Ein Fest des Lesens.

In meiner Leselaufbahn sind mir schon einige bemerkenswerte Debüts untergekommen. Aber Lydia Sandgren sticht ganz besonders hervor. Ganze zehn Jahre hat die Autorin an ihrem preisgekrönten Buch »Gesammelte Werke« gearbeitet und gleich den renommiertesten Literaturpreis Schwedens erhalten. Dort war das Buch ein Bestseller und erobert nun auch viele Leserherzen bei uns.   

Im Zentrum der Geschichte steht der Verleger Martin Berg. Er befindet sich in einer Midlife-Crisis: Sein bester Freund Gustav hat sich von ihm distanziert, und sein Verlag läuft mehr schlecht als recht. Ein Liebesleben? Kaum erwähnenswert. 

Martin lebt mit seinem jüngsten Sohn Elis zusammen, der gerade »Reise ans Ende der Nacht« von Louis-Ferdinand Céline liest und sich seltsam benimmt. Seiner Tochter Rakel hat Martin ein Manuskript eines deutschen Autors untergejubelt, um überprüfen zu lassen, ob er das Buch eventuell verlegen könnte. Rakel studiert Psychologie, ist gut in Deutsch und prüft öfter Texte für ihren Vater. Während Rakel das Manuskript liest, glaubt sie, in der Hauptfigur ihre Mutter wiederzuerkennen. Alte Wunden reißen auf, denn die Mutter Cecilia hat ihre Familie vor Jahren verlassen.   

Martin flüchtet derweil in die eigene Vergangenheit, eine Passage, die sich wirklich fantastisch liest – wie eigentlich alles in diesem nicht nur an Seiten starken Buch.  

Immer noch sehe ich Martin und seine Freunde Gustav und Per in ihrer zugigen Pariser Dachgeschosswohnung vor mir, wo die drei ein richtiges Bohèmeleben geführt haben.   

Gustav und Martin sind selbst gewählte Außenseiter, zwei Künstlernaturen, die ihren Weg suchen. Gustav malt, Martin schreibt und träumt von einem großen Roman, doch sein Manuskript bleibt bis heute unvollendet. Während seines Philosophiestudiums lernt er seine spätere Frau Cecilia kennen. Ab und an tauchen Interviews zwischen Martin Berg und einem Branchenmagazin auf.  

Dort spricht er über das Lesen, das Schreiben und Bücher. Aber lest selbst:

INTERVIEWER: Also Lesen als Wirklichkeitsflucht?
MARTIN BERG: Aber nicht allein das. Wenn du liest, bekommst du auch Zugang zu anderen Welten als deiner eigenen. Du kannst versuchsweise eine ehebrecherische russische Aristokratin sein oder ein versoffener Briefträger, der zu Prostituierten geht. Du kannst einen ausgeflippten Roadtrip quer durch die USA folgen. Du kannst alles Mögliche sein.

Dieses gewaltige Buch ist besser als jede Serie auf Netflix und eine Hommage an das Lesen, die Literatur und das Schreiben. Es erfrischt durch zahlreiche charmante und kluge Dialoge.  Lydia Sandgren schreibt derart feinsinnig, unterhaltend und tiefgründig, dabei immer mit einer unglaublichen Leichtigkeit.  

Ja, es geht um große Themen wie Familie, Beziehungen, Erwachsenwerden, über die Liebe, die Kunst und Niederlagen im Leben. Aber vor allem geht´s ums Fallen und Wiederaufstehen – etwas, was sicher jeder von uns kennt. Eigentlich sind es viele kleine Bücher in einem einzigen großen Werk. 

Lydia Sandgren: Gesammelte Werke. Aus dem Schwedischen übersetzt von Stefan Pluschkat und Karl-Ludwig Pletzig. mare, Oktober 2021, 880 Seiten, 28,-€.

Ein Gedanke zu „Ein Fest des Lesens.

  1. Elke Schneefuß

    Vielen Dank, davon habe ich noch gar nichts gehört, aber das klingt ganz danach, als wenn es mir gefallen könnte! Schwedische Literatur ist meinem Regal eindeutig unterrepräsentierter…Und außerdem ( es tut eigentlich nicht Not, darauf hinzuweisen) : Weihnachten 🎅🏻 naht…

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