Wundersame Heilung – die Geschichten von Molly Antopol.

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Heute darf ich endlich ein Geheimnis lüften, und ich bin aufgeregt und glücklich zugleich. Denn seit vergangenem Oktober bin ich im absoluten Molly Antopol-Fieber. Seinerzeit habe ich die ersten Erzählungen aus »Die Unamerikanischen« von Molly Antopol gelesen und sprühte mit meinen Augen Funken in die dunkle Nacht. Vielen befreundeten Buchhändlern und BloggerInnen habe ich bereits von diesem großartigen Buch vorgeschwärmt. Und jetzt darf ich es in die ganze Welt hinausrufen!

Molly Antopol ist eine junge, amerikanische und höchst talentierte Autorin, die mir bislang unbekannt war. Aber jetzt stellt sie der Hanser Verlag auch den deutschen Lesern vor. Wie schön! Ihr Buch enthält acht Erzählungen, dabei sind es eigentlich acht Romane – so reichhaltig ist jede einzelne Erzählung. Somit ist dieses Buch auch eine Einladung an alle, die sich sonst vor Erzählungen eher scheuen. Inhaltlich unterscheiden sich die Geschichten, doch im Kern machen sich Parallelen bemerkbar. Da ist die Einsamkeit und Leere, die sich durch die Herzen der Menschen frisst. Da sind Tragödien, mit denen jeder Protagonist zu kämpfen hat. Und natürlich zieht sich der Titel »Die Unamerikanischen« wie ein roter Faden durch die Geschichten wie die drei Kontinente, die als Schauplatz dienen. Viele Wurzeln der Protagonisten führen nach Osteuropa und Israel, wo die Autorin für eine palästinensisch-israelische Menschenrechtsorganisation tätig war.

Molly Antopol erschafft mit ihren Erzählungen wahre Meisterwerke und dabei stets durch die überwiegende Ich-Form eine Nähe zu ihren Figuren. Sie sind wie Freunde, bei denen ich das Gefühl habe, sie schon lange zu kennen. Wohl deshalb bin ich häufig zutiefst ergriffen und fiebere mit jedem Einzelnen mit. Wie bei Howard aus der ersten Erzählung »Die alte Welt«. Howard zieht mich sofort nach dem ersten Satz auf seiner Seite: »Kein Mensch will einen Mann über seine einsamen Nächte jammern hören – ich auch nicht.« Ich mag Howards Humor und seine liebenswerte Art. Eingangs verwickelt Howard mutig eine Kundin in ein Gespräch. Was er da noch nicht weiß: Sveta ist früh verwitwet, was sie ihm kurze Zeit später erzählt. Howards Tochter ist empört über die neue Freundin, gibt es doch in der jüdischen Gemeinde mindestens zwei Frauen, die ihren Vater kennenlernen wollen. Im Vergleich zu ihrem Vater – der sich nach vierzig Ehejahren neu verlieben will – hat seine Tochter komplett andere Vorstellungen von einer Beziehung. Von ihrer Reise nach Jerusalem kehrte sie als Erleuchtete zurück und brachte ihren religiösen Freund mit, der ihre Ansichten teilt und oft Howard gegenüber den Zeigefinger erhebt. Doch Howard will es auf normalem Wege versuchen und buhlt weiter um das Herz seiner Angebeteten. Er hört nicht auf die Zweifel seiner Tochter – meint sie doch, er könnte ein Lückenbüßer sein – und heiratet Sveta. Die Hochzeitsreise nach Kiew ist der Sprengstoff in der Geschichte, von der ich mich jetzt still zurückziehe.

Ebenfalls ergreifend ist die Geschichte »Eine schwierige Phase«. Talia, einst erfolgreiche Auslandskorrespondentin in der Ukraine, findet sich unglücklich in ihrer Heimat Tel Aviv wieder. Während der Finanzkrise wurden etliche Auslandsredaktionen geschlossen, und nun arbeitet die 29jährige als Faktenprüferin bei einer kostenlosen Stadtzeitung, über die sie sich früher lustig gemacht hat, weil es dort vor »lobhudelnden Artikeln über die Geschäftsmänner« und anderen Nichtigkeiten wimmelte. Dennoch gibt sie die Hoffnung nicht auf, irgendwann wieder als Korrespondentin im Ausland tätig zu werden. Das erzählt Talia beim ersten Date Tomer. Beide übergehen einfach die oberflächlichen Small-Talk-Floskeln, öffnen sich wie durstige Blüten und fühlen sich pudelwohl. »Während sie sprach, hatte er die ganze Zeit über gelächelt, als würde es ihn allein schon beglücken, ihr am Tisch gegenüberzusitzen. Das hatte etwas dermaßen Beruhigendes an sich – nach all der Anspannung und Enttäuschung, die sie in den letzten Monaten verspürt hatte, brauchte sie mit diesem Mann einfach nur ein gemeinsames Essen einzunehmen, um ihn vor Freude strahlen zu lassen.« Nun könnte alles so einfach sein, aber nicht bei Molly Antopol. Der Meisterin spannungsgeladener, ereignisreicher Erzählungen, deren Geschichten kochende Blasen gleich aus dem Suppentopf springen. Tomer hat vor sechzehn Monaten seine Frau verloren und ist seitdem mit seiner 14-jährigen Tochter allein. Keine guten Voraussetzungen für eine glückliche Beziehung. Oder vielleicht doch?

Gleichsam erschütternd und auf besondere Weise leuchtend wie ein schöner Sommertag liest sich »Der unbekannte Soldat«. Alexi wurde gerade aus dem Gefängnis entlassen und verbringt ein Wochenende mit seinem Sohn Benny. Sein bester Freund im Knast hat ihm dafür ein Auto und eine Wohnung besorgt. Alexi hat alles liebevoll geplant, doch als sein Sohn ihn fragt, ob er das wirklich alles will, springen beide – nachdem sie in der Wohnung angekommen sind – wieder ins Auto. Alexi möchte sein erstes Wochenende in Freiheit nicht in San Francisco, sondern in Napa verbringen. Er hat nur wenige Dollars in der Tasche, und genau das macht den Ausflug zu einem abenteuerlichen Unterfangen. Beide wurschteln sich irgendwie durch, versuchen gegenseitig die Distanz, die durch Alexis Gefangenschaft entstanden ist, mit Fürsorge und Liebe zu vertreiben. Jeder auf seine Weise – und das ist äußerst berührend und bezaubernd zugleich.

Molly Antopol erzählt in ihren Geschichten nicht nur von vielen persönlichen Schicksalsschlägen, sie begibt sich auch aufs politische Parkett. Wir erfahren von Regimegegnern in Tschechien, kommunistischen Anhängern in Amerika und einer jüdischen Befreiungsarmee in Osteuropa. Genauso bezieht sie den Nahost-Konflikt mit ein, nimmt den Leser mit in eine Familie, in der zwei Söhne das gelobte Land eher widerwillig beschützen und obendrein mit einem tragischen Unfall zu kämpfen haben. Der Stil von Molly Antopol ist wie ein Strom, ein gleichmäßiger Fluss aus schönen Worten, aber auch unterbrochen und getrennt von nachdenklichen Gedanken und Einschüben. Überdies reichert sie den Lesefluss mit bemerkenswerten Bildern an, indem sie beispielsweise den attraktiven Tomer »mit der knuffigen Anmutung eines ausgestopften Bären« vergleicht. So laufe ich ihr – wie hypnotisiert – hinterher, lese mich atemlos durch die Seiten. Und bin nach jeder Geschichte auf angenehme Weise gefüllt, lächle ob der Wärme, die mich durchströmt.

Aller Tragik zum Trotz ersticke ich in keiner Sekunde in der Schwere. Dies ist der leichtfüßigen Sprache und dem besonderen Witz der Autorin zu verdanken. Jesmyn Ward stellt Molly Antopol mit Nicole Krauss und Philip Roth auf eine Stufe. Völlig zu Recht! Ich hoffe, dass noch viele nach mir dem Molly-Fieber erliegen. Übrigens ein Fieber, das heilt.

Molly Antopol: Die Unamerikanischen. Erzählungen. Aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky. Hanser 2015, 320 Seiten, 19,90 €. Das eBook kostet 15,99 €.

5 Gedanken zu „Wundersame Heilung – die Geschichten von Molly Antopol.

  1. masuko13

    Liebe Klappentexterin, endlich finde ich Zeit, deine Rezension zu lesen. Wirklich aufmerksam zu lesen.
    Von der Flut der Bücher abgelenkt, hatte ich nach zwei Erzählungen Mollys Buch erstmal zur Seite gelegt. Ein Fehler, wie ich gerade entdecke. Merci für deine Begeisterung! Sie ist immer wieder ansteckend. masuko

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    1. Klappentexterin Autor

      Liebe masuko, oh ja, bitte lies noch eins, zwei – ach, alle Geschichten – vielleicht als krönenden Abschluss aller Neuheiten? 😉 Du wirst es nicht bereuen und danach ebenfalls glücklich um dieses Buch tanzen. Alles Liebe, Klappentexterin

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  2. BlogShelf

    Liebe Klappentexterin, Könntest du dir vielleicht unseren Blog ansehen ? Wir haben erst vor kurzem begonnen und es wurde uns eine Freude machen von einer so professionalen Bücherbloggerin ein Feedback zu bekommen! Danke 🙂
    ~Annaudrey

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    1. Klappentexterin Autor

      Die Klappentexterin dankt für das Kompliment! Dann herzlich willkommen in der Blogosphäre! Gern würde ich mir eure Seite mal ansehen, wenn ihr mir dazu einen Link schicken könntet. 🙂 Viele Grüße, Klappentexterin

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  3. Pingback: Goodbye and Hello! | Klappentexterin

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