Der tiefe Frieden aus den Worten von Banana Yoshimoto.

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Wieder hat mich Banana Yoshimoto auf bezaubernde Weise aus der Unrast des Alltags gezogen und mit ihrem Roman »Moshi Moshi« ganz besondere Momente des Innehaltens geschenkt. Die Zeit verwandelte sich vom Hochgeschwindigkeitszug in eine gemütliche Schnecke und ich fühlte mich, als würde ein kugelrunder Buddha leibhaftig neben mir sitzen. Eine Welle des Glücks durchströmt mich selbst jetzt noch – einige Stunden nach dem Ende der Lektüre.

Glück und Trauer – wie passen diese Gegensätze zusammen? Diese Frage huscht gerade durch mich hindurch wie ein plötzlicher Regenschauer. Im Grunde schreibt Banana Yoshimoto keine erheiternden Geschichten. Immer wieder verarbeitet die japanische Autorin die schlimmsten Dinge, die Menschen passieren können: Tod, Trauer, Verlust, Liebeskummer. Aber es sind die Wege, die sie mit ihren Protagonisten geht, behutsam wie eine Blume öffnet sie die verschlungenen Pfade, befreit uns alle aus der Finsternis. Und legt uns Hoffnung sanftmütig in die Augen. So habe ich niemals Angst vor der Düsternis ihrer Geschichten. Ich laufe gern durch die Täler der Tränen und fühle mich dabei geerdet.

Auch in »Moshi Moshi« gibt es einen traurigen Auslöser: Die zwanzigjährige Yotchan verliert ihren Vater, er hat zusammen mit einer fremden Frau Selbstmord begangen. Zurück bleiben seine Frau und Tochter – in tiefer Trauer, Wut, Unverständnis und Fragen. Wer ist diese Frau gewesen? Und was hat den Vater in den Tod getrieben? All das zehrt an beiden, so dass Yotchan für sich nur einen Weg sieht: Sie zieht aus der gemeinsamen elterlichen Wohnung aus und wagt einen Neuanfang. In Tokyos Künstler- und Szeneviertel Shimokitazawa bezieht sie eine kleine Wohnung und beginnt in einem kleinen Restaurant namens »Les Liens« zu arbeiten. Doch ihr Glück endet abrupt, als plötzlich ihre Mutter mit einer Reisetasche vor der Tür steht und Yotchan bittet, bei ihr einzuziehen zu dürfen. Erst weigert sich die junge Frau, doch nach einer Aussprache willigt sie schließlich ein. Dies zeigt noch eins der schönen Wesensmerkmale in den Werken der japanischen Autorin auf: Aufeinander zuzugehen und in Gesprächen nach Lösungen zu suchen anstatt alle Türen zuzuschlagen.

masaru_goto_Shimokitazawa_Goto_007Das Szeneviertel Shimokitazawa / © Masaru Goto

Shimokita – so wird das Viertel auch genannt – scheint genau der richtige Ort für den Neuanfang der beiden wunden Seelen. Hier laden gemütliche Lokale zum sinnlichen Verzehr von liebevoll gekochten Speisen ein. Es gibt kleine Geschäfte und Buchhandlungen, die mich an den Bergmannkiez in Berlin erinnern. Eine freundschaftliche, friedliche Atmosphäre strahlt aus den Gassen, die auch ich aus der Ferne sofort spüre. »Hier in Shimokatizawa war es wie in einer Grotte. Die Menschen folgten nicht der neuesten Mode, sondern lebten ihr Leben auf ihre Weise, genau wie auch wir beiden Gestrandeten.« Yotchan widmet sich mit Hingabe ihrem Job, doch längst ist nicht alles im Lot. Es ist noch ein langer Weg, den Yotchan vor sich hat. Manchmal plagen sie aufwühlende Träume, in denen ihr Vater auftaucht. Sie spürt seine Anwesenheit, als wolle er ihr was sagen, doch er bleibt still. Und warum hatte er am Tag seines Todes sein Handy nicht bei sich?

Yotchan verliert sich immer wieder in ihrer Trauer und weint viel. Aber nach jedem Tief schüttelt sie sich wie eine Katze, leckt ihre Pfoten, steht langsam auf und blickt dem Leben offen ins Gesicht. Mit wunderbar weisen Worten: »Die Anspannung war von mir abgefallen, mein Körper war auf einmal ganz leicht, und ich dachte, na gut, dann bist du eben wieder am Anfang und musst dich von ganz unten nach oben arbeiten.« Kraft holt sie sich auch aus dem gegenwärtigen Augenblick, den sie mit allen Sinnen genießen kann. »Im Hier und Jetzt war die Gestalt meiner fleißig arbeitenden Mutter ein Quell der Beruhigung für mich. Auch die kleine Blume auf dem Tisch, der Dampf des Wasserkessels, die mit heißem Wasser gefüllte Teekanne, sie bedeuteten mir, dass ich hier war und dass ich nichts überstürzen musste.«

Dieses Buch ist eine schöne Perlenkette aus tröstlichen und hoffnungsvollen Betrachtungen, die Banana Yoshimoto mit der Ruhe einer dampfenden Teetasse in meine Augen pustet. Die Autorin stellt die bösen Geister der Vergangenheit neben die der verheißungsvollen Sonnenseiten. Sie tut dies in ihrer gewohnt schnörkellosen, poetischen Sprache und flüstert leise: Alles hat seine Zeit, alles ist im Fluss und alles vergeht. So blinzle ich am Ende der Lektüre der Sonne entgegen, bin erfüllt von einem tiefen Frieden. Und spüre die Hand einer lieben Freundin auf meiner Schulter. Arigatou!

Und hier noch ein kleiner Nachtrag zum Titel: Moshi Moshi ist ein Grußwort, das die Japaner am Telefon verwenden. Es wurde von mosu mosu abgeleitet und heißt in etwa: Ich erzähl dir was.

Banana Yoshimoto: Moshi Moshi. Aus dem Japanischen von Matthias Pfeifer. Diogenes Verlag, Februar 2015, 225 Seiten, 21,90 €.

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7 Gedanken zu „Der tiefe Frieden aus den Worten von Banana Yoshimoto.

  1. Nola

    Ein wundervoller Artikel. Hat er mich doch zu „Amrita“ geführt. Und dafür bin ich Dir wahnsinnig dankbar. So ein zartes, tröstliches Buch, das vom Glück der kleinen, unscheinbaren Dinge erzählt. Es hat mir Freude und Hoffnung zurückgegeben, als ich es ganz dringend brauchte.
    Als nächstes werde ich nun „Moshi, Moshi“ lesen. Kann es kaum erwarten.

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    1. Klappentexterin Autor

      Liebe Nola,
      welch besonderer Zufall! Das freut mich sehr, vor allem, dass dir das Buch so eine gute Freundin war. Ach, da bekomme ich gleich wieder Lust, in »Amrita« abzutauchen. Mit »Moshi Moshi« wünsche ich dir ebenfalls wunderbare Lesestunden und Momente des Aufatmens.

      Ganz herzlich
      Klappentexterin

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