Nah und fern.

Es ist eine verstörende Geschichte, der ich mich nicht entziehen konnte. Das passt, denn um Anziehung und Abstoßung geht es hier. Der Roman beginnt mit einem Mann, der sich von Berlin nach Frankfurt/Oder begibt, um dort Fotos zu schießen. Weil die Bahn aber zu spät kommt, kauft Hermann Mildt erst gar keine Fahrkarte. Dieses Verhalten verrät schon viel über die eine Hauptperson in dem Debütroman „Silberfischchen“ von Inger-Maria Mahlke. Zu Beginn finde ich den pensionierten Polizeibeamten bereits sehr merkwürdig und irgendwie abstoßend. Ein ätzender Griesgram ist das, der aber auch Mitleid in mir erzeugt. Die junge Autorin strickt jedoch eine so faszinierende Geschichte, das man nicht anders kann und ihr folgt. Als die Schaffnerin wegen der Schwarzfahrerei Mildts Daten aufnehmen will, trifft er auf Jana Potulski. Jana ist eine polnische Putzfrau ohne Papiere. Sie entwischt jedoch und taucht kurze Zeit später an der Bushaltestelle auf. Die Polin erklärt Herrn Mildt, dass sie eine Unterkunft sucht und drängt sich ihn auf. Sie begleitet ihn bis zu ihm nach Hause. Die Wohnung wird der Schauplatz recht merkwürdiger Begebenheiten, die mir oft ein Stirnrunzeln beschert und mich nicht selten ratlos zurückgelassen haben. Was die Autorin dort erzählt, ist keineswegs abwegig. Es geht um einen alleinstehenden Witwer, der selbst von sich sagt, er stehe kurz vor der Verwahrlosung. Und eine Frau auf der Suche nach einem warmen Heim, für kurze Zeit. Nüchtern liest sich das Buch und erinnert mich an eine Dokumentation. Wenn da nicht zwischendurch die kleinen Einblicke in das Gefühlsleben des Herrn Mildt wären. Suspekt und skurril sind zwei weitere Wörter, die zum Buch passen. Wer Zeuge davon werden möchte, wie sich Anziehung und Abstoßung anfühlen, wird hier nicht enttäuscht. Ungewöhnlich, befremdlich, aber gut.

Inger-Maria Mahlke.
Silberfischchen.
Juli 2010, 199 Seiten, 16,95 €.
Aufbau Verlag.

Die Klappentexterin ♥ Inger-Maria Mahlke:
Die junge Autorin schafft es mit einem nüchternen, klaren Stil eine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen, die mich verstört und anzieht.

Über die Autorin:
Inger-Maria Mahlke wurde 1977 in Hamburg geboren und lebt heute in Berlin. Sie hat an der Berliner FU Rechtswissenschaften studiert. 2005 war sie Teilnehmerin der Werkstatt für Nachwuchsautoren unter der Leitung von Herta Müller, 2008 Autorenwerkstatt der Jürgen-Ponto-Stiftung und 2009 Auswahl für die Autorenwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin. 2009 gewann die Autorin den 17. open mike.

3 Gedanken zu „Nah und fern.

  1. klappentexterin Autor

    Fast genauso ist es mir auch ergangen, liebe Grete_o_Grete. Ich bin um das Bücherregal herumschlawenzelt, bis ich das Buch eines Tages – zack!- gegriffen habe. Ich wollte es nicht ungelesen dort stehen lassen, weil ich zu viel Gutes darüber gehört habe. Interessante Lesemomente wünsche ich dir.

    Liebe Grüße,
    Klappentexterin

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  2. sprachband

    Ha die Erfahrung teile ich! Ich bin auch ewig um das Buch rumgeschlichen bis ich es mir geholt habe! 🙂 Kann deine Rezension nur bestätigen. Empfand ich genauso.

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