Kino zum Lesen.

Meine literarischen Sensoren schlugen bis zum Himmel aus und sorgten dort für einen Sternenschweif-Tanz, als ich von dem Projekt „rororo Entdeckungen“ erfuhr. Die ocelot-Buchhändlerin Magda Birkmann hat zusammen mit der übersetzenden und bloggenden Autorin Nicole Seifert ein gemeinsames Herzensprojekt ins Leben gerufen: Unbekannte Autorinnen des 20. Jahrhunderts aufzuspüren und zu verlegen. Im Hamburger Rowohlt Verlag haben sie dafür den idealen Partner gefunden. Immerhin hat das traditionsreiche Verlagshaus einige große Klassiker in seinem Verlagsportfolio.

Im Herbst vergangenen Jahres sind die ersten drei Titel bei rororo Entdeckungen erschienen. Ganz gefangen in meinem ersten Weihnachtsgeschäft bei stories!-Die Buchhandlung habe ich das großartige Projekt noch nicht gebührend unterstützen können und möchte es hiermit nachholen. Wie ihr wisst, suche ich auf diesem Blog nach unentdeckten literarischen Diamanten. Ich schwimme gezielt gegen den Mainstream, obwohl das bedeuten kann, in der nur noch auf Traffic schielenden Insta-Blogwelt weniger Beachtung zu bekommen. Doch ich bin und bleibe zusammen mit Herrn Klappentexter und meinen Kolleg:innen bei stories! Überzeugungstäterin, die stets nur eins will: Das Beste aufspüren und literarische Mutsprünge wagen.

Apropos einzigartig: „rororo Entdeckungen“ macht wirklich vergessene, aber umso bemerkenswertere Autorinnen endlich sichtbar. Leider noch nicht mit dem gebührenden Erfolg. So braucht dieses Projekt immer noch weitere Unterstützer:innen, damit es weiterhin wachsen kann. Denn so gemütlich die Bücherwelt oft rüberkommen mag, sie ist genauso ein knallhartes Business, in dem Zahlen das Sagen haben.

Deshalb möchte ich der Reihe ein Spezial widmen, in dem auch Nicole und Magda bei uns zu Wort kommen werden. Vorher möchte ich euch mein erstes Lieblingsbuch aus der Reihe präsentieren: „Familienglück“ von Laurie Colwin ist ein fulminantes Fundstück, das 1982 unter dem Titel „Family Happiness“ erschienen ist. Und ich behaupte mal: Gäbe es Elke Heidenreich noch im Fernsehen mit ihrer Sendung „Lesen!“, dann würde die Kritikerin dieses mit Sicherheit hochhalten und sagen: „Lesen Sie dieses funkelnde Buch!“

Schon der Klappentext hat mich eingefangen, spielt die Geschichte doch in meiner Sehnsuchtsstadt New York. Polly ist die Romanheldin, die alles hat, was sie glücklich machen sollte: Sie lebt in der Park Avenue mit ihrem Anwaltsehemann, hat zwei bezaubernde Kinder und stammt aus einer wohlhabenden Familie. Aber Polly hat auch ein Geheimnis: ihren Geliebten Lincoln. Der ist Maler, ein echter Freigeist, der bisher nie eine wirkliche Beziehung hatte – bis Polly kam.

Polly hat von Beginn an mein Herz erobert – diesen Sonnenschein nicht zu mögen, ist schier unmöglich. Das war schon immer so, bis die Affäre mit Lincoln sie dazu bringt, ihre Rolle als Mutter, Tochter und Ehefrau aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Das klingt dann so:

„Ich bin aus etwas herausgewachsen – aus was, weiß ich nicht so genau. Mir fehlen die Worte. Ich weiß überhaupt nichts mehr.“

Folglich ist sie überspannt, wird vergesslich, und fühlt sich nicht gut. Wie soll es nur weitergehen? Einerseits hängt sie an ihrem Ehemann Henry und ihrer Familie. Andererseits beunruhigt sie Lincolns bevorstehende Abwesenheit – der Künstler ist nach Paris eingeladen worden und möchte dorthin reisen. Am liebsten würde er seine Liebste mitnehmen, sie mag zwar voller Chuzpe sein, doch fehlt ihr am Ende der große Mut zum finalen Schritt. Aber würde es beide überhaupt glücklich machen, wenn Polly ihre Familie verließe und Lincoln sich in eine feste Beziehung begäbe?

Laurie Colwin | © Foto: Nancy Crampton, Rowohlt Verlag

„Familienglück“ ist ein Ehebruchroman, der nicht ganz neu, aber völlig frei von Patina ist. Ganz im Gegenteil, die Lektüre fühlt sich wie eine Frischzellenkur an. Voller Leichtigkeit und Charme führt mich die Autorin durch eine Geschichte, die durchaus dunkle Nuancen hat, mich aber nie in den Boden der Traurigkeit drückt. Vom ersten Satz an hatte ich eher das Gefühl, in einem dieser stimmungsvollen New-York-Movies zu sitzen. Mein Kollege Frank Menden fühlte sich an einen Film von Nora Ephron erinnert. Ein größeres Kompliment kann man einem Buch kaum machen. Also Fernseher ausschalten und Roman aufschlagen!

Für mich ist’s ein Highlight, dem ich noch viele weitere Fans wünsche, und das zeigt: Es lohnt sich, rororo Entdeckungen mutig zu erkunden. So haltet ihr plötzlich einen New-York-Film als Buch in euren Händen.

Laurie Colwin: Familienglück. Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Längsfeld. rororo Entdeckungen, Mai 2024, 349 Seiten, 15,- €. Bei stories!-Die Buchhandlung sind alle Titel dieser Reihe vorrätig oder auch im Online Shop bestellbar.

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