1Q84 – Ein Zwischenbericht.


Du strahlst nicht. Der Satz sitzt seit einigen Tagen in meinem Kopf. Er springt wie ein Ball von links nach rechts und von rechts nach links. Ping, pong, pong, ping. Tatsächlich. Erschreckend. Ich lese den lang erwarteten Roman „1Q84“ von Haruki Murakami und strahle nicht. Die Erkenntnis traf mich, als ein sehr guter Kollege fragte, wie er mir gefällt. Während ich nach den Worten suchte, sagte er: Du strahlst nicht. Ich weiß Bescheid. Immer noch nach Sätzen ringend, schluckte ich die Feststellung. What happend? I don’t know. Und doch kann ich mich von „1Q84“ nicht lösen. Trotzdem fasziniert mich der Roman. Obwohl ich das Strahlen schmerzlich vermisse. Es stimmt. Das fehlt mir.

Woran liegt es? Der Murakami liest sich anders als erwartet. Irgendwas fehlt. Damals bei seinen anderen Büchern war mir nach den ersten Seiten sofort warm. Ich spürte Sonnenstrahlen im Gesicht, überall: Auf der Nasenspitze und auch zwischen den Wimpern. Obwohl draußen ein kalter trüber Wintertag herrschte, glühte ich wie eine heiße Lavamasse, die der Vulkan eben ausgespuckt hatte. Momentan werde ich das Gefühl nicht los, als wäre da ein schmutziges Fenster zwischen mir und Murakami. Ich spüre wenig und habe taube Stellen, die sonst vor Esprit nur so sprühten, wenn ich den Japaner las.

Die anderen Romane, die ich von Murakami gelesen habe, sind alle in der Ich-Form geschrieben. Dieser hier nicht. So war ich an den Menschen in seinen anderen Werke näher dran. Wie ein kleines Vögelchen saß ich auf den Schultern und spürte den Herzschlag, die Gedanken waren mir näher und alles fühlte sich irgendwie weicher an. Die Sprache war lässiger. Als würde ich meine Lieblingsjeans anziehen und einen feinen Blazer dazu. So lässig ungefähr. Locker, aber klassisch hochwertig.

Jetzt bewege ich mich auf einer langen nicht enden wollenden Straße, die eben ist, denn flüssig liest sich „1Q84“. Und in regelmäßigen Abständen blitzt es zwischen den Seiten und den Augen. Es tauchen Sätze auf, die durch eine wunderbare Schlichtheit glänzen und doch tiefe Brunnen sind, in die ich mich fallen lasse. Dort hocke ich dann und fühle mich einsam. Auf eine angenehme Art und Weise. Das zeichnen seine Romane aus. Man ist gern mit sich und den Worten allein. Nur dieses Mal will sich die vertraute Wärme einfach nicht einstellen. Warum nur nicht? Verflixt und zugenäht! Vielleicht bin ich es, die sich verändert hat? Vielleicht war die Erwartung zu groß? Vielleicht hat sich aber auch der Autor verändert und mit ihm sein Schreibstil? What happened? I don‘ t know.

Und doch lese ich ihn gern. Für mich sind Murakamis Bücher wunderbare Welten. Mystisch und manchmal märchenhaft. Und unwahrscheinlich skurril. Nichts bleibt in den Händen liegen, alles flüchtet zwischen den Fingern. Auf und davon. Ehe ich mich versehe, laufe ich allen mit einem Lächeln im Gesicht und einem roten Kopf hinterher. So auch jetzt.

Just in dem Moment, als ich das erste Buch von „1Q84“ beendet habe, schleicht sich eine Hoffnung in meinen Kopf: Vielleicht kann man einen Roman auch lieben, selbst wenn man nicht strahlt.

13 Gedanken zu „1Q84 – Ein Zwischenbericht.

  1. Ada Mitsou

    Und vielleicht zeichnet das neueste Werk nicht unbedingt Wärme aus, dafür aber ein Aspekt, den es bisher so nicht gab, der aber auch etwas auslösen kann? Ich weiß es noch nicht, aber wir werden es herausfinden 🙂

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  2. klappentexterin Autor

    So schade und traurig es ist irgendwie ist, bin ich doch beruhigt, dass ich nicht allein mit den Gedanken bin.
    Liebe Ada, wovon sprichst du konkret?
    Liebe Bibliophilin, ich schlage vor, den nächsten Vollmond in zwei Stücke zu teilen. Ein anderes Rezept habe ich zur Zeit leider nicht. Vielleicht Ada?

    Herzlichst,
    Klappentexterin

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    1. Ada Mitsou

      Ich spreche davon, dass man manchmal seine gewohnten Empfindungen während des Lesens über Bord werfen muss, um neue gute Aspekte in einem Buch finden zu können.
      Wenn z.B. jedes Buch von Murakami ein warmes Gefühl in dir erzeugt hat, es aber diesmal ausbleibt, dann versuche dich von den Erinnerungen an den gewohnten Effekt zu lösen und betrachte das Werk als eigenes ohne Vorgeschichte. Lese es so, als wäre es das erste des Autors, das du zur Hand genommen hast. Und vielleicht entdeckst du dann eine Wirkung, die nicht im Schatten der nicht vorhandenen Wärme untergeht, sondern für sich selbst auf ganz neue Weise spricht und beeindruckt.
      Von etwas Konkretem kann ich noch nicht sprechen, da ich ja auch erst bei der Hälfte bin und somit auch nicht weiß, ob noch ein besonderer Effekt erzeugt wird.
      Doch manchmal hilft es, wenn man Altes loslässt und den Blickwinkel verändert, um die Besonderheit eines (im wörtlichen Sinne) ungewöhnlichen Buches unvoreingenommen entdecken zu können.
      Letztlich ist das aber erstmal nur eine Angelegenheit des Lesens und sagt noch nichts über die Qualität des Werkes aus.

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    2. flattersatz

      liebe klappentexterin,

      mit traurigkeit habe ich deinen text gelesen… aber nicht ganz unerwartet. ihr alle hattet euch so gefreut auf das buch von murakami, ward so voller hoffnung, erwartung und auch anspruch, daß ich des öfteren still in mir dachte: hoffentlich werden sie nicht enttäuscht, kann dieses buch diese vielen erwartungen erfüllen!

      es tut mir sehr leid, daß dies offensichtlich nicht der fall ist. aber trotzdem (du deutest es ja schon an und auch ada schreibt es): nehmt das buch als buch so wie es ist, löst es von euren erwartungen, messt es nicht an ihnen, sondern nehmt das buch einfach als buch wahr, seinen inhalt, seinen stil, seine wirkung. vielleicht haben einfach auch eure hoffnungen das buch nicht wachsen lassen in euch, weil dieses werk murakamis von ihm in eine andere richtung gelenkt wurde, die ihr im moment noch nicht wahrnehmt/-en könnt…

      … und vllt könnt ihr dann so eine andere facette eures lieblingsschreibers erkennen, die euch an neue, zusätzliche liebe zu seinem werk eröffnet… ich wünsche es euch!

      liebe grüße
      flattersatz

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  3. karfie

    Oh, ich war ja von „Kafka am Strand“ nicht begeistert, vielleicht habe ich doch noch Hoffnung. Fange ja erst in ein paar Tagen mit dem Buch an…

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  4. Slaktus (Marcel)

    Guten Morgen Klappentexterin, zum Zweiten =)

    Ich habe ja schon etwas diesbezüglich auf Reading Murakami geschrieben. Aber da du hier ein Zwischenfazit abgibst, gehe ich einmal mehr darauf ein.

    Also euere Meinungen sind absolut verständlich. Auch bei mir war das so. Man liest und liest, wenig passiert und vermisst dazu Murakamsche Elemente. Aber ehe ich mich versah, war ich bereits auf Seite 500. Unglaublich kurzweilig das Ganze. Doch ich war begeistert davon wie Murakami seine Charaktere beschreibt. Wie Märchenhaft er die Geschichte von Tengos Kindheit erzählt. Wie distopisch er auf die Kindheit von Aomame eingeht. Viele Fragen, viele Rätsel, keine Auflösung. So weit, so gut.

    Doch dann kommt Buch 2.
    Murakami kann, nachdem er sich im ersten Buch ganz mit den Charakteren beschäftigt hat, nun endlich das tun was er immer tut. Skurril und einfach wunderbar surreal sein. Das erste Mal habe ich dies bemerkt als der Charakter „Ushikawa“ auftauchte. „Ushikawa“ ist ein typischer Charakter aus der Murakami Welt. Ein Mann, dessen komplettes Aussehen provokant und vulgär ist. Ein Mann der so grauenhaft schrecklich aussieht das es sämtlicher Logik entspricht. Die Situation als in Tengo das erste Mal sieht ist einfach grandios. Wahrscheinlich erging es nur mir so, aber ich habe Tränen gelacht.

    So geht es dann aber auch weiter. Murakami setzt, besonders gegen Ende, auf altbewährte tolle Stilmittel die er mit seinen neuen Elementen kombiniert. Hat er in Buch 1 eine tolle Grundlage erschaffen, spielt er seine surrealen und skurrilen Möglichkeiten in Buch 2 einfach wunderbar aus. Es macht spaß zu lesen. Es bleibt spannend. Er trennt sich mehr von den gesellschaftskritischen Themen und nimmt den Leser wie schon bei Kafka am Strand in eine traumhafte Welt mit. Murakami ist ein ganz großer Erzähler. Einen beweis dafür liefert er erneut mit der „Stadt der Katzen“, eine Geschichte die später im Buch erzählt wird. Aber lasst euch selbst überraschen falls ihr da noch nicht angekommen seid.

    Aber auch ich hatte nach dem ersten Buch meine Bedenken. Ich schließe mich deiner Meinung absolut an. Obwohl sich 1Q84 fabelhaft gelesen hat, blieb eine kleine Ernüchterung im ersten Buch zurück. Doch ich sage einfach mal das ein Haruki Murakami da von Anfang an gewusst hat was er tut. Natürlich wollte er einmal etwas völlig neues ausprobieren. Aber er wusste ebenfalls das es nicht möglich ist dies in drei Büchern so fortzuführen. Und genau das gelingt ihm besonders in Buch 2.

    Auch Ada hat natürlich recht. Man muss irgendwie versuchen, besonders am Anfang, 1Q84 nicht mit anderen Werken von Haruki Murakami zu vergleichen. Natürlich ist das unglaublich schwer. Für einen echten Murakami Fan wahrscheinlich unmöglich. Ich muss auch immer wieder vergleichen.

    Doch habe ich am Anfang der Besprechungen noch geschrieben das Murakami hier noch unter seinen Möglichkeiten schreibt, muss ich dies jetzt natürlich korrigieren. Ich habe zwar noch fast 200 Seiten vor mir, aber schon jetzt weiß ich genau das ich mich riesig auf Teil 3 freue. Die Ernüchterung der ersten Abschnitte ist völlig verflogen. Ich hoffe das euch das Buch auch noch so begeistern wird wie es mich aktuell begeistert.

    Der Grund wieso sich das Buch anders liest ist eigentlich simpel. Es ist nicht der fehlende Ich Erzähler. Es ist die Geschichte von Aomame. Die ist extrem düster. Ungewohnt bei Murakami solche Themen zu lesen. Und in diesem Kontrast steht Tengos Geschichte. Ein klassischer Murakami Held mit klassischen Murakami Stilmitteln. Auch Aomames Geschichte wird noch mystisch und geheimnisvoll. Aber es sind ihre Abschnitte die die Geschichte Murakami untypisch erscheinen lassen. Was Murakami uns aber eigentlich hier zu erzählen versucht ist eine Geschichte über zwei einsame Menschen. Vielleicht gehe ich damit sehr weit, aber 1Q84 ist eine Liebesgeschichte =)

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  5. klappentexterin Autor

    Ihr Lieben,

    habt vielen Dank für eure Gedanken!! Ich verneige mich und lächle. Heute bleibe ich an dieser Stelle jedoch ohne Worte, weil ich der Zeit hinterherlaufe, aber ich wollte eure wunderbaren Beiträge nicht so lang allein stehen lassen.

    Herzlichst,
    Klappentexterin

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  6. klappentexterin Autor

    Liebe Ada,

    du hast Recht und ich habe mich im Laufe des Lesens von dem Murakami gelöst. Wenn wir Menschen uns ändern, warum sollen es nicht auch Autoren tun? Gerade dadurch steigt die Hochachtung für den Autor noch mehr, wenn es ihm gelingt, aus seinen bekannten Gefilden in neue zu steigen. Das nenne ich Kunst. Das zweite Buch gewinnt – wie Slaktus – schon sagte, enorm. Da ist er wieder der Murakami, wie man ihn kennt. Ich habe nun losgelassen und treibe im neuen Murakami-Gewässer.

    Lieber Flattersatz,

    das sind die Nebenwirkungen, wenn man zu hohe Erwartungen hat. Sicherlich war die Enttäuschung groß, aber nun schrumpft sie immer mehr. Murakami ist und bleibt ein großer Meister der Literatur, vor dem ich mich nur verneigen kann. Wie du es uns geraten hast, mache ich es nun auch: Ich nehme das Buch wie es ist. Blicke nicht zurück, sondern lese nach vorn, mit jeder Seite. Wie wahr, er hat eine neue Facette, von der ich mich nicht lösen kann und ich zögere die Seiten immer mehr hinaus. Genieße sie Schluck für Schluck wie man einen guten Wein trinkt.

    Liebe Karfie,

    ich wünsche dir schon jetzt viele besondere, verdrehte Lesestunden mit dem Werk, denn verdreht sind sie.

    Lieber Slaktus,

    ich habe deinen Kommentar gelesen und oft genickt. Es stimmt, das zweite Buch ist ganz anders als das andere und es tauchen auch Personen nach alter murakamischer Manier auf. Ushikawa ist eine typische Murakami-Person. Es ist ein Märchen besonderer Art und vielleicht wäre es zu warm geworden, wenn er in seinem alten Stil diese unglaubliche Geschichte geschrieben hätte. Es stimmt: Er erzählt die Geschichte von zwei einsamen Menschen, aber so schön, dass man gern mit ihnen zusammen einsam ist.

    Mit besten murakamischen Grüßen

    Klappentexterin

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  7. Luna

    Haruki Murakami ist einfach top.
    Fast alle seiner Bücher gelesen, nein, verschlungen; nicht enttäuscht geworden. Nur „Gefährliche Geliebte“ liegt immer noch bitter im Magen. Nun gut, ich freu mich auf meine freie Zeit, die ich für sein neuestes Buch „opfere“.
    “ Er erzählt die Geschichte von zwei einsamen Menschen, aber so schön, dass man gern mit ihnen zusammen einsam ist. “
    Besser hätt ich es nicht ausdrücken können.
    Schön, dass es noch andere Murakami-Fans gibt 🙂

    Luna

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  8. klappentexterin Autor

    Hallo Luna,
    ich nicke in deine Richtung und freue mich wie du, dass es noch andere Murakami-Fans dort draußen gibt. Was genau ist dir bei „Gefährliche Geliebte“ so bitter aufgestoßen? Wie findest du „1Q84“?

    Mit besten murakamischen Grüßen

    Klappentexterin

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  9. Luna

    Hallo Klappentexterin,

    Zu „Gefährliche Geliebte“: was mir genau bitter augestoßen ist, kann ich nicht ganz benennen… ich glaub, das war die komische, undurchsichtige Art von Shimamoto und die (für mich unsympathische) Vergangenheit Hajime´s.

    Sein neuestes Werk ist ja grenzgenial, wenn ich nicht so wahnsinnig viel zu tun hätte, wär ich schon fertig damit!
    Ebenfalls liebe Grüße
    Luna

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  10. Pingback: Das fremde Buch des vertrauten Herrn Murakami. | Klappentexterin

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