Mein Jahr mit Proust. 

So, liebe Leute, fast ein ganzes Jahr mit Marcel Proust und seinem Universum liegt hinter mir. Einige von euch haben den berühmten Fragebogen ausgefüllt, drei sogar ein Buch gewonnen. Und ich? 

Tief eingetaucht bin ich ins Werk des übersensiblen Autors, habe mich nicht nur der Recherche hingegeben, sondern auch Früh- und Nebenwerken wie Tage der Freuden. Und selbst in dieser frühen Prosa entdecken wir bereits Grundzüge seines Hauptwerkes, die, wenn ich ehrlich bin, wenig mit Freuden und viel mit Leiden wie Zweifeln zu tun haben. Nicht zu vergessen: der Suche. 

Proust war ein ewig Suchender, im wirklichen Leben wie in seinen literarischen Werken. Was beileibe nicht unsympathisch ist, denn nichts geht einem mehr auf die Nerven, als die Menschen, die unsereins mit ihren festbetonierten Weltbildern oder gar abstrusen Welterklärungen regelrecht quälen. Ein Suchender ist immer ein offener Mensch. 

Proust war kein Quäler, er war stets ein Gequälter. Und das wird mich immer wieder mit ihm verbinden. Das hat so gar nichts mit irgendeiner Opfer-Rolle zu tun, sondern mit Sensibilität. Einer Sensibilität, die das Leben ungemein reich an Empfindungen gestaltet, leider auch Tür und Tor öffnet für Verletzungen. Wer unablässig auf der Suche nach Schönheit ist, wird zwangsläufig von der Hässlichkeit der Welt in ihren äußeren Erscheinungen und ihren Taten gepeinigt. 

Immer und immer wieder ist da diese Sehnsucht nach Vollkommenheit. Wie jemand sich bewegt, sich kleidet, wie er oder sie spricht. Das birgt ein ganzes Universum an Enttäuschungen in sich, zwangsläufige Enttäuschungen, denn die Welt, die man sich wünscht, unterscheidet sich eher mehr als weniger von der Welt, die einem tagtäglich vor Augen geführt wird. 

Ein Proust in der heutigen Wirklichkeit, große Güte, das würde zwangsläufig ein Scheitern auf sämtlichen Ebenen bedeuten. Ein falsches Wort, ein missverständlicher Gedanke – schon bist du als sensibler Geist erledigt. Selbst, wenn dieses Wort vor Jahren fiel oder der Gedanke längst vergessen scheint. Die schöne neue Welt vergisst und verzeiht nichts, gar nichts. 

Aber es ist auch die Welt, die wir uns selbst gezimmert und der nicht wenige von uns sich ausgeliefert haben. Um dann an ihr zu leiden, sich zu quälen und bitterböse zu beschweren über die digitale Art, Menschen in Sekundenschnelle zu be- und zu verurteilen. 

So gesehen ist die Suche nach einer verlorenen Zeit hochaktuell, denn sie ist eine Suche nach einer verlorenen Leichtigkeit, vielleicht sogar einer Unschuld, die viel weniger mit einem Mythos als vielmehr mit uns und unsrer Zeit zu tun hat. 

Und wir sollten – jeder für sich und alle zusammen – dafür sorgen, dass sie nicht verloren ist. 

So beantwortet Herr Klappentexter zum Abschluss des Proust-Jahres selbst noch drei Fragen aus dem legendären Fragebogen: 

Das Land, in dem ich am liebsten leben würde:  
Nimmerland 

Meine bevorzugte Tugend:  
Todesverachtung 

Was wäre mein größtes Unglück?  
Der Verlust der Liebe, sprich: meiner geliebten Frau

***

In diesem Sinne: Macht euch auf nach Nimmerland, verachtet den Tod, liebt das Leben und denjenigen oder diejenige, der oder die es wert ist. 

Und lest Proust. Egal, wann, egal, wieviel, egal, wieweit ihr kommt. Denn am Ende werdet ihr dahin kommen, wo die verlorene Zeit auf euch lauert und Fragen stellt. 

Marcel Proust – Tage der Freuden (Frühe Prosa). Marix, 224 Seiten, 10,- € 

Marcel Proust – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Aus dem Französischen übersetzt von Bernd-Jürgen Fischer. Reclam, 4325 Seiten, 44,- €  

2 Gedanken zu „Mein Jahr mit Proust. 

  1. Klausbernd

    Das ist ja ein feiner Nachruf auf Proust. Er gefällt uns, obwohl wir die Welt als positiver sehen. Wir sind dankbar über die Leichtigkeit, die wir als Privatiers erleben dürfen umgeben von meist Zufriedenen, die in der gleichen Situation sind. Dennoch trauern wir dieser verlorenen Zeit nach, die der Landadel hier bisweilen mühsam aufrechtzuerhalten sucht.
    Danke fürs Teilen und alles Gute
    The Fab Four of Cley
    🙂 🙂 🙂 🙂

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  2. Xeniana

    Ein schônes Resümee.
    Es ermutigt auch es irgendwann mit Proust wieder aufzunehmen. Ich blieb bei “ Die Gefangene“ stecken.
    Die Lektüre war zu intensiv für den Alltag, aber man wird so belohnt, wenn man dran bleibt

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