Untrennbar – Maeve Brennan und New York.

Manchmal meint man geradezu, eine Autorin persönlich zu kennen. Obwohl sie schon nicht mehr lebt, überhaupt auf einem anderen Kontinent und in dieser großen, faszinierenden Stadt zu Hause war, die bekanntlich niemals schläft. Genauso fühlt es sich für mich mit Maeve Brennan an, und dies nicht erst seit gestern. Schon seit geraumer Zeit zieht mich das Werk der Autorin stets aufs Neue geradezu magisch an.

Aufgespürt habe ich sie an einem kalten Wintertag 2013 in einem meiner Berliner Lieblingsorte, dem geschätzten ocelot. Als ich das Cover von New York, New York Regal entdeckte, schmolz sofort der Schnee auf meinem Mantel. Von dem Buch ging etwas Faszinierendes aus, das sich bei der Lektüre ihrer Kolumnen noch intensivieren sollte. Ich hatte ein Juwel entdeckt! Und wer war Maeve Brennan? Dies konnte mir der Übersetzer Hans-Christian Oeser beantworten, den ich an einem Sommerabend bei der Familie Wagenbach zu einem literarischen Abendessen traf. Der Übersetzer erzählte mir, dass er die Autorin für den deutschsprachigen Lesermarkt zugänglich gemacht hatte, zusammen mit dem Mut und der Überzeugungskraft des wunderbaren Steidl-Verlages. Ein Jahr später folgte die Gesamtausgabe, die im Literarischen Quartett gefeiert wurde.

Und nun betritt Michaela Karl das Universum der Maeve Brennan. Die Chronistin hat mich bereits mit der Biographie über Dorothy Parker beglückt, und in »Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen.« beleuchtet Karl nun biografisch das Leben einer außergewöhnlichen Autorin und einer ebenso faszinierenden Epoche. Sie tut dies derartig anschaulich, dass man meinen könnte, die Biografin hätte in der Zeit gelebt. Auch bereits vertraute Namen tauchen erneut auf, wie das Ehepaar Murphy. Sara Murphy kommt aus einer reichen Familie, Gerald Murphy hat früh geerbt. Statt das Geld auf herkömmliche Art und weise zu vermehren, betätigen sie sich als Mäzenen. Sie laden Künstler und Schriftsteller zu ein und sind überhaupt außergewöhnlich solidarisch gegenüber Künstlern, die sich ja oft in prekären finanziellen Lagen befinden. So wie Dorothy Parker oder eben auch Maeve Brennan.

Maeve Brennan wird am 6. Januar 1917 in Dublin geboren und erhält – genau wie ihre beiden Schwestern – den Namen einer irischen Königin. »Sie gilt als eine zentrale Figur der irischen Mythologie, ist mutig, selbstbewusst, frei und emanzipiert – genau wie Maeve es einmal sein wird.« Ihre Eltern sind nationalistische Freiheitskämpfer, die sich für Irlands Unabhängigkeit einsetzen. Maeve ist siebzehn Jahre alt, als ihr Vater »zum Legationsrat der irischen Gesandtschaft« ernannt wird, und die Familie nach Washington in die USA zieht.

Maeve Brennan. Foto: © Karl Bissinger

Während Maeves Schwestern sich für die klassische Frauenrolle – Ehefrau und Familie – entscheiden, wählt Maeve die der Schriftstellerin und urbanen Singlefrau. In New York angekommen, flaniert sie schon bald ladylike durch die Straßen und unterhält dann später als langatmige Lady die Leser des New Yorkers mit ihren geistreichen Kolumnen. Bevor Maeve zum festen Stamm der Edelfedern gehört, arbeitet sie bei Harper’s Bazaar zunächst als Werbetexterin. Mit ihrem Sinn für das Schöne avanciert Maeve zum Trendscout, ist sie doch selbst eine elegante Erscheinung: Mit hochgesteckten Haaren, ihrer Perlenkette und dem schwarzen Etuikleid. Komm euch das irgendwie bekannt vor? Genau! Audrey Hepburn in der Verfilmung von Truman Capote’s »Breakfast at Tiffany’s«. Wir können davon ausgehen, dass der Autor sich Maeve als Vorlage für seine Figur genommen hat, gehört doch selbst die allgegenwärtige Zigarettenspitze aus dem Film zur kettenrauchenden Maeve Brennan.

Michaela Karl zeichnet ein detailliertes Bild der Autorin und spart dabei auch nicht mit Anekdoten. Zum Beispiel, dass Brennan Schnittblumen, Regentage, Hotellobys, Tiere und Bücher über alles liebte. Dabei war Maeve ein unruhiger Geist, der häufig umzog und jede Bar zwischen dem Central Park und der New Yorker Stock Exchange kannte. Zudem besaß sie ein großes Herz, bewahrte aber trotzdem stets Distanz. Im Grunde war sie ihren fünf Katzen recht ähnlich: eigenwillig und äußerst elegant. Sie war eine Stilistin durch und durch. Eine Frau, die ihre Passion für feine Kleidung auslebte, selbst dann, wenn das Geld knapp war. Und das war es nicht selten, aber zum Glück half ihr der New Yorker oft aus der Patsche, ebenso die nicht unvermögenden Murphys. Das Ehepaar stellte Brennan sogar ein Cottage in East Hampton zur Verfügung, in das die Großstadtpflanze hin und wieder floh,
um in der Ruhe schreiben zu können. Maeve Brennan war unglaublich produktiv, neben den Kolumnen verfasste sie zahlreiche Kurzgeschichten, schrieb Rezensionen über Bücher und eine Novelle.

Akribisch öffnet Karl das umfangreiche Oeuvre der Autorin, mitunter bezieht sie ihre Werke direkt mit ein. All das ist spannend und prickelnd erzählt, inklusive kluger Zitate, den Briefausschnitten von Freunden und dem spürbaren Lebensgefühl der 50er und 60er Jahre der Bohemiens. »Auch wenn einige mit privaten Katastrophen homerischen Ausmaßes konfrontiert werden, beim New Yorker sind sie geborgen und glücklich. Fast alle stecken ihr Leben lang bis zum Hals in Schulden, haben Probleme mit der Steuer oder dem Partner, leiden unter zu viel Alkohol und Schreibblockaden – doch beim New Yorker zählt das alles nicht. Hier sind sie unter ihresgleichen, hier herrscht Verständnis für alles und jeden.«

Vielleicht suchte Maeve deshalb zum Schluss intuitiv immer wieder den New Yorker auf, suchte geradezu Schutz. Denn ihre letzten Lebensjahre sind ein dunkles Kapitel. Maeve Brennan erkrankte an Schizophrenie, irrte mutterseelenallein und mittellos durch Manhattan. Michaela Karl findet wertschätzende und mitfühlende Worte: »Ihr tragisches Ende ist nicht die Quittung für die Abweichung von der Norm, sondern die Folge einer Erkrankung, die einem schillernden Leben ein trauriges Ende gesetzt hat.« Und noch etwas setzt sie dazu: »Sie hat ihre Tage sinnvoll zu nutzen gewusst, mit einem Sinn, den sie persönlich als erfüllend verstand…«

So überwiegt eine große Dankbarkeit für diese gut recherchierte glänzend geschriebene Biographie. Und irgendwie ist New York ohne Maeve Brennan für mich gar nicht mehr denkbar. Umgekehrt selbstverständlich auch nicht.

Michaela Karl: Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen. Hoffmann & Campe, 2019, 352 Seiten, gebunden, 22,- €.

Wenn ihr jetzt neugierig geworden seid und noch mehr über Maeve Brennan erfahren möchtet, dann habe ich hier noch Links zu meinen Beiträgen:

  • Interview mit Hans-Christian Oeser über Maeve Brennan
  • Rezension zur wundervollen Steidl-Gesamtausgabe
  • Rezension zu New York, New York
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3 Gedanken zu „Untrennbar – Maeve Brennan und New York.

  1. SätzeundSchätze

    Ich habe diese Biographie auch sehr gern gelesen – nachdem ich Maeve Brennan einmal über deinen Blog entdeckt habe und seither eine Liebhaberin ihrer Texte bin, danke dafür! Michael Karl schreibt auch so gut, anschaulich und lebendig, sie bringt einem die Person wirklich näher.

    Gefällt 3 Personen

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  2. sonne14

    Du hast mich neugierig gemacht auf die Geschichten. Ich mochte auch „Noch ein Martini und ich liege unterm Gastgeber“ über Dorothy Parker.
    Du musst auch unbedingt Lily Brett: Immer noch New York (Suhrkamp) lesen. Das Buch hat mich total neugierig gemacht auf die Stadt. Ich war im letzten Jahr dort und fand es toll!

    Gefällt 1 Person

    Antwort
    1. Klappentexterin Autor

      Das ist ja großartig – du warst in NY! Lily Brett liegt hier in der Tat schon bereit, eine Autorin, die ich noch entdecken möchte. Habe bisher nur Gutes über Lily Brett gehört und gelesen.

      Dir wünsche ich viel Freude mit den Kolumnen. Mögen sie dich ebenso beglücken wie mich.

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      Antwort

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