Perfekt und unperfekt zugleich.

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Liebe und Freiheit – inwiefern passt beides zusammen? Johanna Adorán spürt dieser Frage in ihrem neuem Roman »Geteiltes Vergnügen« nach. Sie begibt sich dabei in das Metier der klassischen Liebesgeschichte. Aber so klassisch ist sie eigentlich gar nicht – und genau das macht das Buch zu etwas Besonderem.

Alles scheint an diesem Buch von Anfang an perfekt: von der Covergestaltung bis hin zum Titel. Johanna Adorjáns klare Sprache erinnert mich an einen taufrischen Morgen, wenn die Welt noch halb schläft und die Luft die Würze der Nacht ausatmet. Ihre geradlinigen Sätze verströmen eine schöne Kraft, von der ich mich mitziehen lasse und so der Ich-Erzählerin neugierig lausche. Sie erzählt mir von Tom, einem interessant wirkenden Mann, der einerseits etwas Sorgloses ausstrahlt und andererseits eine tiefe Traurigkeit in sich trägt. Gerade dann, wenn sich beide körperlich nah sind, kann Jessica diesen berührenden Wesenszug in seinem Gesicht aufspüren, wie eine Fähe ihre Beute.

Aber die Beziehung ist einfach anders. Es sind die kleinen Nuancen, die von der Norm abweichen. Besonders Tom, der sich immer wieder von Jessica entfernt und sich einfach zwei, drei Tage nach dem Beisammensein nicht mehr bei seiner Liebsten meldet.
»Und dann war er wieder weg, und so radikal, als hätte ich mir alles ausgedacht. Allein ein paar einzelne dunkelblonde Haare auf meinem Kopfkissen dienten mir als Beweis, dass es ihn wirklich gab.« Bald meldet sie sich nicht mehr bei ihm und schickt ihm auch keine Nachrichten mehr, nachdem sie sich gesehen haben. Lediglich der gemeinsame Sex fasziniert sie noch, bei dem sie eine intensive Nähe spürt, die sie sehr berührt und tausende Gefühle in ihr auslöst.

Tom ist Geiger und arbeitet an der Musikhochschule zusammen mit seiner Exfreundin, die ebenfalls Jessica heißt. Keine perfekte Voraussetzung für eine harmonische Beziehung. So fragt sich die Erzählerin zunehmend, wo ihre Beziehung hinführt und konfrontiert ihren Freund. Ein großer Fehler. Denn die Antwort, nach der sie sich sehnt, bekommt sie nicht. Außer ein Trostbonbon aus Toms Mund: »Mit dir bin ich der Mensch, der ich immer gern wäre.« Er sagt es so unverbindlich, dass Jessica ihren Ohren nicht traut und bittet ihn, diesen Satz zu wiederholen. Er tut es. Tatsächlich! Doch Tom bleibt weiterhin wie eine Wildkatze, schwer zu fassen, ein geheimnisvolles Wesen. Ebenso seltsam scheint die Beziehung zu seinem Freund Claudius, in dessen Haus er wohnt. Bis zum Schluss bleibt diese Verbindung ein großes Rätsel. In dem Haus selbst passieren seltsame Dinge, in die Jessica unweigerlich mit hineingezogen wird.

Als Toms Mutter schwer erkrankt, wendet er sich von Jessica noch mehr ab und fliegt nach New York. Hier bekommt die Geschichte eine wunderbare Wendung. So verharrt die Protagonistin nicht in der Sprachlosigkeit, sondern beginnt eine Therapie.

Johanna Adorjáns Sprache ist angenehm unaufgeregt, elegant und temporeich. Auf diese Weise läuft die Geschichte niemals Gefahr, in Emotionen zu ertrinken. Das macht diese Liebesgeschichte außergewöhnlich und verleiht ihr eine eigene Dynamik. Tom ist ein Mysterium von Mann, dem man als Frau im wahren Leben nie begegnen möchte, weil von vornherein klar ist: Das geht nicht gut aus. Doch er ist die ideale Besetzung für so eine knisternde Liebesgeschichte, die viele Fragezeichen aufwirft.

Auch die Figur der Jessica überzeugt mich. Einerseits nähert sie sich der offenen Beziehungsart an, bleibt jedoch hin- und hergerissen. Andererseits beeindruckt ihr Luftsprung nach draußen – raus aus den Fesseln der hundert Fragen und Unsicherheiten. Irgendwann denkt Jessica an sich. Und erlebt auch ohne Tom einen wunderbaren Sommer.

Und wie stehen die beiden nun zueinander? Freiheit und Liebe? Es gibt viele Formen, sie beide zu leben, weil jeder Mensch eine andere Definition von den Begriffen hat. Obwohl die in dem Roman so gar nicht meine ist, fand ich den Ausflug dorthin spannend und beeindruckend. Eine Liebesgeschichte der besonderen Art eben. Mit einem für mich stimmigen Ende. So endet ein perfektes Buch mit einer unperfekten Liebesgeschichte.

Johanna Adorján: Geteiltes Vergnügen. Hanser, Februar 2016, 206 Seiten, 19,90 €. Jetzt direkt und portofrei bei Hugendubel.de bestellen.

Weitere Stimmen über das Buch:

7 Gedanken zu „Perfekt und unperfekt zugleich.

  1. ©lz

    Ich mag deine Worte und wie du dieses Buch beschreibst / sehr präzise und in einer form das es Interesse bei mir weckt es zu lesen / danke sehr.

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  2. lesesilly

    Liebe Klappentexterin,
    auch ich mochte das Buch sehr, nachdem ich es aufgrund der Rezension bei Masuko gelesen habe. Eine wirklich außergewöhnliche LIebesgeschichte, die ich in einem Rutsch gelesen habe. Tom war mir auch sehr unsympathisch, aber in Jessica konnte ich mich gut hineinversetzen.
    Diese Lektüre hat wirklich Spaß gemacht.
    Hab einen schönen Tag.
    Liebe Grüße
    lesesilly

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    1. Klappentexterin Autor

      Liebe lesesilly,
      ich habe deinen Kommentar kürzlich bei masuko entdeckt. Und wusste, dass du es ebenso mit großer Freude lesen wirst. Und so ist es geschehen – wie wunderbar!

      Liebe Grüße
      Klappentexterin

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