Baeschlin VerlagVielleicht ist Solothurn genau der richtige Ort, um dem Geheimnis des Schreibens auf die Spur zu kommen. Denn dort konnte ich innerhalb weniger Tage einige Lesungen erleben und interessanten Gesprächen mit Autoren lauschen. Wo Herr Klappentexter über das große Ganze geschrieben hat, widme ich mich nun vorrangig den Lesungen sowie den kleinen bezaubernden Dingen vor und hinter den Kulissen.
Archiv der Kategorie: Literaturnotizen
Als ich an einem Nachmittag im September den 100%igen „Mister Aufziehvogel“ sah.
Unsere sonntägliche Begegnung war vollkommen unerwartet, wie ein Luftzug, der gern mal an der Ecke auf einen lauert und die Haare durcheinander wirbelt. Ehe man sich versieht, ist es geschehen. So auch mit „Mister Aufziehvogel“ und mir. Da lag er vor mir, war umgeben von vielen anderen Büchern und wartete auf einen neuen Besitzer. Ich nahm ihn in die Hand und freute mich darüber, wie gut erhalten er war. Ganz entzückt griff ich nach meiner Kamera und hielt diese zauberhafte Begegnung lächelnd fest. Wie schön er doch aussah! Noch nach vielen Jahren kann ich mich an dem Cover einfach nicht satt sehen, es ist ein buntes Regenbogenwunder. Gut, ich weiß auch, was mich dahinter erwartet, aber auch ohne das Wissen verführt er mich immer wieder.
„Mister Aufziehvogel“ und ich. Ja, wir haben schon eine sehr besondere Beziehung. Immerhin war es der erste Roman von Haruki Murakami, den ich mit Anfang Zwanzig gelesen habe. Er war viel mehr als ein schräger japanischer Autor, er war eine Bombe, die meinen Geist zur Explosion brachte und gleichzeitig mein Herz auf wundersame Weise berührte. Seine Sprache hüllte mich ein und raubte mir den Verstand, obwohl man auch den Kopf braucht, um sich in Murakamis Welt fortbewegen zu können. Was für ein Gegensatz! Aber so ist das bei Murakami, in seinen Büchern lösen sich alle Gesetze und Formeln in Luft auf, aus einer festen Wirklichkeit wird eine schwimmende fantastische Welt der großen Wunder.
Im Nachhinein bereue ich schon ein bisschen, dass ich den Roman mit so jungen Jahren gelesen habe, heute würde ich ihn anders lesen und aufnehmen, noch mehr aus ihm herausziehen. Damals gab es gerade einen Bruch in meinem Leseverhalten. Aus Trivialen wurde Tiefes, das ich mit meiner Schwimmbrille entdecken wollte. Damals begann ich viel mehr in Büchern zu suchen als nur bloße Unterhaltung. Die Literatur sollte von da an brodeln, mich gegen die Wand schleudern und Antworten auf meine zahlreichen Fragen geben. Ich wollte aufwachen und die Erkenntnis mit jeder Seite aufsaugen. Genau in diesem Prozess machte ich die Bekanntschaft mit „Mister Aufziehvogel“. Wie ich ihn entdeckt habe? Durch Kazuo Ishiguro. Ich hatte gerade wehmütig „Als wir Waisen waren“ beendet, war begeistert von dieser Literatur und PLONG schon schritt das Buch als Empfehlung des Verlages in meinen Blickwinkel. Als ich „Mister Aufziehvogel“ in den Händen hielt, wusste ich noch nicht was danach alles passieren würde.
Viel hat sich seitdem ereignet. Nach dem Buch folgten alle Haruki Murakami-Titel, die ich gelesen habe. Darüber hinaus wuchs die Faszination für andere japanische Autoren wie Banana Yoshimoto und für das Land der aufgehenden Sonne. Und ganz ehrlich, ohne „Mister Aufziehvogel“ würde ich jetzt den Blog nicht füllen. Ja, „Mister Aufziehvogel“ und ich haben schon eine besondere Beziehung, auf immer für die Ewigkeit.
Ein anregender Spaziergang in Bernhard Schlinks Gedanken.
„Alles Schreiben ist Schreiben über die Vergangenheit. Ich kann nur über das Schreiben, was ich kenne, und ich kenne nur, was schon geschehen und also vergangen ist.“ Das sind die ersten beiden Sätze, mit denen Bernhard Schlink seine Heidelberger Poetikvorlesungen aus dem Jahr 2010 beginnt, die der Diogenes Verlag dieses Jahr herausgebracht hat. In dem schmalen Band „Gedanken über das Schreiben“ öffnet der Autor die Vorhänge und lässt seine Leser hinter sein Schaffen schauen.
Bernhard Schlink beschäftigt sich in „Gedanken über das Schreiben“ mit drei zentralen Themen: der Vergangenheit, der Liebe und der Heimat. Das erste Kapitel widmet sich der jüngsten Vergangenheit. Der Autor hinterfragt, inwiefern man diese am besten darlegen kann. Sein Blick wandert dabei zu den Erwartungen der Opfer wie die des Dritten Reichs und der DDR. Hierbei geht Bernhard Schlink auf die geforderte Wahrhaftigkeit der Literatur ein: „Wie steht es, wenn Literatur gar nicht beansprucht, Tatsachen zu präsentieren? Wenn sie ein Märchen, eine Komödie, eine Satire bietet und sich gewissermaßen definitionsgemäß nicht auf das beschränkt, was geschah oder hätte geschehen können?“
Die große Sorge, die in allem mitschwingt, ist die Angst, dass schreckliche Ereignisse wie der Holocaust durch Fiktionalität die volle Wahrheit verlieren, doch eine gute Geschichte kann dasselbe leisten wie eine Dokumentation. Als Beispiele nennt er die Autoren Primo Levi und Imre Kertész. Bei Literatur gehe es ebenso darum, dass sie uns die Wirklichkeit erklärt und uns das Leben anderer näher bringt, so aus Fremden Vertraute macht. Wir leiden, fiebern, fühlen mit anderen Menschen und sind ihnen dadurch nah. Das ist die eine Seite. Die andere erinnert eher an dünnes Eis, das leicht einbrechen kann, denn das Schreiben über die Vergangenheit birgt immer die Gefahr, andere zu verletzen wie es die jüngste Vergangenheit selbst getan hat. Aus diesem Grund bleibt die literarische Verarbeitung dieses Themas insgesamt ein zweischneidiges Unterfangen, denen sich der Autor nicht durch Regeln unterordnen möchte und deren Gefahr er sich bewusst ist: „Aber ich kann auch nicht aufhören, meine Geschichten zu schreiben, wenn sie in dem gekennzeichneten doppelten Sinn stimmen.“
Im zweiten Kapitel äußert sich Bernhard Schlink über die Liebe, die in seinen Geschichten oft aus dem Normalen ausbricht, denken wir beispielsweise an Hanna Schmitz aus „Der Vorleser“, die doppelt so alt ist wie Michael Berg. Bernhard Schlink verrät in dieser Passage, warum er sich von der normativen Vorstellung des Gefühls distanziert. Was genau er dazu sagt, verehrte Leser, verrate ich nicht, möge dies der Autor selbst übernehmen.
Im Schlusskapitel beschäftigt sich Bernhard Schlink mit der Heimat, die – glaubt man dem Autor – ihren Ursprung in der Kindheit hat: „Es war die Kindheit, von der alles ausgeht und hinter die nichts zurückführt, der Anfang, an dem wir zwar Fragen haben, aber uns noch nicht fraglich geworden sind, an dem uns die Menschen und die Welt Rätsel aufgeben, aber noch keine, über denen wir an den Menschen und der Welt zweifeln oder gar verzweifeln würden.“ Er betrachtet die Kindheit als Heimat, einen Ort, nach dem wir uns immer sehnen. Eine schöne Vorstellung wie ich finde, das allein reicht dem Autor nicht und holt in der Passage noch weiter aus, worauf ich nicht näher eingehen möchte, da das Lesen der Lektüre wie ein anregender Spaziergang war, den ich für euch offen lassen möchte.
Der Kopf bewegt sich in dem Buch oft vor und zurück, der Geist ist hellwach und erfreut sich an den nachdenklichen Sätzen. Es sind nur wenige Seiten, gerade mal 96, und doch habe ich das Gefühl, es dort steckt viel mehr drin. Durch die intensive Beschäftigung der drei zentralen Themen zieht sich eine lange Strecke an Gedankengut durch das Buch, das über die wenigen Seiten hinausgeht. Ehe man sich versieht, sitzt man mittendrin im Schaffensfluss eines Schriftstellers. Wie entsteht Literatur? Wem die Frage nicht neu ist, findet in dem Buch zahlreiche Antworten.
Trotz der vielen Denkanstöße bleibt der Blick scharf, ist vollkommen transparent, denn Bernhard Schlink präsentiert seine Gedanken in einer klaren und feinfühligen Sprache. Er bietet mit seinen Vorlesungen sehr spannenden Gesprächsstoff, der gerade für einen Lesezirkel eine äußerst anregende Lektüre sein kann oder für einen Sonntagnachmittag, an dem man Appetit auf geistige Nahrung hat.
Bernhard Schlink.
Gedanken über das Schreiben: Heidelberger Poetikvorlesungen.
Mai 2011, 96 Seiten, 18,90 €.
Diogenes Verlag.
Literatur im Radio.
Es ist ja nun nicht so, dass ich zu wenig Bücher hätte oder mich langweilen würde. Aber ich bin ein neugieriges Wesen, das immer auf der Suche ist. Jetzt habe ich das gute alte Radio entdeckt – genauer gesagt:
Deutschlandradio Kultur.
Den ganzen Tag über gibt es dort spannende Beiträge, denen ich zu bestimmten Zeiten folge und die sogar kleine Überraschungen für mich parat haben. So konnte ich am vergangenen Dienstag zum ersten Mal Haruki Murakami live sprechen hören, was für mich ein besonderes Ereignis war. Der japanische Autor kam im Zuge eines Beitrages zu Wort, in dem die künstlerische und literarische Verarbeitung von Naturkatastrophen in Japan thematisiert wurde.
Deutschlandradio Kultur bietet darüber hinaus Hörspiele an, die man sich im Nachhinein auf der Homepage anhören kann.
Schaut einfach in eure Programmzeitschrift oder direkt bei Deutschlandradio Kultur auf der Homepage. Ihr werdet bestimmt etwas Interessantes finden. Und vielleicht habt ihr für mich noch andere Hörfunk-Tipps, denn ich bin – wie gesagt – ständig auf der Suche nach guten Dingen, die mich bereichern.
Eine kleine Literaturwissenschaft.
Für die einen spielt die Literatur eine große und für die anderen eine kleinere Rolle. Bedeutungsvolle Gründe stellen sich neben leichte Ansprüche. Beide unterscheiden sich erheblich und sind gleichzeitig wichtig, geradezu notwendig für ein abwechslungsreiches Leben, das Spannungen und Reibungen erzeugt. Ich genieße ja selbst beides, Leichtes und Schweres.
Doch wie komme ich überhaupt auf so einen Gedanken? Durch ein Buch. Welch Wunder! Genauer betrachtet haben mich Kommentare zur Rezension „Little Bee“ angestoßen über die Vielseitigkeit der Literatur nachzudenken.
Welche Aufgabe hat die Literatur? Einen Bildungsauftrag?
Da reiben sich bestimmt einige Lehrer die Hände und rufen im Chor: „Jawohl!“ Na, ganz so einfach ist es nun wieder auch. Literatur in der Schule hatte für mich oft was Schales, schmeckte wie abgestandene Limo, kein Prickeln, einfach nur flüssig und für mich alles andere als lehrreich, eher nervig. Wie soll es auch aufregend sein, wenn ich nicht selbstbestimmend das lesen darf, was ich möchte? Sicherlich gab es schon ganz spannende Werke, die mich in unbekannte Zeiten geschifft und zu Denkanstößen angetrieben haben, aber im Großen und Ganzen hat mich Literatur in der Schule gelangweilt, gelernt habe ich viel lieber im wirklichen Leben.
Dient die Literatur nur zur Unterhaltung?
Kann sie uns von dem faden Alltag, den Sorgen und Nöten, den Pflichten und Aufgaben ablenken? Ja, klar! Unbedingt! Dauerhaft wäre reine Unterhaltungsliteratur für mich nichts, denn ich brauche auch die Herausforderung, das Hauen und Stechen. Nun stehe ich nicht für die Allgemeinheit, die das vielleicht ganz anders sieht. Eine sehr gute Freundin von mir liest vorzugsweise nur leichte Lektüren, weil sie für mehr einfach keinen Raum hat: Mann, Kind, Pferd, Hunde, Haushalt, Job. Die Liste ist lang, die Zeit knapp und die Ressourcen im Kopf begrenzt. Was soll sie da noch mit einem anspruchsvollen Buch, das nicht nur unterhält? „Wenn man es auch mal genauer nimmt“, sagt sie, „hat sich das Leseverhalten der Menschen auch deshalb so gewandelt, weil die Ansprüche im Job enorm zugenommen haben.“ Da kann ich junges Ding noch nicht mitreden, doch ich glaube meiner älteren Freundin gerne, lächle über die Erkenntnis und versuche die Schnelllebigkeit der Bücher und die aktuelle Bestsellerliste besser zu begreifen.
Oder soll die Literatur unsere Welt verändern?
Das dominierende Soll streichen wir erst einmal, denn vom Sollen darf bei Literatur nicht die Rede sein. Sie ist ein Kann-Objekt, das anlockt und uns freistellt ob wir sie lesen wollen oder nicht. Was kann ein Buch mit einer Geschichte bewegen? Kann es die Armut ins Nirwana schicken? Kann es Kriege auslöschen? Kann es die Geldgier der Menschen ersticken? Nein, gar nichts von allem. Darin sehe ich auch nicht die Aufgabe. Viel mehr treffe ich sie im Kopf, denn genau dort findet Literatur nun mal statt. Sie setzt etwas in Gang, aus Stillstand wird Bewegung und jeder Mensch hat seine eigenen Vorstellungen. Einige sagen: „Das bringt doch eh nichts!“ und werfen kurz noch das bekannte „Der Tropfen auf dem heißen Stein“ hinterher. Doch ist das wirklich so? Kann man mit kleinen Aktionen nicht etwas anstoßen? Die Welt wird nicht automatisch besser, nur weil wir solche Bücher lesen, aber wir denken darüber nach und tauschen uns aus. Manchmal vergessen wir vieles, sind von den Medien so übersättigt, dass wir abschalten, was ja auch gut ist, denn auch wir brauchen Atempausen. Doch ganz vergessen sollten wir das nicht, was draußen passiert. Wie schön ist es dann, wenn uns ein Buch eines Tages wieder darauf aufmerksam macht. Und wie gut, dass es da ist, denn stellt euch nur vor was würde eigentlich passieren, wenn es keine Literatur mehr gäbe?
Wie ihr seht, hat die Literatur zahlreiche Bedeutungen, so viele, dass man sie nicht in ein festes Korsett schnüren kann. Es gibt per se keine allgemein gültige Form für die Rolle, die sie spielt, denn für jeden Menschen sieht sie anders aus. Dennoch möchte ich gerne wissen, wie ihr die Literatur seht.
Was ist besonders wichtig? Mit welchen Erwartungen geht ihr an Bücher heran? Habt ihr vielleicht einschneidende Erfahrungen mit Büchern gesammelt, die euer Leben auf dem Kopf gestellt haben?
Soweit meine heutige kleine Literaturwissenschaft.
^-^ Frohe Ostern! ^-^
Ich wünsche euch allen ein wunderschönes Osterfest! Mit zauberhaften, glücklichen Momenten und natürlich auch mit feinen Lesestunden! Dazu gesellt sich an dieser Stelle noch ein kleiner lyrischer Gruß von Kurt Tucholsky:
Ostern
Da ist nun unser Osterhase-!
Er stellt das Schwänzchen in die Höh
und schnuppert hastig mit der Nase
und tanzt sich einen Pah de döh!
Dann geht er wichtig in die Hecken
und tut, was sonst nur Hennen tun.
Er möchte sein Produkt verstecken,
um sich dann etwas auszuruhn.
Das gute Tier-!
Ein dicker Lümmel
nahm ihm die ganze Eierei
und trug beim Glockenbammelbimmel
sie zu der Liebsten nahebei.
Da sind sie nun. Bunt angemalen
sagt jedes Ei: „Ein frohes Fest!“
Doch unter ihren dünnen Schalen
liegt, was sich so nicht sagen läßt.
Iß du das Ei! Und laß dich küssen
zu Ostern und das ganze Jahr…
Iß nur das Ei! und du wirst wissen
was drinnen in den Eiern war-!
(Kurt Tucholsky, Gedichte, 1983, Rowohlt Verlag)
♥ lichst,
eure Klappentexterin
Wie kommt Lily Lux eigentlich ins Buch?
Das wollte ich wissen. Wie Buchstaben leere Seiten füllen, weiß ich. Aber wie eine zauberhafte Figur den Weg dorthin findet, war mir unbekannt. Also habe ich Iris Luckhaus gefragt, die in einem Making Of erklärt, wie das funktioniert.
Iris Luckhaus:
„Ich kann hier gern als Beispiel den Arbeitsablauf aus „Die wunderbare Welt der Lily Lux“ zeigen. Grundsätzlich habe ich einige verschiedene, meinen jeweiligen Zeichenstilen angepasste Arbeitsweisen, die aber immer eine ähnliche Abfolge von Entwurf und analoger Skizze über eine elektronische Korrektur hin zur Originalzeichnung beinhalten.
1. Vorarbeit und Characterdesign
Am Anfang steht immer eine Idee, eine Figur, ein Characterdesign und -styling, der ganz grobe Aufbau einer Welt drumherum und ein inhaltlicher Entwurf (hier nicht abgebildet), der besprochen werden kann.
Für Lily Lux war in dieser Phase eine rundherum durchdachte Figur mit eigenem Stil und speziellen Kleidungsstücken und Accessoires besonders wichtig, da diese nicht nur im Buch verarbeitet, sondern ggf. auch über mehrere Bände beibehalten werden und als magnetische Ankleidepuppe mit wiedererkennbaren Dingen funktionieren sollte.
Um eine in sich schlüssige Welt zu erfinden, habe ich für Lily Lux auch einige Aufrisspläne gemacht und Mobiliar entworfen und dabei besonders das doppelseitige Layout berücksichtigt: In der Wohnung befinden sich Türen meist links im Raum, um Platz für Szenen zu bieten, während sich auf der rechten Seite Texte und weitere Details befinden.
2. Entwurf, Planung und Storyboard
Sobald ein Projekt konkret wird, beginnt die Planungsphase. Als erstes entstehen unzählige Seitenideen, die grob auf Kärtchen skizziert werden und anhand derer wir dann entscheiden, ob Szenen im Buch landet und wenn ja, wo genau. Manchmal gibt es mehrere Entwürfe für Text und Bild und die Entscheidung für einen davon fällt dann während oder nach dem Erstellen der Reihenfolge. Häufig lassen sich auch mehrere Ideen zu einer Seite verdichten.
3. Skizzen
Im nächsten Schritt werden Maße und Layout schließlich festgelegt und darauf aufbauend Szenen und Hintergründe konstruiert. Davon ausgehend entwickle ich die Figur und ihre Posen. Dies geschieht mit Hilfe ausgedruckter Basisfiguren und diverser maßstabsgerechter Räume, Möbel und Dinge, die ich entweder einzeichne oder temporär auf oder neben den Zeichenbogen klebe.
4. Zeichnung
Schließlich werden die Posen und nebenbei entstandene Skizzen gescannt und meine Arbeit geht digital weiter. Zunächst säubere ich die Linien und oft füge ich auch mehrere Skizzen zu einer einzigen zusammen, um die richtige Pose zu finden und in die Raumsituation anzupassen. Manche Planungs- oder Zeichnungsfehler stellen sich erst in dieser Phase heraus und können hier noch leicht korrigiert werden.
Außerdem lege ich hinter der gezeichneten Figur Farbflächen und Muster als Ebenen an, auch wenn diese oft erst im Originalbild ihre richtigen Farben erhalten – es hilft beim Korrigieren, die Zeichnung flächig zu betrachten. Meist wechsle ich stündlich zwischen normaler und spiegelverkehrter, farbiger und schwarzweißer Ansicht, um Arbeitsblindheit zu vermeiden und Fehler möglichst früh zu bemerken.
5. Layout und Raum
Parallel dazu entsteht nun eine Raumsituation für die Figur und Bildelemente wie Gebäudeteile, Möbel, Figuren, Hausrat, Geschirr, usw., die sich auf einzelnen, verschiebbaren, ineinander verschachtelten Ebenen befinden und schließlich miteinander interagieren werden. Einige der volleren Seiten aus „Die wunderbare Welt der Lily Lux“ haben bis zu 1.000 bewegliche Ebenen und lassen sich wie eine reale Bühne behandeln und aufräumen.
6. Ebenen und Archive
Die unzähligen einzelnen Elemente fasse ich gleichzeitig auf Sonderbögen zusammen und kann sie für verschiedene Bilder nutzen. Außerdem notiere ich mir für eventuelle Änderungen, welches Element auf welcher Seite vorkommt und was es für eine Geschichte und für einen Charakter hat. Das führt oft zu seitenübergreifenden, internen Geschichten, von denen der Leser erst auf den zweiten, dritten oder vierten Blick erfährt.
7. Zusammenfügen und Korrigieren
Der schönste Schritt ist immer, Figur und Hintergrund zusammenzufügen und zu sehen, wie beides lebendig wird, langsam dem Bild entspricht, das es bis dahin nur in meinem Kopf gegeben hat, und sich oft auch noch weiterentwickelt. Von diesem Punkt an finde ich es auch wichtig, statt an einzelnen Szenen wieder mehr mit dem ganzen Dokument zu arbeiten und übergreifend zu denken.
Nun wird in unzähligen Phasen weiterkorrigiert und viel besprochen; Details verschieben sich, Elemente gewinnen an Charakter und werden meist mehrmals ausgetauscht, bis das Bild sich nicht nur visuell korrekt, sondern auch erzählerisch richtig anfühlt. Manchmal verselbständigen sich Szenen völlig: Als Lily es eines Nachts für passend befand, ein Schirmboot hinter sich herzuziehen, habe ich Tränen gelacht. Und sie das einfach tun lassen.
Eins der vielen Dinge, die für uns in der Arbeit mit den Lily-Lux-Bänden sehr schön und besonders war, war die Arbeit mit Testlesern. Wir haben Freunden, Verwandten und Bekannten die Seiten gezeigt und gefragt, was sie da sehen, was ihnen besonders gefällt und was nicht. Das hat geholfen, unseren Blick zu klären und nachzuvollziehen, wie jemand, der nicht mehrere Monate mit den Büchern verbracht hat, diese betrachtet und versteht.
8. Abgabe und Druck
Nach unzähligen kleinen und großen Änderungen und Korrekturen werden schließlich die Bilddaten abgegeben. Im Verlag entsteht daraus ein Proofausdruck, anhand dessen die korrekten Farben geklärt werden, und schließlich wird das Buch gedruckt und in den Handel verschickt.
Es ist ein seltsames und überaus wunderbares Gefühl, den ersten Karton mit frisch gedruckten Büchern zu öffnen, und dem Buch dann später auch im Handel zu begegnen und ihm heimlich zuzuzwinkern.“
Die Klappentexterin dankt für den Ausflug in die kreative Welt der Illustratorin.
Bildmaterial © Iris Luckhaus
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*_* Weitere Einblicke gibt es hier:
www.lily-lux.de
www.irisluckhaus.de
irisluckhaus.blogspot.com
Literaturkalender sind was Schönes…
… weil wir auf bekannte und unbekannte Autoren treffen, die uns mit Zitaten in ihr Leben und ihre Werke blicken lassen. Manchmal erinnert uns der Literaturkalender sogar an ein Buch, das schon lange im Regal steht und darauf wartet, endlich gelesen zu werden.
„Das Glück an der Côte d’Azur hatte mit dem Ort zu tun, nicht mit Arbeit, nicht mit Ereignissen. Was dort geschah, war oft gut, zum Teil wunderbar, manches traumatisch. Mein Leben bestand aus Meer, Licht, Sonne, dem nächtlichen Konzert der Zikaden, ersten Liebesabenteuern, manche beglückend, manche hoffnungslos oder Irrtümer, einige Beziehungen überdauerten jede Veränderung…“
Sybille Bedford.
Treibsand: Erinnerungen einer Europäerin.
2008, 384 Seiten, 9,- €.
Piper Verlag.
Offener Brief an Elisabeth Ruge.
Sehr geehrte Frau Ruge,
ich bin immer noch bestürzt und traurig über Ihre Trennung vom Berlin Verlag. Damit endet ein engagiertes Projekt, was vor 17 Jahren begonnen hat. Gemeinsam mit Veit Heinichen und Arnulf Conradi haben Sie damals den Verlag gegründet. Ihnen lag vor allem eins am Herzen: Unabhängig zu sein und besondere literarische Werke herauszubringen. Damit ist nun Schluss. Den Berlin Verlag wird es weiterhin geben, aber er wird nur noch ein Schatten seiner selbst sein, jetzt wo auch die letzte Säule das Haus verlassen hat. Veit Heinichen zog sich 1999 aus dem Geschäft zurück, um Kriminalromane zu schreiben. Arnulf Conradi folgte seinem Kompagnon 2006. Seitdem kämpften Sie wie eine einsame Alphawölfin an vorderster Front. So erscheint es mir, nachdem ich einen ausführlichen Artikel über Sie in der Süddeutschen Zeitung gelesen habe. Der Journalist Thomas Steinfeld fand passende Worte und gab mir einen ausführlichen Einblick über Ihr Wirken. Wieder traf ich auf Aspekte, die mich seit langem beschäftigen wie der Wandel in der Buchbranche.
Sicherlich leben wir in einer anderen Zeit, und doch möchte ich es nicht ständig als die große, unerschütterliche Entschuldigung gelten lassen. Deshalb schreibe ich Ihnen u.a. auch diesen Brief. Weil ich erschüttert bin und an das besondere Buch glaube.
Sie haben eindrucksvolle Autoren in Deutschland bekannt gemacht. Autoren, die ich heutzutage in der Bestsellerliste vermisse. Ich denke da an Zeruya Shalev, Margaret Atwood, Richard Ford, Jonathan Littell und Nadine Gordimer. Das ist Literatur, die fordert, die aufweckt und die meinen Denkapparat anstößt. Das ist Literatur, die unvergesslich bleibt und an die man sich erinnern wird. Manch einer wirft mir jetzt vielleicht elitäres Gehabe vor, schließlich solle Literatur vorranig unterhalten. Nicht mehr und nicht weniger. Ich hingegen liebe das Gefecht und lasse mich fordern, wie viele andere Leser auch. Nur wird es immer schwieriger an solche Werke heranzukommen, weil die Nachfrage anders aussieht. Selbst große Verlage bieten immer mehr Unterhaltungsromane an statt anspruchsvolle Titel. Warum? Weil die Masse es so will. Aber will sie es wirklich oder wird sie dazu bewegt?
Liebe Frau Ruge, Sie merken, es sind einige Fragen, die sich in mir auftun. Ich werde sie behalten und weiterhin verfolgen, Dinge in Frage stellen und mich vom besonderen Buch inspirieren lassen. Das, was Sie vor 17 Jahren geschaffen haben, ist nun vorbei, aber nicht ganz. Dort draußen gibt es noch viele Menschen, die an das Gute in der Literatur glauben und es weiter unterstützen werden, lesend und schreibend. Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute und weiß, Sie werden Ihren neuen Weg finden.
Mit besten literarischen Grüßen
Klappentexterin
Junge Literatur: Ein Resumé.
Spannende Wochen liegen hinter mir. Meine Reihe „Junge Literatur“ neigt sich dem Ende und ich möchte ein kleines Resumé ziehen. Dieses widme ich vor allem euch, liebe Leser, und füge ein besonderes Dankeschön dazu. Meine Texte erfreuen sich an interessanten Kommentaren und Denkanstößen, die ich auf diesem Wege würdigen möchte.
Ich habe über junge Literatur geschrieben und über Dinge, die mir bei der Recherche aufgefallen sind. Von genormter Literatur war die Rede. So fanden sich in den Wortmeldungen aber auch interessante Aspekte, die unsere aktuelle Literatur- und Buchhandelsszene authentisch reflektierten. Seitdem rattert es im Kopf. Nachdenklich stimmt mich die Literaturwelt deshalb, da sie sich in den letzten Jahren stark verändert hat. Die Haltbarkeit von Büchern ist häufig so kurz wie das Leben einer Zitrone, maximal vier Wochen. Wie schnell sind heute Neuerscheinungen vergessen? Schneller als ich manchmal gucken kann. All das trägt sicherlich mit dazu bei, dass die Verlage anders agieren und somit ist es härter für junge Autoren, publiziert zu werden. Mir liegen keinen Zahlen vor und ich ziehe nur meine eigenen Schlüsse aus Rückmeldungen und Kommentaren. Ich habe in Gesprächen, die sich mit der Ursachenforschung beschäftigten, häufig auch Wörter wie Globalisierung und die einflussreichen Medien aufgeschnappt. Wo fing nun alles an? Die Antwort lautet: An vielen Stellen und daraus könnte sich eine wissenschaftliche Arbeit entwickeln, die sich wie ein spannender Krimi lesen würde. Gibt es da draußen vielleicht jemanden, der sich dem Thema annehmen möchte?
Hier ist mein Erklärungsversuch für den Wandel.
Ich sehe zwei ausschlaggebende Faktoren: Die Globalisierung und die Medien. Fangen wir mit dem ersten an. Einkaufscenter, die wie Pilze aus den Böden wachsen. Irgendwann kamen sie zu uns, die großen Shoppingmalls aus den USA. Damit zerstörten sie viele Innenstädte und die ortsansässigen kleinen Buchhandlungen. Die Menschen wurden bequemer, kauften fortan dort ein, wo sie alles auf einem Haufen fanden und wo es warm war. Mit den Einkäufen beladen, kamen sie nach Hause, packten das Gekaufte aus, setzten sich in den Sessel und klickten mit der Fernbedienung den Fernseher an, der mit der Zeit immer größer und schmaler wurde. Dort stießen sie auf immer mehr Talkshows, merkten sich alles nur halb, nur ein bisschen, denn sie dachten sich: Der Buchhändler in dem großen Buchladen wird schon wissen, welches Buch man meint.
Es erschreckt mich, wie stark sich heute die Bevölkerung von den Medien beeinflussen lässt. Zuletzt war es Herr Guttenberg, um nur ein plakatives Beispiel von vielen zu nennen. Da kamen tatsächlich die Kunden in den Laden und wollten seine Doktorarbeit kaufen. Sie wussten weder den Titel noch, was sich eigentlich dahinter verbirgt. „Das neue Buch von Herrn Guttenberg eben. Das haben Sie nicht da?“ Ich blickte in empörte Gesichter, als ich verneinte. Als ich ihnen jenes Werk für 88 € auf einem Ausdruck präsentierte, schluckten sie und sagten erstaunt: „Achso?!“ Genau dieses Beispiel verdeutlicht, wie leicht es sich die Menschen heutzutage machen. Nicht alle, wohl bemerkt, aber einige. Und das schmerzt wie ein Zahn, der eine Wurzelbehandlung nötig hat. Kaum ertönt ein Aufschrei, wollen sie mit rufen, statt sich vorher erst einmal zu erkundigen, zu hinterfragen. Aber das, ja das wäre ja zu viel. Genauso wäre es zu viel, sich mal auf unbekannte Autoren einzulassen, die nicht in jedem Munde sind. Aufzustehen aus dem gemütlichen Sessel und den Schritt aus den Pantoffeln in das Ungewisse zu wagen, ist den meisten zu anstrengend. Vielen fehlt auch die Zeit in der sich immer schneller bewegenden Welt. Und nicht zu vergessen: In der Allgemeinheit schwimmen alle gerne, statt lieber mal auszubrechen oder abzutauchen. Das ist meine persönliche Beobachtung, anderen mag es da vielleicht anders ergehen. Die beneide ich sehr und bin offen für positive Beispiele.
Wird das gute Buch also eines Tages aussterben? Nein, wird es nicht! So lange es Menschen wie euch gibt, die das nicht einfach hinnehmen wollen, sich nicht abspeisen lassen und über das Mittelmaß hinausfliegen, brauchen wir nicht zu zittern oder zu bibbern wie Espenlaub. Eine zweite 68er Generation wird es kaum geben, aber eine Bewegung des 21. Jahrhunderts über die man später sprechen wird, so hoffe ich sehr. Daher mein Appell an euch: Lasst uns gemeinsam die Hoffnung auf den Augen tragen und im Mut tanzen!
Last but not least: Weil die Reihe „Junge Literatur“ so bereichernd war, werde ich sie fortsetzen. Es geht um ein wertvolles Literaturerbe, das ich unterstützen möchte, gemeinsam mit euch. Ich freue mich schon jetzt und sage vielen Dank für eure tatkräftige Unterstützung!
Hochachtungsvoll,
eure Klappentexterin