Glück unter der Sonne.

nonno

Manche Bücher stoßen zur richtigen Zeit in unser Leben. Sie fallen wie unerwartete Glücksboten in unsere Hände. Als es draußen bitterkalt war und die Sonne in weiter Ferne, rettete mich Patric Marino vorm Erfrieren und schenkte mir solches Glück. Sein Debüt „Nonno spricht“ ist im Lokwort Verlag erschienen. Es ist ein Buch, das mich schon beim ersten Anblick entzückt hat. Auf dem Cover segelt ein einsames Basilikumblatt unter dem Titel direkt hinein ins Blickfeld. Ein Flirt besonderer Art, auf den ich gern eingegangen bin.

Der 1989 in Bern geborene Autor nimmt mich mit in eine Welt der zarten Raffinesse. Sie ist umhüllt von Sonnenschein, zauberhaften alltäglichen Momenten und ganz viel kulinarischen Verführungen. Der Ich-Erzähler ist der Sohn italienischer Einwanderer, die in der Schweiz leben. Er besucht seine Großeltern in Kalabrien, die man in Italien Nonni nennt. Nonno steht für Großvater und Nonna für Großmutter. Patrics Tage bewegen sich in einem kleinen leuchtenden Kosmos, der trotzdem so groß erscheint wie ein Fußballfeld, weil der Autor seine Liebe für Süditalien und seine Familie in die Sätze legt, die mit wenigen Worten viele Geschichten erzählen.

Patric Marino verwandelt das alltägliche Leben in Süditalien zu einem Fest, nicht zuletzt auch durch die kulinarischen Schätze, die sich dort finden lassen und aus denen Köstlichkeiten entstehen. Ich denke da an die Herstellung von Pomodori Secchi Sott’Olio. Der junge Autor hat ein feinfühliges Händchen, das Leben um sich herum authentisch zu beschreiben, so dass man das Gefühl hat, direkt vor Ort zu sein. Es flirrt, es leuchtet und es duftet so herrlich. Er begleitet seine Nonni zum Markt und schwimmt im tobenden Meer, trifft auf Verwandte und fließt durch wunderschöne Sommerwochen.

Das Buch lebt von Momentaufnahmen und sinnlichen Beobachtungen: „Die Malariabäume sind voller Saft und Kraft, seit dem Winter haben sie armdicke Stämme gemacht. Sie wachsen am Hang, aus Mauern und zwischen den anderen Bäumen, und sie erwürgen die Oliven- und Orangenbäume.“ Patric Marino beschwört eine unglaublich schöne Atmosphäre herauf. Ich ertappe mich dabei, wie ich die Sonnenbrille aufsetzen und ein Sommerkleid anziehen möchte. Frischer Basilikum weht um meine Nase und ein Tomatensud kocht auf der Herdplatte, während das Meer sein Wellenrauschen in meine Ohrmuscheln spült und meine Füße im heißen Sand mit den Körnern spielen.

Die Zeit scheint in „Nonno spricht“ vollkommen stehengeblieben zu sein. Dort ist das Leben noch ursprünglich, fernab der schnellen Moderne. Die Uhr tickt langsamer, jeder Handgriff wird mit Bedacht und Sorgfalt ausgeführt. „Man verschwendet nichts, weder auf dem Feld noch in der Küche.“ Die Menschen atmen ihr eigenes Tempo und umarmen mich mit ihrer Herzlichkeit. Es ist ein großes Glück, den Erzählungen seiner Nonni zu lauschen und in die vergangene Zeit zu reisen. Und irgendwann wieder dem Basilikum zu begegnen: „Zio Mimmo hat ein Waschbecken voll mit Basilikum mitgebracht. Die Blätter sind so gross, dass Nonna ihr Gesicht hinter einem Blatt verstecken kann.“

Patric Marino entführt mich mit seinem feinen, zauberhaften Roman und beweist, dass es nicht immer laut zugehen muss, um sich für eine Geschichte zu begeistern. Es läuft mir beim Lesen das Wasser im Mund zusammen, sobald die frischen Zutaten ins Auge springen und ich bei der liebevollen, hingebungsvollen Zubereitung leckerer Speisen zuschaue. Der junge Autor hat einen Roman für alle Italienfreunde geschrieben und für diejenigen, die dem Zauber des kleinen Glücks erlegen. Das kann auch eine schlafende Katze sein: „Ein Kätzchen liegt im Schatten. Sein Fell ist verstrubbelt und seine Augen sind verkrustet, Fliegen umschwirren es. Ich wedle mit einem Grashalm vor seinen Schnurrhaaren und mache Schnurrgeräusche. Ich beuge mich zu ihm hinunter und halte die Hand über das verstrubbelte Fell.“ Oder eine Wassermelone, die mit weisen Sätzen verputzt wird. Oder ein Omelet mit frischer Ricotta und Kirschmarmelade.

So zieht mich Patric Marino mit seinem eindrucksvollen Debüt von Seite zu Seite, bis ich selbst anfange wie die Sonne zu leuchten und das Glück in meinem Herzen spüre. Da wünscht man sich fast, als Italienerin geboren zu sein und seine Großeltern unter der glücklich machenden Sonne besuchen zu dürfen.

Patric Marino.
Nonno spricht.
März 2012, 78 Seiten, 15,90 €.
Lokwort Verlag.

Und hier noch kleiner redaktioneller Hinweis:
Mara von buzzaldrins Bücher hat bereits eine schöne Rezension zu diesem Buch sowie ein interessantes Interview mit dem jungen Autor auf ihrem Blog veröffentlicht.

Über den Autor:

Patric Marino wurde 1989 in Bern geboren und lebt in Münsingen. Er hat am Schweizerischen Literaturinstitut studiert und danach mit zwei Absolventinnen das Literaturbüro Olten gegründet. Für die Recherche zu seinem Roman ist er sechsmal nach Guardavalle zu seinen Großeltern gereist.

16 Gedanken zu „Glück unter der Sonne.

  1. buzzaldrinsblog

    Liebe Klapptentexterin,
    nun versuche ich alles nachzulesen, was ich verpasst habe und stoße dabei auf diese wunderbare Rezension. Ich danke für die Verlinkung! Das Buch habe ich auch sehr gerne gelesen, es ist recht schmal, bietet aber gerade in seinen alltäglichen Beschreibungen so vieles, in dem ich mich wiedergefunden habe. Besonders schön empfand ich die Schilderungen des Essens und des Umgangs mit Lebensmitteln. Das Buch hat mich damals dazu inspiriert, mehr zu kochen und selber zu machen. Ich freue mich, dass Patric Marino dich auch begeistern konnte.
    Liebe Grüße
    Mara

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    1. Klappentexterin Autor

      Ein kleines Werk mit großer Wirkung, liebe Mara. Ich stimme dir zu, die kulinarischen Köstlichkeiten haben auch mich sehr begeistert. Schön, dass wir uns wieder ein Buch gemeinsam teilen können.

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      1. madameflamusse

        Habs jetzt das BUCH!! *freu* für 4,50 gebraucht ergattert -Jipiiee…hoffe das hilft mir auch über die grad dunkleren Zeiten…ein bisschen Träumen. Danke nochmal für den Tip.

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  2. caterina

    Für alle Italienfreunde. Da fühle ich mich natürlich sofort angesprochen, und ich ahne, dass ich so einige Dinge wiedererkennen würde aus meiner Zeit in diesem wunderbaren (und manchmal ganz und gar nicht wunderbaren) Land. Es würde sich sicherlich ein bisschen wie heimkehren anfühlen, denn ja, ein Stück Heimat ist Italien für mich schon geworden. Wenn ich daran denke, dann immer mit ein etwas Wehmut, Sehnsucht.

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    1. Klappentexterin Autor

      Liebe caterina, es wird dich bestimmt nicht wundern, dass ich beim Lesen auch an dich gedacht habe. 🙂 Und nun lese ich deine Worte, finde das, was ich beinah gedacht habe, sehe deine Italiensehnsucht vor mir, ach, hach!

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