Die Magie des kleinen Glücks.

j-l-carr_ein_monat_auf_dem_landIn der Bücherwelt gibt es immer wieder Überraschungen. »Ein Monat auf dem Land« von J.L. Carr ist so eine. Das zierliche und wunderschön gestaltete Büchlein aus dem Dumont Verlag tanzt in den Stapeln der Neuerscheinungen aus der Reihe. Weil es kleiner und zurückhaltender ist, mit nur wenigen Farben und einer schlichten Gestaltung daherkommt. Zudem verströmt es eine Stille, die mich als Erstes beim Aufschlagen empfängt. Und nicht nur das: Eine zauberhafte Note schlängelt sich empor, die sich sofort aus den Buchseiten herauswindet. Berauschend ist das Gefühl, wenn man als Buchhändlerin solch einen Schatz gefunden hat. Überwältigend ist es, wenn andere ebenso von einem Buch begeistert sind. Während ich dies schreibe, weiß ich, dass das Buch bereits zahlreiche Leserherzen in Windeseile erobert hat. Und daran sind wir Buchhändler nicht ganz unschuldig. Haben wir erst einmal einen besonderen Schatz von Buch entdeckt, empfehlen wir es unseren Kunden mit viel Herzblut gleich weiter – und das mit den leuchtenden Augen von Verliebten. Denn wir lieben, was wir tun.

Diese Leidenschaft kann zu wunderbaren Entwicklungen auf dem Buchmarkt führen. Wenn sich etwa unbekannte Autoren auf der Bestsellerliste wiederfinden. Und zwar, ohne dass die große Marketingmaschine angeworfen wurde. Ohne dass ein Buch sofort als sogenannter Spitzentitel auf allen Kanälen vermarktet wurde.

In diesem Falle jedoch war es vollkommen anders. »Ein Monat auf dem Land« hat uns Buchhändler vollends begeistert, deshalb steht es nun in der Bestsellerliste. Die Presse war ebenfalls voll des Lobes.

Was genau zeichnet das zierliche Büchlein nun aus? Es versprüht das kleine Glück, das wir Menschen so lieben. Das kleine Glück, das nicht sofort sichtbar ist, überrascht und verzaubert. J.L. Carr erzählt in seinem Roman, der 1980 für den Booker Prize nominiert war, von einem Kriegsveteranen, der 1920 aus London in die Stille des Landes flüchtet. Er stottert und hat Gesichtszuckungen, alles Folgen des Krieges.

In einem kleinen Dorf in Yorkshire hofft er auf Frieden in seiner Seele und auch im Herzen – seine Frau hat ihn kürzlich verlassen. In Oxgodby soll er in der Kirche ein verborgenes Fresko freilegen. Er lebt anspruchslos, genießt die Natur und übernachtet im Turmzimmer der Kirche in einem Schlafsack. Mit einem Archäologen, der Knochen verstorbener Vorfahren finden soll, freundet er sich schnell an. Sie sind Seelengefährten, auch da sie beide die dunklen Zeiten des Krieges erlebt haben.

Nach und nach besuchen ihn einige Bewohner und kommen mit dem Erzähler ins Gespräch. Dieser genießt das Leben auf dem Land, das schöne Sommerwetter, die Menschen, die gut zu ihm sind. Das ist auch Balsam für die Seele der Leser. Die Herzlichkeit der Dorfbewohner berührt und begeistert mich genauso wie die scharfe Beobachtungsgabe des Restaurators.

Das Buch verzaubert durch seine Eleganz und Leichtigkeit und lädt dazu ein, langsam zu lesen. Es ist ein Ruhepol im hektischen Alltag des Lebens und gleichzeitig ein Freund der Gegenwart. Der 1994 verstorbene Autor hat einen überaus sympathischen Erzähler geschaffen, dessen Sätze durch ihre Weisheit förmlich glänzen: »Hätte ich mir dieses Glück bewahren können? Nein, vermutlich nicht. Menschen ziehen weg, werden älter, sterben, und der hehre Glaube, dass erneut etwas Wunderbares hinter der nächsten Biegung auf einen wartet, verblasst allmählich. Jetzt oder nie; wir müssen das Glück beim Schopf packen.« Ich stoße immer wieder auf Passagen, in denen es sowohl um das gegenwärtige Glück als auch um die Vergänglichkeit geht.

So wie ich als Leserin weiß, dass die zauberhafte Lektüre irgendwann ihr Ende haben wird, ist sich der Erzähler bewusst, dass seine Zeit in dem Dorf nicht ewig währen wird. Doch statt darüber traurig zu sein, genießt er die freundlichen Gesten der Menschen und die Begegnung mit der wunderschönen Pfarrersfrau. Auf diese Weise verführt mich J.L. Carr mit einer zarten Liebesgeschichte.

Selbst nach der Lektüre spüre ich noch die friedlichen Zeilen des Buches, wie warme Sonnenstrahlen nach einem Sommertag. »Ein Monat auf dem Land« hinterlässt auf ganz besondere Art ein kleines, magisches Glücksgefühl, das – trotz aller Vergänglichkeit – bleibt.

J. L. Carr: Ein Monat auf dem Land. Aus dem Englischen von Monika Köpfer. Dumont, Juli 2016, 160 Seiten, 18,- €. Portofrei bei Hugendubel.de bestellen.

7 Gedanken zu „Die Magie des kleinen Glücks.

  1. mannigfaltiges

    Eine adäquate Rezi für ein wirklich zauberhaftes Büchlein. Ich war ebenso begeistert. Es ist eine kurze Geschichte, aber selten schwingt eine beim Lesen entstandene positive Stimmung so lange nach.

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  2. Pingback: Gelesen – J.L. Carr: Ein Monat auf dem Land |

  3. lesesilly

    Liebe Klappentexterin,

    dank Euch tollen Buchhändlerinnen ist das Büchlein auch auf meinem Lesestapel gelandet und ich war genau so begeistert, wie Du es in der Rezension darstellst. Es ist ein Kleinod und es bringt uns in dieser hektischen Welt ein klein wenig Gelassenheit. Man sollte sich öfter bewusst werden, dass auch kleine Momente Große des Glücks sein können.
    Ich hoffe Du findest noch ganz viele solcher „Perlen“.
    Liebe Grüße
    lesesilly

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  4. Die Vorleser

    Liebe Klappentexterin,

    das hört sich nach einem wirklich wunderschönem Buch an, was ich mir gleich morgen kaufen werde.
    Vielen Dank für deine Besprechung und liebe Grüße von Gisela von „die Vorleser“

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