Ein feuerroter Mädchenroman.

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Witzig, aufregend, großer Lesespaß. So könnte mein Fazit lauten, wenn ich auf Kirsten Fuchs’ neues Buch »Mädchenmeute« zurückblicke. Natürlich gibt es noch viel mehr darüber zu sagen. Zum Beispiel das Cover – es ist feuerrot, eine sehr temperamentvolle Farbe. Und die nicht hätte treffender gewählt werden können. In dem Werk steckt nämlich jede Menge Bewegung drin, Abenteuer obendrein sowie eine ordentliche Portion Mut, über sich hinauszuwachsen und eine bemerkenswerte Sprache. Kurzum: Ein aufregendes Mädchenbuch, das ich mir als junges Mädchen gewünscht hätte, aber als erwachsene Frau genauso gern gelesen habe.

Die fünfzehnjährige Charlotte ist die Erzählstimme in diesem über vierhundert Seiten starken Roman. Die Sommerferien stehen an und Charlottes Mutter möchte das Mädchen drei Wochen in ein Ferien-Fun-Survival-Camp schicken. Ohne Handy, dafür mit viel Natur. Natürlich ist Charlotte erstmal alles andere als begeistert. Wobei die Alternative keinesfalls attraktiver ist – Ferien bei der Oma. »Wenn ich dort war, begann ich schon nach wenigen Minuten, Schimmel anzusetzen.« Also entscheidet sie sich lieber für das Camp. Und findet sich dort bald mit sieben weiteren Mädchen im nächtlichen Wald wieder. Der Mond schaut als Zeuge von oben zu, fehlt nur noch das Heulen der Wölfe. Unheimlich ist es in jedem Fall für die Mädchen, die im Entenmarsch hinter der Gruppenleiterin Inken zu den sieben Baracken laufen. Nachdem alle ihre Übernachtungspakete erhalten haben, geht’s an die Aufteilung – pro Baracke zwei Mädchen. Und dann fällt Charlotte mit einem äußerst komischen Gefühl in den Schlaf. Bis es heißt: »Inken ist weg!«. Dann wird es spannend, richtig spannend.

Aus den acht Mädchen werden plötzlich sieben, eine hat das Weite gesucht. Dafür taucht Inken wieder auf, diese merkwürdige Gruppenleiterin. Die Mädchen flüchten aus diesem seltsamen Ort – Charlotte, Freigunda, Bea, Yvette, Anuschka, Antonia und Rike flitzen, so schnell sie können. Wie sich das anfühlt, lässt mich Charlotte wissen: »In dem Moment spürte ich es das erste Mal: den Sog. Ein runder Sog – also eher ein Strudel. Hier war ein Kreis von Mädchen – und ich war ein Teil davon, und jede andere auch, und wenn eine gehen würde, wäre es kein Kreis mehr. Und ich spüre, dass ich alles tun würde, um diesen Kreis zu erhalten.« Als sie am Bahnhof von Bad Heiligen angekommen sind, entscheiden sie sich, gemeinsam weiter zu machen. Aber wie und wohin? Nur noch weg, am besten mit dem Zug. Anuschka schlägt vor, zu ihr ins Erzgebirge zu fahren. Das Ziel ist der Bergwerkstunnel, wo sie mit ihrem Bruder als Kind gespielt hat. Bea besorgt die Tickets – und auf geht’s! Direkt ins wirkliche Abenteuercamp, mit Nachtwache und Kräutersuchen, um Wunden zu heilen. Gemeinsam wollen sie sich ums Essen kümmern. Schauen, was der Wald hergibt oder die Container der Supermärkte in der Stadt. Manchmal finden sich Beutel mit Brot in der Nähe ihres gewählten Unterschlupfs. Wo kommt das nur her? Stets mit dabei die Hunde, die sie auf ihrer Flucht in einem geklauten Auto vorgefunden haben, für jedes Mädchen einen.

Kirsten Fuchs hat sieben verschiedene und glaubwürdige Protagonistinnen geschaffen – von naiv über cool bis hin zu dominant. Am dichtesten bin ich natürlich bei der großen, dünnen Charlotte, die eher schüchtern ist und deshalb schnell leuchtendrot anläuft wie das Buchcover. Doch Charlotte wächst bald über sich hinaus und pfeift einige Seiten später auf das Rotwerden. Weil im Wald andere Gesetze herrschen: »Ich war hier nicht verpflichtet so zu sein, wie ich sonst war. Ich war Wetter, Tageszeit und Nahrung. Ich war Reaktion und Müdigkeit. Insgesamt war ich mehr alles drum herum als innen drin. Das war schön so.«

In all dem atmet der Wald. Mit seinen Geräuschen, Eigenheiten und Geheimnissen. Er dient als Spielplatz und ist gleichzeitig die Lebensader der Mädchen. »Der Wald war für uns ein Supermarkt. Pflücken kostet drei Kratzer, Sammeln kostet Schweiß.« Da juckt es selbst mir in den Fingern und ich will dorthin, mich hineinstürzen in das Abenteuer, von dem wahrscheinlich viele Mädchen träumen, es sich aber nicht trauen.

Kirsten Fuchs fügt sich mit Fingerspitzengefühl in die Rolle der pubertierenden Mädchen und legt jeder Figur einen wahrhaftigen Ton in den Mund. Natürlich bleiben Konflikte nicht aus. Es wird auch mal gekeift und rumgezickt, bis die Äste knacken.

Während die Mädchen sich in ihr Abenteuer verlieren, vergessen sie fast das richtige Leben da draußen. Erst die Zeitungen, die durchs Containern – die einzige Schnur in die Welt außerhalb des Waldes – zu ihnen finden, führen sie unweigerlich auf den Boden der Tatsachen zurück.

Allein diese fein ausgeklügelte, spannend erzählte Story spricht schon für sich. Doch es geht noch höher, noch besser! Es ist Kirsten Fuchs ganz eigenem Stil zu verdanken, dass die Lektüre Spaß und Wunder zugleich vereint. Die Sprache ist unglaublich erfrischend, witzig, humorvoll und bildreich. Kurzum – sie macht einfach süchtig. Ein wahrlich bemerkenswert erzählter Coming-of-Age Roman, dessen feuerrote Farbe bereits den Weg weist. Witzig, aufregend, großer Lesespaß. So lautet mein Fazit tatsächlich!

Mit dem Buch ist an dieser Stelle Schluss, doch mit der Autorin geht es am kommenden Sonntag weiter. Da habe ich Kirsten Fuchs bei mir zu Gast.

Kirsten Fuchs: Mädchenmeute. Rowohlt Berlin, Januar 2015, 464 Seiten, 19,95 €.

Weitere Stimmen zum Buch:
> Literaturen
> kulturradio vom rbb
> Lesevergnügen-Blog

4 Gedanken zu „Ein feuerroter Mädchenroman.

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