Zsuzsa Bánk über Freundschaft.

© Gaby Gerster

Zsuzsa Bánk hat mir mit ihren Büchern »Die hellen Tage«, »Der Schwimmer« und aktuell mit »Schlafen werden wir später« stets unvergesslich schöne Lesemomente geschenkt. So freue ich mich ganz besonders, dass ich die Autorin nun bei mir zu Gast habe. Zsuzsa Bánk wurde 1965 geboren und arbeitete als Buchhändlerin. Sie studierte Publizistik, Literatur und Politikwissenschaft. Die vielfach ausgezeichnete Autorin lebt heute mit ihrem Mann und zwei Kindern in Frankfurt am Main.

Klappentexterin: Wie kamen Sie auf die Idee für einen Briefroman?
Zsuzsa Bánk: Ich wollte schon lange einen Briefroman schreiben. Einen Roman, der zwei intime Einblicke ermöglicht. Mich fasziniert dieses persönliche Schreiben, radikal subjektive Literatur fand ich immer schon umwerfend, Intimitäten, Seeleneinblicke, das große Leben erzählt aus kleinen Blickwinkeln: Lebensbeichte, Lebensklage, Zweifel, Freude, Angst – das lässt sich mit dieser Form fassen, es gibt keine andere, die das so nahtlos und grenzenfrei erlaubt. Für mich war es ein Aufbruch, eine Befreiung. Vieles war möglich, fast alles. Ich musste es Johanna und Márta nur sagen lassen.

Haben Sie Vorbilder für diese Form des Romanschreibens?
Immer wieder bin ich auf solche Bücher gestoßen, Tikkanens Liebesgeschichte des Jahrhunderts hat mich schon mit zwanzig überwältigt, später dann viele Tagebücher und Briefe, auch die von Sylvia Plath, Brigitte Reimann, Maxie Wander und zahlreiche andere, jede Art von hochintensiver, hochemotionaler Alltags- und Lebensbetrachtung, die vor nichts halt macht und nichts unausgesprochen lässt, die alles sehen und beleuchten will. Zuletzt Connie Palmens quälend persönlicher Roman I.M. und Barbara Honigmanns Briefroman Alles, alles Liebe!
Ich dachte immer, genau das will ich auch machen. Ich will auch einmal so schreiben: Kopf, Herz, Körper, Alltag, Vergangenheit, Liebe und Familie – alles miteinander verbinden.

Wie lange haben Sie an dem Roman gearbeitet?
Arbeitszeit und erzählte Zeit sind zum ersten Mal nahezu identisch. Also dreieinhalb Jahre.

Was war die besondere Herausforderung an der Arbeit zu diesem Roman?
Es dauerte, bis ich ein System geschaffen hatte, in dem ich zwei unterschiedliche, voneinander getrennte Stimmen entwickeln konnte. Erst klangen sie zu ähnlich und ich glaubte, ich müsste scheitern und mein Vorhaben begraben, weil ich ja nicht schreiben will wie eine andere. Ich will ja nur schreiben, wie ich als Zsuzsa Bánk schreibe. Und eben nicht wie Johanna oder Márta. Also hätte ich das Projekt fast verworfen. Aber dann habe ich versucht, technisch vorzugehen, Johannas Sprache radikal zu kürzen, ihr die Adjektive zu nehmen, die Wiederholungen, die Gedankenspiralen und Nebensätze. Johannas Sprache ist knapp, zurückgenommen, wenig spielerisch, Mártas Sprache hingegen reich, überschwenglich, überbordend. Ungefähr ein Jahr brauchte es, bis ich wusste, aha, so schreibt die eine, so die andere. So ist ihr Wechselspiel, so ist Márta darin angelegt, und so Johanna.

Ihr Buch scheint zu polarisieren. Die einen halten es für zu gefühlig, die anderen lieben es und haben es zu ihren Herzensbüchern 2017 auserkoren. Wie erklären Sie sich das?
Das ist schon immer so. Schlimmer fände ich vielleicht, wenn meine Romane so irgendwie im emotionalen Nichts oder Halbnichts erscheinen und keinerlei Wellen werfen würden. Meine Art zu schreiben zieht auch Abwehr auf sich, manchmal geradezu hysterische Ablehnung und Wut, warum – keine Ahnung. Ich verstehe nicht ganz, wie man sich so über Literatur aufregen kann. Es ist doch nur Literatur.
Viele wollen sich nicht, können sich nicht auf meinen Ton einlassen, können sich meiner Melodie, den zahlreichen Wiederholungen darin, usw., nicht hingeben. Es graut sie, sie halten es nicht aus, es regt sie kolossal auf. Andere wiederum suchen genau das und finden es berauschend. Sie haben Angst davor, dass die Lektüre endet, dass sie die letzte Seite erreichen und heben sie sich auf.
Mein Name scheint mittlerweile schon eine Art Reflex auszulösen, sofortige Ablehnung oder sofortiger Zuspruch. Ich fände interessant, alle Bücher einer Saison ohne Namen und Bild zu veröffentlichen. Weißes Cover, darauf nur der Buchtitel. Und dann sehen, wie die Reaktionen wären.

Márta und Johanna arbeiten in ihre Mails Zitate aus Büchern mit ein. Ich habe einige erkannt. Welche verbergen sich dahinter und wie kam es dazu?
Es sind Zitate aus drei Jahrhunderten Literatur, aus Gedichten von Klopstock bis Sarah Kirsch und Nadja Küchenmeister. Aus den Märchen von Hans Christian Andersen, der Brüder Grimm, von Wilhelm Hauff, Das kalte Herz spielt ja eine zentrale Rolle in Johannas Lebenswelt. Dazu kommen Tagebücher, Briefe und Romane, die Lebensgefühl und Stimmung beider Figuren tragen und spiegeln, ergänzen oder verstärken. Die Zitate stammen alle aus Büchern, die Márta und Johanna lesen und lieben, mit denen sie sich umgeben, aus denen sie schöpfen, eine wilde Mischung aus großen Namen wie Friedrich Schiller und Paul Celan, Elizabeth Bishop und Anne Sexton, Rolf D. Brinkmann und Bernward Vesper, Brigitte Reimann und Maxie Wander und viele andere.

Márta ist für mich eine zwiespältige Protagonistin. Einerseits will sie schreiben, für sich sein, andererseits fühlt sie sich dem Alltag nicht ganz gewachsen. Und doch kann sie ohne ihre Kinder nicht leben. Ein ständiger Drahtseilakt. Haben Sie ihr nicht zu viel zugemutet?
Ich mute meinen Figuren grundsätzlich sehr viel zu. Sie müssen immer sehr viel aushalten. Mutter tot, Vater tot, schwere Krankheit, Aufstand und Flucht, zertrümmertes Leben, abgerissene Lebenspfade, Niederlagen, Entbehrungen, undundund. Es geht immer um große Verluste, um ein Trauma, das sie umtreibt und nicht freigibt. Das zieht mich hin zu meinen Figuren. Das bindet mich an sie. Ich will sehen, wie kommen sie da raus. Kommen sie da überhaupt noch einmal raus. Und ja, meistens schaffen sie es.

Haben Sie eine besondere Beziehung zu Annette von Droste-Hülshoff? Die Schriftstellerin spielt in ihrem Roman ja eine besondere Rolle.
Nun haben wir eine Beziehung, weil ich mich jahrelang mit ihr beschäftigt habe, auf ihren Spuren gewandert bin, weil ihr Bild auf meinem Schreibtisch stand.
Aber eigentlich hat Johanna sie. Seit Johanna als Mädchen Die Judenbuche aus dem Bücherregal ihrer Eltern gezogen und darin gelesen hat, wusste sie, diese Annette von Droste-Hülshoff hat etwas über sie und ihren Bruder geschrieben. Davon ist sie überzeugt. Mit der Droste verbindet sie seither viel mehr als nur das wissenschaftliche Interesse. Die Droste ist ihr eine Freundin, Gefährtin, sie ist jemand, der etwas von Johanna weiß und das aufgeschrieben hat – wenn auch schon fast zweihundert Jahre zuvor.
Zudem ist Johannas großes Thema die Natur. Über Naturlyrik schreibt sie ihre Dissertation. Da hat die Droste ihr einiges zu bieten.

Unsere Lebensumstände verändern sich. Wahre Freunde bleiben. Wie sehen Sie das?
Ja, es gibt eine stabile kleine Gruppe von Freunden um mich. Das hat sich nicht verändert, seit diese Menschen in mein Leben gekommen sind und ich mich ihnen zugehörig gefühlt habe, ist das geblieben. Seit Jahrzehnten.
Dazwischen gibt es Menschen, die kommen und gehen, ohne dass es immer einen Grund für ihr Gehen geben müsste. Das macht einfach das Leben. Wenn ich auf Lesereise bin, stehen sie irgendwann vor meinem Lesepult und sagen Hallo. Das ist ein Glück, weil sich etwas von Früher sofort wieder einstellt. Man hat doch so ein Gefühl bei echten Freunden. Man fühlt sich sofort sicher und gut. Einfach nur sicher, beschützt und rundum gut.

Die Klappentexterin dankt Zsuzsa Bánk für das Interview und wünscht der Autorin weiterhin viel Inspiration!

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