Können Spinnen und Schweine befreundet sein? Das hört sich irgendwie nach verdrehter Welt an. Der Mond hockt ja auch nicht bei der Sonne. Und doch ist das möglich. Auch wenn manch einer noch schief lächelt, es geht. Im Land der Phantasie. Genauer gesagt bei E.B. White und Garth Williams. Die haben ein wunderbares Buch darüber verfasst.
Die Geschichte beginnt damit, dass Fern ein Ferkel rettet. Ihr Vater würde das Tier am liebsten schlachten, weil es viel zu klein geraten ist. Aber das Mädchen protestiert: „Das Schwein kann doch nichts dafür, dass es so klein auf die Welt gekommen ist.“ Ihre Eltern hätten sie auch nicht umgebracht, wenn sie zu klein geraten wäre. Natürlich nicht, aber Menschen und Schweine seien ja was anderes. Nein, nicht für die mutige Fern. Und so überlebt das Schweinchen, bekommt sogar einen Namen verpasst, heißt ab dann Wilbur. Leider muss es nach den ersten beiden Monaten weg von Fern. Zum Onkel nebenan, der ebenfalls Schweine hält. Fortan besucht das aufgeweckte Mädchen ihren Wilbur. Der muss sich erstmal einfinden und fühlt sich bald unter den anderen Tieren einsam. Bis zu dem Abend, als ihn jemand aus der Dunkelheit fragt: „Brauchst du einen Freund, Wilbur?“ Das ist Charlotte, die Spinne. Sie wird nicht nur Wilburs beste Freundin, sondern gleichzeitig seine Lebensretterin.
Dieses Buch hat schon mehr als 50 Jahre überlebt. Zurecht! E.B.Wilbur hat zusammen mit dem Illustrator Garth Williams ein erstklassiges Kinderbuch geschrieben. Eine lebhafte Geschichte ist das – unwahrscheinlich lustig erzählt und mit zauberhaften Zeichnungen versehen. Jedes Tier wird mit seiner Eigenart dargestellt. Ich denke da beispielsweise an die Ratte Templeton. Sie ist nur auf sich bedacht und sucht ständig nach Fressen. Die anderen um sie herum interessieren sie nicht. Doch fügen sich auch solche Egoisten in die Gemeinschaft, wenn man richtig mit ihnen spricht. Charlottes Scharfsinn und Intelligenz sei Dank.
Die Sprache ist einfach, klar und sehr unterhaltsam. Es gibt Dialoge, die man öfter lesen möchte, wie die zwischen Wilbur und einem Lamm. Für das Ferkel gibt es „nichts, was weniger ist als nichts“, was das Lamm vorher herausposaunt hat. Nach Wilburs Erläuterungen ist es platt als hätte man das Lamm durch den Fleischwolf gedreht. Zumindest fehlen dem Tier die Worte und so ruft es aus seiner Verzweiflung: „Ach, sei doch still!“
Neben all dem Miteinander vermittelt das Buch eine besondere Botschaft: Selbst unterschiedliche Wesen können friedlich zusammenleben. Man sollte jeden mit seinen Macken akzeptieren, machmal vielleicht laut grunzen, aber jeden seins machen lassen. Und welch Geschenk ist es, wenn man einen guten Freund gefunden hat! Jemand, der einen versteht und einem zuhört.
Es macht sehr viel Freude das Buch zu lesen, dass ich mich oft ertappt habe, wie ich selbst eigenartige Geräusche von mir gegeben habe, ein Grunzen hier, ein Schnattern dort. Nicht nur das: Zum Schluss hatte ich sogar weniger Angst vor Spinnen. Nur ein bisschen. Ein bisschen ist immerhin mehr als nichts.
Wilbur und Charlotte.
E. B. White und Garth Williams.
1976 erstmals in der Reihe > Diogenes Kinder Klassiker< erschienen.
Erste deutsche Übersetzung erschien 1953.
213 Seiten, 8,90 €.
Diogenes Verlag.