Der Lesehunger ist zurück. Dank Nino Haratischwili.

Kaum ein Buch wurde in diesem Jahr derart herbeigesehnt wie der neue Roman von Nino Haratischwili, und kaum ein Buch wurde bisher so kontrovers diskutiert. Was denkt die Klappentexterin über Die Katze und der General, den Nachfolger des überaus erfolgreichen und viel gelobten Vorgängers Das achte Leben (Für Brilka) ?

Nun, Nachfolger von großen Werken haben es immer schwer. Kein Buch ähnelt dem anderen, meistens jedenfalls. Mein Lieblingsautor Haruki Murakami beispielweise hat mich nicht mit jedem seiner Bücher vollends begeistern können, trotzdem bin ich eine treue Leserin geblieben. Und mal Hand aufs Herz: Lebt die Literatur nicht gerade davon, dass sie uns überrascht und nicht kalkulierbar ist?

Also habe ich recht schnell versucht, bei Die Katze und der General alle Vergleiche mit Brilka zu vermeiden. Was beim Anblick der Covergestaltung und des Umfangs natürlich nicht leicht fällt, da die beiden Bücher gerade in diesen Bereichen sich wie eineiige Zwillinge ähneln. Und auch in einem anderen Punkt haben sie bei mir die exakt gleiche Wirkung erzielt: Einmal begonnen, mochte ich keines von beiden wieder aus der Hand legen.

Nino Haratischwili hat sich erneut mit einem gewichtigen historischen Thema auseinandergesetzt, und wieder wandert ihr Blick in die Vergangenheit der osteuropäischen Geschichte. Dieses Mal thematisiert sie den Tschetschenien-Krieg. Ausgangspunkt ist eine junge Frau, der furchtbare Dingen zustoßen: Sie wird 1995 im Nordkaukasus vergewaltigt, gefoltert und umgebracht. Die Täter kommen mehr oder weniger mit einem blauen Auge davon. Doch Alexander Orlow, der General genannt, kann das einschneidende Erlebnis bis in die heutige Zeit nicht vergessen. In der Gegenwart lebt der Oligarch in Berlin, und als er auf einem Plakat das Gesicht einer jungen Schauspielerin sieht, erkennt er die junge Frau von damals wieder, Nura Gelajewa. Dieses Ereignis bringt ihn auf eine Idee, die seit dem Tod seiner Tochter in ihm reift.

Die georgische Schauspielerin heißt Katze. Nicht etwa, weil sie sich so geschmeidig bewegt, wie alle annehmen. Katze hat ihrer Familie an einem Sonntag das Leben gerettet, als der Vater beschloss, mit dem Auto in den Abgrund zu fahren. „Katze wurde zu einer Katze, die aus einer gefährlichen Höhe geworfen wird, um sicher auf allen vieren zu landen, mit der Fähigkeit ausgestattet, auch bedrohliche Situationen zu überleben.“  Eben jene Fähigkeit wird sie noch dringend brauchen, nachdem sie Besuch vom Journalisten Onno Bender bekommen hat. Er ist der Mittelsmann zum General, und er unterbreitet Katze ein Angebot. Wobei relativ schnell klar wird, dass sie dieses aus zwei Gründen nicht ausschlagen kann.

Das Spiel beginnt, und mit jeder Seite gewinnt der Roman an Geschwindigkeit, wandelt sich zunehmend zu einem Thriller und einem gleichzeitig enorm informativen, geschichtsträchtigen Werk. Wir erfahren viel über den Krieg in Tschetschenien sowie die angespannte Situation nach dem Zerfall der Sowjetunion. Obendrein erzählt Nino Haratischwili davon, was der Krieg mit den Menschen anstellt – mit den Opfern wie auch mit den Tätern. Ich blicke dem General dabei oft ins Gesicht und entdecke eine zwiespältige Person.
Eigentlich wollte er nie in den Krieg ziehen, sich viel mehr der Literatur hingeben und hat sich Ausreden einfallen lassen, damit er nicht bei der Militärakademie zugelassen wird.

Wie bereits in ihrem Opus Magnum Brilka erweist sich die Autorin erneut als Meisterin darin, Charaktere zu erschaffen, die interessant und glaubwürdig sind. Sie knüpft einen großen Teppich mit Gesichtern und authentischen Geschichten, was ich absolut bewundernswert finde. So erlebe ich immer wieder bewegende Momente, in denen das Leben um mich herum ganz still wird.

So, als ich im Kreise der geflüchteten Georgier sitze und ihnen zuhöre: „Und doch, einmal angekommen an neuen Ufern, in neuen Realitäten, fleißig am neuen Leben bauend, einen Ziegelstein mühevoll auf den anderen legend, merkten sie, dass sie sich wieder nach der Hölle sehnten, die sie bei ihrem Aufbruch so entschlossen zurückgelassen hatten. Denn diese Hölle stank zwar weiterhin nach Schwefel, aber immerhin war es ihre Hölle, dort kannten sie jeden Winkel…“ Hier in Deutschland waren sie „bloß Fremde, Exilanten, Migranten, Kinder des verhassten Sozialismus...“

Trotz aller Begeisterung gibt es auch für mich in diesem Werk kleinere Brüche, die auf meiner glatten Lesebrille störende Schatten hinterlassen. Einerseits fehlt mir eine tiefere Nähe zu den Figuren, der Abstand zwischen uns bleibt während des Lesens bestehen, lediglich Katze rückt näher an mich heran. Zudem hätte ich dem Werk etwas gewünscht: ein bisschen mehr Zeit. An manchen Stellen scheint es mir sprachlich nicht zu Ende geschliffen und stolpere über ein paar sogenannte schiefe Bilder. Überdies finden sich öfter zu schnell aufeinander folgende, bleischwere Sätze voller Adjektive und Metaphern. Dort bleibt dann kaum eine Atempause für die Augen. Andererseits zeigt sich die Autorin immer wieder als Meisterin sprachlicher Virtuosität: „Der Mond war eine Sichel und ritzte die Sterne in die Himmelshaut.“ Bei solchen Sätzen ahnt der Leser wieder, warum Nino Haratischwili so eine wichtige Stimme in der zeitgenössischen Literatur geworden ist.

Trotz der kleinen Kritik überwiegt der Jubel über dieses großartige Werk, und es zählt zu meinen Highlights in diesem Jahr. Gejubelt habe ich natürlich auch, weil es Die Katze und der General bis auf die Shortlist des diesjährigen Buchpreises geschafft hat. Und dort steht das opulente Werk völlig zu Recht. Weil es trotz kleiner Makel ein fantastisches und wunderbar lesbares Buch ist, und es Nino Haratischwili immer wieder aufs Neue gelingt, historische Ereignisse lebendig und bewegend vor unseren Augen auszurollen. Und dabei einen unstillbaren Lesehunger zu entfachen.

Nino Haratischwili: Die Katze und der General. Frankfurter Verlagsanstalt, September 2018, 766 Seiten, 30,- €. Jetzt direkt und portofrei bei Hugendubel.de bestellen. Das eBook kostet 22,99 €.

4 Gedanken zu „Der Lesehunger ist zurück. Dank Nino Haratischwili.

  1. Marc

    Ich bin zwar gerade erst am Anfang der Geschichte, kann aber deinen Satz mit den schiefen Bildern voll nachvollziehen. Eigentlich war gleich eins auf der ersten Seite, worüber ich stolperte und dachte noch, wenn das so weiter geht, werden das Buch und ich keine Freunde. Doch dann saugte es mich förmlich ein. Da ich aktuell wegen dem Deutschen Buchpreis viel parallel lese, komme ich nicht so voran, wie erhofft, aber die ersten 60 Seiten waren für mich schon Literatur pur. Wenn dieses Level so bleibt, dann eines der besten Bücher 2018.

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