenständige Züge aufweist. Der Roman ist schonungslos. Die Autorin rechnet mit der schönen Romantik ab und pustet einer Eiskönigin gleich schneidende Kälte in das Reich der Liebe. Ja, diese Geschichte ist wie ein Dolchstoß mitten ins Herz.
Für mich ist die Pulitzer-Preisträgerin eine bereichende Entdeckung, die ich Truman Capote zu verdanken habe. Capote verehrte Willa Cather und schrieb nur wenige Tage vor seinem Tod „Remembering Willa Cather“. In dem deutschsprachigen Buch „Die Hunde bellen“ – eine Sammlung von Capotes Reportagen und Porträts – ist diese Begegnung aufgeführt, eine zu Herzen gehende Geschichte vom jungen Capote und der erfahrenen Willa Cather.
Mehr über Willa Cather erfahrt ihr hier: (http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/truman-capotes-idol-willa-cather.html).
Willa Cather.
Mein ärgster Feind.
Mai 2011, 112 Seiten, 7,99 €.
btb.
Danke für diese wunderbare Besprechung und das Aufmerksammachen auf ein Buch und eine Autorin von denen ich bisher noch nichts gehört habe. Willa Cather wandert sofort auf meine Wunschliste, wird dort wohl aber nicht lange bleiben. 🙂
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Liebe Mara,
ich freue mich sehr über deine Zeilen und auch darüber, dass du Willa Cather näher kennenlernen möchtest. Für mich ist sie eine der eindruckvollsten literarischen Entdeckungen der letzten Zeit.
Herzliche Wochenendgrüße,
Klappentexterin
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Auch ich habe das Buch gleich auf meine Wunschliste gesetzt. Deine Rezension klingt wieder sehr verlockend. Eine neue Autorin und vor allem ein Buch, welches kein aktueller Bestseller ist. Das sind die wirklichen Schätze.
LG
lesesilly
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Liebe lesesilly,
hab vielen Dank für die Sonne, die du mir deinen Worten geschenkt hast. Ich wünsche dir viel Freude beim Entdecken dieser bemerkenswerten Autorin.
Sonnige Grüße zum Wochenende,
Klappentexterin
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Liebe Klappentexterin
Vor einigen Jahren habe ich von Willa Cather „Meine Antonia“ gelesen. Der Roman hat mir sehr gut gefallen. Auf meinem SuB liegen noch weitere Bücher von dieser grossartigen Schriftstellerin, unter anderem auch „Mein ärgster Feind“. Das trifft sich doch gut, dass du das Buch hier vorstellst, dann wandert es auf meinem Bücherberg schon mal weiter nach oben.
Es ist immer gut, wenn man sich auch Lieblingsautoren von anderen Autoren notiert. Da ich ein grosser Fan von James Dean war, habe ich mir genau notiert, welche Bücher er gelesen hatte und entdeckte so ganz tolle Autoren für mich.
Liebe Grüsse
buechermaniac
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Liebe buechermaniac,
wie wundervoll, dass wir wieder eine gemeinsame Autorin haben, die wir schätzen! „Meine Antonia“ möchte ichl auch noch unbedingt lesen. Stimmt, es kann sehr inspirierend sein, wenn die liebsten Autoren und Autorinnen persönliche Tipps austeilen. Wenn die Empfehlungen dann noch großes Leseglück nach sich ziehen, ist das etwas ganz Besonderes. Eine schöne Geschichte, die du mir da von dir verraten hast. Merci!
Liebe Grüße
Klappentexterin
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112 Seiten und solch eine erzählerische Wucht? Truman Capote muss man einfach glauben.
Entdeckt und gekauft!
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Eine schöne Aussage, für die ich danke und der ich nichts mehr hinzuzfügen habe, liebe Katja! Herzlich, Klappentexterin.
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Wieder mal eine ganz wundervolle Rezi. Von Willa Cather hat eine Freundin schon so häufig geschwärmt und nun du auch noch … ich denke das Buch MUSS demnächst dringend bei mir einziehen.
Einen wunderschönen Sonntag.
LG Nanni
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