Ein lebendiges Buch über Leben und Tod.

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»Applaus für Bronikowski« von Kai Weyand zählte für mich in diesem Frühjahr zu den schönsten Entdeckungen. Bald haben wir Herbst, also allerhöchste Zeit, euch dieses feine Buch vorzustellen. Und es gibt noch zwei weitere Gründe: »Applaus für Bronikowski« hat es in diesem Jahr auf die Hotlist der 10 besten Bücher geschafft und steht obendrein auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.

Bereits bei der Covergestaltung hat der Wallstein Verlag wieder viel Geschmack bewiesen: Wir sehen einen Hund, der seine Duftmarke an einen Oldtimer setzt. Leicht gebeugt schaut er in die Kamera und fühlt sich ertappt. Die Szene hat Stil und ist gleichzeitig urkomisch. Ich grinse. Das verschmitzte Lächeln wird während der Lektüre eine treue Begleiterin sein. Denn Kai Weyand erzählt mit einem feinen Gespür für Situationskomik eine ungewöhnliche Geschichte. Und der Hund – so viel darf ich verraten – spielt auch eine Rolle.

Der Protagonist ist Mitte Dreißig, heißt eigentlich Nies, doch seitdem seine Eltern nach Kanada ausgewandert sind, nennt er sich NC. Die beiden Buchstaben stehen für No Canadian. »Jeder Mensch hat einen Lebenstraum, sagte sein Vater, und wenn die Chance da ist, ihn zu leben, muss man das tun.« Während Nies’ Bruder begeistert ist, dass sich die Eltern nach einem Lottogewinn den Traum von einem neuen Leben in Kanada erfüllen wollen, empfindet Nies eine Mischung aus Wut und Unverständnis. Denn die beiden Söhne sollen in Deutschland bleiben. Schließlich sei das Schulsystem hier besser und es könne zudem nie schaden, so früh wie möglich auf eigenen Beinen zu stehen. Kurzum – die Eltern reisen ab und lassen die beiden zurück.

Sein Bruder geht schnell seinen eigenen Weg, wird erfolgreicher Banker. Doch Nies rebelliert, rasiert sich seine Haare ab und schafft sich zwei Ratten an. Auch jetzt – viele Jahre später – kann man Nies nicht als Strahlemann bezeichnen. Hier bricht die düstere Seite der Geschichte hervor, schlucken fette Wolken das Tageslicht. Anders als sein Bruder Bernd zieht er das Krumme dem Geraden vor. Er flüchtet sich viel lieber in Bücher, spielt in seinem Kopf mit Wörtern und hat viele abstruse Gedanken. Nach einigen Jobs irrt er eines Tages ziellos durch die Straßen und strandet bei einer Bäckerei. Hier lässt sich Nies einen Streuselkuchen empfehlen und fragt die Verkäuferin überdies nach einer Straße, die es sich zu besuchen lohnt. Verrückt, aber so ist halt NC. Auf diese Weise landet NC beim Bestattungsinstitut »Wege« in der Holpenstraße und wird Bestatter. Natürlich nicht, ohne vorher das Wort Tod für sich zu zerlegen: »Sprachlich gesehen besaß das Wort Tod im Grunde die optimale Korrelation zwischen Anzahl und Verteilung der Buchstaben und dem, was sie bedeuteten.«

Seine Umwelt reagiert schockiert auf seinen neuen Beruf, doch Nies blüht auf, findet sogar Frieden an diesem befremdlichen Ort: »Auf eine seltsame Art fühlte er sich geborgen, niemand erwartete von ihm, dass er irgendwas tat, niemand forderte ihn zum Reden auf, niemand stellte ihm eine Frage.« Die Begegnung mit der ersten Toten ist für NC ein einschneidendes Erlebnis, eine vollkommen neue Erfahrung. Diese Passagen gehen tief, berühren und schlucken den Witz des Buches für kurze Zeit herunter. Jetzt setzt sich der große Ernst auf den Stuhl, das Unmittelbare nistest sich in meine Augen und ich atme mit NC, erlebe sehr intensive – fast meditative – Momente. Zu glauben, NC würde sich durch den neuen Job in einen vollkommen anderen Menschen verwandeln ist natürlich utopisch. Dafür ist er viel zu eigenwillig. Ein komischer Kauz mit seltsamen Marotten, der aus Wut nachts einfach mal rohe Eier gegen Hauswände schmeißt. Doch die Berührung mit den Toten und deren Angehörigen lassen einen anderen NC durchblicken, einen mitfühlenden. Seine Methoden sind teilweise schon, sagen wir mal, seltsam. Aber er will ja nur das Beste. Daher erholt sich mein verdrehtes Herz recht schnell und schaut NC mitfühlend zu.

»Applaus für Bronikowski« ist eine erfrischende, erheiternde und berührende Geschichte. Dieses schmale Bändchen enthält derart viele bedeutende Themen, dass man es in einem Rutsch durchliest, quasi wie einen Streuselkuchen vernascht. Die Lektüre macht großen Spaß und stimmt gleichzeitig nachdenklich. Dies ist natürlich auch Kai Weyands ganz eigenem Ton zu verdanken. An dieser Stelle schon mal Applaus für den Autor, dass er mit seinem Buch positiv aus der Masse hervorsticht und völlig zu Recht auf den beiden Listen steht. Ich habe solche Bücher bislang auf den Longlisten vermisst. Bücher, die einfach eine gute unterhaltsame Geschichte erzählen und von einer Leichtigkeit getragen werden. Ach so: Wenn ihr euch jetzt fragt, wer denn nun Bronikowski ist und warum er Applaus bekommt, dann müsst ihr den großartigen Roman schon selbst lesen. Nur soviel: Selbst der Tod hält heitere Momente bereit. Ja, vielleicht ist auch dies eine Message dieses Buches.

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Kai Weyand: Applaus für Bronikowski. Wallstein Verlag, März 2015, 188 Seiten, 19,90 €. Hier direkt bestellen: Buchhandel.de

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7 Gedanken zu „Ein lebendiges Buch über Leben und Tod.

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  4. jancak

    Das mit den heiteren Momenten im Tod hat mir ein wenig Schwierigkeiten gemacht, ansonsten glaube ich auch, daß es das beste Buch von den sieben der LLhttps://literaturgefluester.wordpress.com/2015/08/28/applaus-fuer-bronikowski/ ist, das ich bis jetzt gelesen habe

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  5. jancak

    So ganz leicht würde ich den Inhalt nicht empfinden, schließlich ist die Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Sterben ein sehr wichtiges Thema, das jeden betrifft und sicher viel Angst und Verdrängung auslöst, deshalb habe ich die genauen Details, wie es in einem Bestattungsinstitut zugehen könnte, auch sehr toll gefunden und dann geht es meiner Meinung auch um eine Traumatisierung und um die Gewalt, die einem ganz normalen Jugendlichen heutzutage im Alltag und beim Aufwachsen zustoßen kann und ich würde da auch Herrn Weyands Erfahrungen als Lehrer im Strafvollzug herauslesen.
    Schien NY ja fürchterliche Eltern gehabt zu haben, auch wenn er sonst im scheinbaren Wohlstand und in der Mittelschicht aufgewachsen ist.
    Von leicht also keine Spur, der Versuch dem mit Komik zu begegnen, würde ich an dem Buch kritisieren, sonst stimmt alles, was schon gesagt wurde, tolle Typen, ein toller poetischer Ton, der uns noch dazu treffend in die Tragik des Lebens einführt.
    Wilhelm Genanzino kenne ich zu wenig, um ihm damit zu vergleichen, mir ist bei Zwergin Elias Canetti eingefallen.

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  6. Pingback: NB* für Bronikowski | buchrevier

  7. lesesilly

    Liebe Klappentexterin,
    habe den Autor im Rahmen einer Blind-Date-Lesung zum Deutschen Buchpreis erlebt und fand ihn sehr sympathisch. Er erzählte einige Anekdoten aus seinem Leben und las Passagen aus seinem Buch vor. Natürlich habe ich gleich ein von ihm signiertes Exemplar erstanden und freue mich schon sehr auf die Lektüre. Drücken wir ihm die Daumen, dass er es auch auf die Shortlist schafft.
    Liebe Grüße, lesesilly

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