Schlagwort-Archive: Trauer

Die Magie des Imaginären.

„Die ersten Wörter in einem Buch sind am Wichtigsten. Es ist die erste Begegnung, der Moment, in dem ein Leser ein Buch aufschlägt und zu lesen beginnt. Es ist wie ein erster Blickkontakt oder eine erste Berührung, und wir spüren das auch.“ Wie wahr – das kenne ich zu gut. Wenn es auf den ersten Seiten nicht funkt zwischen einem Buch und mir, dann lege ich es zurück. Bei „Die leise Last der Dinge“ von Ruth Ozeki gab es einen wahren Funkenregen. So öffne ich dieses außergewöhnliche Werk für euch und lade euch ein, mir zu folgen.

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Jeder Tag ein Geschenk.

Bild von Tomasz Kowaluk auf Pixabay

Je älter ich werde, desto mehr werde ich mit dem Tod konfrontiert. Klar, es wäre illusorisch zu denken, er würde mich und mein Umfeld verschonen. Und so verlor ich kurz hintereinander erst einen geschätzten Buchhändlerkollegen, der mir mehr Freund als Kollege war, und dann eine liebe, vertraute Freundin. Natürlich ist der Mensch nie auf solche niederschmetternden Nachrichten vorbereitet, so sehr sie sich vielleicht auch durch Krankheit oder andere Dinge ankündigen mögen.

Wie ein Knall brachten mich diese Todesnachrichten zum Schweigen und machten mich unendlich traurig. Was wollte ich den Gefährten noch alles sagen! Und konnte es dann doch nicht mehr. In solchen Momenten ist es unendlich tröstlich, wenn andere für einen die richtigen Worte finden. Ich habe sie in einem Buch entdeckt.

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Zum Gedenken an die Toten. Und ans Leben. 

Allerseelen ist vorbei. Einen Tag nach Allerheiligen wird der Verstorbenen gedacht. Das Gedächtnis aller Seelen. So geschieht es bei den Katholiken. Die evangelische Kirche gedenkt der Verstorbenen am Totensonntag. Nehmen wir es also nicht so genau und gedenken am Totensonntag denjenigen, die in diesem Jahr von uns gegangen sind. 

Vielleicht hat jemand einen Menschen verloren, den er geliebt hat. Es sind auch wieder Künstler von uns gegangen, deren Werke uns viel gegeben haben. In jedem Fall sollten wir auch den Opfern von Gewalt und Tyrannei gedenken und denen, die es auf der Suche nach einem besseren Leben nicht zu uns geschafft haben. Lasst uns innehalten und dankbar sein, dass wir noch am Leben sind. 

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Eine Geschichte von Liebe und Tod.

Man könnte fast meinen, die Sonne am heutigen Totensonntag ist ein Geschenk des Himmels. Sie strahlt Trost und Zuversicht aus. Vor allem nach diesem herausfordernden Jahr fühlt sich eine Novembersonne, die leicht mystisch durch nebliges Licht scheint, wie ein kleines Glück an. In solchen Momenten halten wir inne und staunen. Innehalten, still sein, nicht laut rufen, schon gar nicht schreien oder Recht behalten wollen. Innehalten.

Wie im vergangenen Jahr möchten wir heute den Toten gedenken, auch denjenigen, die durch das alles beherrschende Virus von uns gegangen sind. Der Gedanke daran lässt uns stiller werden. Schließlich führt uns der Tod unsere eigene Endlichkeit vor Augen. Manchmal raubt er uns sogar die Sprache. Wir möchten zu einem trauenden Menschen die richtigen Worte sagen, schnappen aber nur nach Luft oder kreisen mit dem Füller über eine leere Kondolenzkarte. Wie tröstend ist es dann, wenn wir ein Buch in den Händen halten, das genau das sagt, was wir fühlen. »Sterben im Sommer« von Zsuzsa Bánk ist genau so ein Buch.

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Der Tod nimmt alles. Nur nicht die Trauer.

immeer

Sich selbst verlieren. Ganz tief fallen, den anderen festhalten wollen und ihn doch nicht halten können. Wie sich das anfühlt, davon erzählt Henriette Vásárhelyi in immeer so ergreifend, dass es mir die Luft raubt und ich mit den Armen rudere, um nicht umzukippen. Die Autorin schreibt über das, vor dem sich jeder von uns fürchtet: Wenn ein geliebter Mensch stirbt und man ohne ihn weiterleben muss. Weiterlesen

Wie viel Trauer verträgt eine Geschichte?


Das frage ich mich, seit ich das Hörbuch „Lied ohne Worte“ von Sofja Tolstaja beendet habe. Es ist ein Juwel, das ich euch nicht vorenthalten wollte. Die tiefe russische Seele kenne ich gut. Trotzdem bin ich hin- und hergerissen und weiß nicht, wie ich das Ganze einordnen soll.

Sonja Beißwenger ist die ideale Besetzung, um den Roman vorzulesen. Ihre Sanftmut in der Stimme hat mich sofort gelockt und weich fallenlassen. Die Sätze der Schriftstellerin schmiegten sich wie Zahnräder ins passende Getriebe der Sprecherin. Somit ist von Beginn an eine ruhige Harmonie vorhanden, die für die schwere Geschichte auch vonnöten ist.

Die Hauptperson in dem Roman ist Sascha, eine sehr empfindsame Seele. Ihr fehlt es an Kraft und Stärke. Nach dem Tod der geliebten Mutter sackt die junge Frau vor Kummer zusammen und fällt in ein dunkles Loch. Selbst ihrem gutmütigen, distanzierten Ehemann Pjotr gelingt es kaum, sie da wieder herauszuziehen bis er eine Idee hat: Er schlägt seiner Frau vor, gemeinsam mit dem Sohn den Sommer auf dem Lande zu verbringen. Nach anfänglicher Skepsis stimmt die junge Frau dem Vorschlag zu.

Auf dem Lande ist es schön, aber sehr ruhig. Eines Abends hört Sascha beim Spaziergang musikalische Klänge von Mendelssohn-Bartholdys „Liedern ohne Worte“. Sie kommen aus dem Nachbarhaus. Dem nähert sie sich und lernt einen jungen Komponisten kennen. In der Musik findet Sascha langsam zu sich und entdeckt die große Leidenschaft für Musik wieder. Kraftschübe bauen die junge Frau auf und nicht nur das: Sie verliebt sich in den Musiker jener klassischer Töne.

Poetische und sensible Klänge tauchen aus „Lied ohne Worte“ auf. Sie klettern wie kleine Ranken empor und setzen sich an die empfindsamen Stellen. Sofja Tolstaja verliert sich jedoch nicht in den Gefühlen und verleiht ihrem Werk etwas sehr Authentisches. Genau das drückt hier alles brutal zu Boden. Mir fiel es schwer, ständig den melancholischen Ton Saschas zu ertragen. Ich vermisste ein ausgleichendes Element, ein Pendel, an dem ich mich wieder hochziehen konnte. Das Leben besteht aus Schattenseiten, sonst würden wir uns verbrennen. Aber wenn die Sonne gänzlich fehlt, werde ich von einer bissigen Unruhe befallen. Wer weiß, vielleicht habe ich zu viel Leichtigkeit im Herzen, um das Gewicht das Hörbuchs zu tragen.

Sonja Beißwenger und Sofja Tolstaja spielen ihre ganz eigene Ouvertüre, die einen wunderschönen Klang hat und mich trotzdem nicht ganz erreichen konnte. Aber ich habe immer wieder auf Play gedrückt, weil mich die Geschichte nie ganz losließ. Seitdem weiß ich nicht genau, was ich denken soll und mich frage: Wie viel Trauer verträgt eine Geschichte?

Sofja Tolstaja.
Lied ohne Worte.
Gelesen von Sonja Beißwenger.
04 Std. 30 Min., 13,95 €.
audible.de