Tag 8: Ein Buch, das dich an einen Ort erinnert.

Es ist so warm, dass ich mich unter einem schattigen Baum verkrieche. Frischer Rasengeruch kriecht in meine Nase. Mein rechter Fuß kribbelt. Dort läuft nämlich gerade eine Ameise drüber. Freches Biest! Ich bin endlich angekommen in meiner Stadt. Berlin. Glücklich, leicht glucksend als hätte ich schon eine Flasche Sekt allein ausgetrunken, liege ich im Mauerpark auf der Decke und lese Murakamis Gefährliche Geliebte. Was heißt hier lesen: Ich bade regelrecht in seinen Sätzen, seinen bildhaften Schilderungen und fühle mich mit ihm weniger allein in dieser großen Stadt. Obwohl – allein ist das falsche Wort. Ich habe es mir ja selbst ausgesucht, eine von vielen Tausenden zu sein. Also sagen wir es anders: Murakami zu lesen, fühlt sich an, als hätte ich einen bekannten, mir wohl vertrauten guten Freund wieder getroffen. Ja, das liest sich schon besser. Eine Stelle aus dem Buch habe ich mir bis heute gemerkt. Es ist meine liebste und selbst wenn man mich im Schlaf fragen würde, wüsste ich sofort, wo sie sich befindet. Auf Seite 20, zweiter Absatz:

Das Gefühl, ihre Hand zu halten, hat mich nie wieder verlassen. Es war anders als bei jeder anderen Hand, die ich je gehalten hatte, anders als bei jeder Berührung. Es war lediglich die kleine, warme Hand eines zwölfjährigen Mädchens, aber diese fünf Finger, diese Handfläche waren wie eine Vitrine, die absolut alles enthielt, was ich wissen wollte – und was ich wissen mußte. Indem sie meine Hand nahm, zeigte sie mir, was dieses „alles“ war. Zeigte mir, daß es hier in der realen Welt, einen solchen Ort gab.

Und mich hat Haruki Murakami nie wieder verlassen. Seine Hand liegt auf meiner Schulter. Allein sein Name erzeugt in mir ein Lächeln, das ich das klassische Murakami-Lächeln getauft habe. Der Mann ist für mich mehr als nur ein Autor – er ist ein Seelenbruder. So, nun ist es raus. Ich bin leicht errötet, schwimme aber noch immer im Murakami-Bad und sehe wahrscheinlich aus wie ein Goldfisch, der die Sonne auf seinen Kiemen trägt.

9 Gedanken zu „Tag 8: Ein Buch, das dich an einen Ort erinnert.

  1. Krimimimi

    Du beschreibst das ganz wunderbar. Für mich steht die Poesie Deiner Worten denen von Murakami kaum nach… Ich freue mich, Deinen blog entdeckt zu haben und nehme jetzt erstmal den vor Jahren gelesenen und dann weggelegten Murakami wieder zur Hand… 🙂

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  2. karfie

    Murakami ist einfach wundervoll und somit ist es kein Wunder, von seinen Worten so inspiriert zu werden wie du…

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  3. aboutsomething

    Ich kann deine Murakami-Begeisterung absolut nachvollziehen! Interessanterweise fiel die von dir zitierte Stelle mir auch auf, als ich es diesen Sommer las – vor allem weil die Szene mich an 1Q84 erinnerte, wo es auch diese Erinnerungsszene von Aomame und Tengo gibt, die soviel Bedeutung hat. Das fasziniert mich bei Murakami auch so, dies Wiederentdecken bestimmter Szenen oder Motive…

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    1. Klappentexterin Autor

      Hach, ist der Beitrag lange her und du hast ihn trotzdem entdeckt. Großartig! Wie hast du denn zu dieser Stelle gefunden, wenn ich neugierig fragen darf? Ich unterschreibe natürlich deine Beobachtungen, wobei sich der Erzählstil von dem hier und „1Q84“ unterscheidet. Fandest du das auch? Viele Grüße, Klappentexterin

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      1. aboutsomething

        Wie sagt man so schön: Das Internet vergisst nichts? In diesem Fall ist das gut so. Ich bin auf deiner tollen Seite herumspaziert und stieß dann erst auf die Kategorie „Jeden Tag ein Buch“, die mich neugierig machte und dann noch auf Murakami, dessen Bücher ich liebe. Als du dann noch Berlin erwähntest, konnte ich mich dann nicht mehr zurückhalten 🙂
        Den Erzählstil fand ich in „1Q84“ auch anders, allein durch die äußere Aufteilung, die abwechselnd aus dem Leben von Aomame und Tengo erzählt… Hast du „1Q84“ rezensiert? LG Laura

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      2. Klappentexterin Autor

        Das ist eine schöne Geschichte, die dich zu Murakami geführt hat, liebe Laura. Ob ich „1Q84“ besprochen habe? Was für eine Frage! Und ob!! Schau hier: Buch 1/2: https://klappentexterin.wordpress.com/2010/11/28/handschuhe-auf-den-augen-und-inspiration-im-kopf/, hier ein Zwischenbericht zu Buch 3 https://klappentexterin.wordpress.com/2010/11/02/1q84-ein-zwischenbericht/ und hier die ganze Rezension zu Buch 3: https://klappentexterin.wordpress.com/2011/11/28/das-grose-warten-hat-ein-ende/ Ich hatte seinerzeit mit drei anderen Bloggerinnen sogar einen Blog zu „1Q84“. Vielleicht möchtest du dort auch mal stöbern. Bei Reading Murakami findest du auch weitere Beiträge zu Haruki Murakami.

        Mit besten murakamischen Grüßen,
        Klappentexterin

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      1. aboutsomething

        Das ist so wahr! Zufällig war ich heute im Mauerpark auf dem trubeligen Flohmarkt und hätte mir nicht vorstellen können, mich dort abseits mit einem Buch hinzuhocken! Laura

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