In den vergangenen beiden Wochen war es um die Klappentexterin ein bisschen ruhiger. Nein, ich habe nicht gestreikt, sondern mich einfach in die Arme des Müßiggangs fallen lassen. In meiner Lese-Auszeit konnte ich allerhand feine Sachen und wunderbare Glücksmomente erleben, die ich ungern ganz allein für mich behalten möchte.
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Lebensfreude am Angelhaken.
Dieses Mal gehen das Buch-Model und die Rezension Hand in Hand.
Was gibt es für ein größeres Abenteuer als das Leben selbst? Das hat sich auch Fabio Genovesi gedacht, als er „Fische füttern“ schrieb. In seinem Roman erzählt der italienische Autor von Menschen, die in einem kleinen Dorf in der toskanischen Provinz leben. Mit einer mitreißenden Leichtigkeit tanzt er übermütig durch den Roman, dass ich nicht anders kann, als zu lächeln und das Buch in einem Rutsch zu lesen. Ich spüre Flügel auf meinem Rücken wachsen, so leicht schweben die vielen Zeilen, so kraftvoll hebt mich die aufsteigende Lebensfreude nach oben.
Fiorenzo kommt als Erster zu Wort und bleibt die lauteste Stimme im Buch. Der 19-Jährige hat vor fünf Jahren bei einer Feuerwerksexplosion seine rechte Hand verloren und damit auch den Traum des Vaters ausgelöscht. Der wollte aus seinem Sohn einen Radprofi machen. Jetzt steht Fiorenzo kurz vor dem Abitur. Ob er den Abschluss schafft, steht noch in den Sternen, glänzt er doch mehr durch Abwesenheit in der Schule. Angeln und seine Band sind da viel aufregender. Als lästig empfindet er Mirko, „der kleine Champion“, den Fiorenzos Vater trainiert. Auf dem Rennrad holt er einen Sieg nach dem anderen, nur in der Schule ist er eine Niete. Damit das nicht so bleibt, soll Fiorenzo ihm Nachhilfe erteilen. Der wehrt sich zunächst gegen die Bitte des Vaters, aber Fiorenzo hat eine Idee, eine wirklich gemeine, die dazu führt, dass Fiorenzo Tiziana kennenlernt und das wiederum hat zur Folge… Nein, mehr verrate ich nicht. Nur so viel: Bei Fabio Genovesi kommt keine Langeweile auf, er wechselt die Erzählperspektiven und erfreut mich durch einen bunten Strauß an lebensklugen Sätzen wie diesem hier: „Es gibt Dinge, die sind richtig und müssen einfach passieren, weil sie so schön sind, auch wenn sie am Ende doch nicht passieren. Aber das macht nichts, vielleicht passieren sie morgen oder übermorgen oder irgendwann, wenn’s ihnen in den Kram passt.“ Oder sie passieren heute, wenn du das Buch liest. Das Abenteuer Leben erwartet dich!
Fabio Genovesi.
Fische füttern.
März 2012, 432 Seiten, 19,99 €.
Bastei Lübbe.
Über den Autor:
Fabio Genovesi wurde 1974 geboren und lebt in Forte dei Marmi am Ligurischen Meer. Er ist Bühnenautor, Drehbuchschreiber und freier Redakteur für Rolling Stone, Vanity Fair und andere Zeitschriften. Darüber hinaus ist er als Übersetzer tätig, trainiert den Radsportnachwuchs und begeistert sich für das Sportfischen. In Italien wurde Fabio Genovesi als originelle neue Erzählstimme gefeiert.
Schieflage im Kopf.
Ich war im Irrenhaus und bin jetzt ein verrücktes Huhn. Schuld daran ist Ascanio Celestini. Der italienische Autor weckt mit seinem aktuellen Roman „Schwarzes Schaf“ den glatten Wahnsinn und verscheucht jegliche Normalität.
Wie kann jemand auf nur 128 Seiten ein ganzes Leben im Irrenhaus darlegen? Das wollte ich wissen, nachdem ich in der Wagenbach-Vorschau auf den Titel aufmerksam wurde. Also habe ich das Buch aufgeschlagen und bin wie ein Pfeil in die schräge Gedankenwelt des Ich-Erzählers geflogen. Nicola lässt mir keine Zeit, hat mich einfach gepackt und mit seinen ersten Worten neugierig gemacht: „Ich bin in den sechziger Jahren geboren. In den fabelhaften Sechzigern.“ Was für ein Glückspilz er doch ist, denn alle wollten in den sechziger Jahren geboren werden, so schreibt er. Die Fünfziger waren geprägt von Armut und nichts besonderes, erzählt Nicola. Alle Menschen fieberten den verheißungsreichen Jahren entgegen, wirklich alle, bis auf eine Frau: seine Großmutter. Sie lebt in der eigenen Welt mit dem Omakittel, den Stinkeatem und den Rülpsern, die nicht nach Coca-Cola oder Pepsi-Cola rochen, sondern nach frischem Hühnerei. Nicolas Großmutter singt keine Lieder der 60er Jahre und hasst eigentlich alles, die Hühner ausgenommen. In dieser eigenartigen Liebe zu den Tieren hat die Oma eine seltsame Marotte entwickelt, die verdammt komisch ist, dass ich mir auch nach wiederholtem Auftauchen jenes Rituals das Lachen nicht verkneifen konnte. Sobald die Oma ein frisches Ei in die Hände bekommt, bohrt sie mit dem Finger ein Loch ins rohe Ei, schlürft es, um kurz danach ihre Zeremonie mit einem „das ist frisch, das Ei. Es riecht noch nach Hühnerarsch“ zu dokumentieren. Unheimlich schräg, oder?
Nicola ist ein Außenseiter, der das schon früh zu spüren bekommt. So sitzt er in der Schule in der hintersten Reihe, die Lehrerin spricht von ihm als schwarzes Schaf. Dennoch habe ich in keiner Minute das Gefühl, dass ihn das irgendwie stört. Stattdessen macht er seltsame Dinge, er isst Spinnen, Erde, Sand und erzählt verstörende Geschichten. Beim Lesen bleibt ein Stirnrunzeln nicht aus, vor allem bleibt es bleibt die ganze Zeit über anwesend.
Nicolas Großmutter führt ihn eines Tages in die Irrenanstalt, um seine Mutter zu besuchen, die dort an Armen und Beinen gefesselt im Bett liegt. Für den Jungen ist das eine befremdliche Situation, wusste er bislang gar nicht, dass seine Mutter dort Patientin war. Nicolas Oma erklärt ihrem Enkel, weshalb die Menschen in der Irrenanstalt landen: „Meine Großmutter sagt: »hierher bringen sie arme Irre wie deine Mutter, weil diese Anstalt eine elektrische Anstalt ist. Sie behandeln das Gehirn mit Elektrizität. Bei manchen Irren ist das Gehirn wie ein Zimmer, in dem immer die Lichter brennen. Auch nachts. Und die Irren können nachts nicht schlafen bei dem hellen Licht, da machen sie kein Auge zu.“
Nicola und die Irrenanstalt sind bald nicht mehr von einander zu trennen. Aus einem Schatten wird ein vollständiges Bild, das leicht verwackelt ist. Je weiter ich in die Handlung eintauche, um so eigenartiger wird sie, die normale Distanz vom Anfang der Geschichte verschwimmt allmählich, bis sie am Horizont wie ein Nebelschleier verblasst und die klare Sicht der Dinge raubt. Ehe ich mich versehe, stecke ich selbst mitten drin im Irrenhaus, verliere zunehmend die Kontrolle und lasse sie irgendwann liegen, weil es anders nicht möglich scheint.
Ascanio Celestino hat dem Irrsinn eine Stimme gegeben und jegliche Grenzen ausradiert. Er zeichnet ungefiltert das Bild einer Irrenanstalt, das verrückt ist und mich erschaudern lässt. Dem Italiener ist ein wahnsinnig komisches, tragisches Buch gelungen, bei dem sich die Augen verdrehen und der Kopf Achterbahn fährt. Oft denke ich: Ist das wahr? Oder reine Fantasie? Glaubt der Ich-Erzähler wirklich alles, was er erzählt? Oder will er mich nur auf die Schippe nehmen? Die Synapsen zischen, explodieren und treiben mich in den Wahnsinn. Aber so ist das wohl, wenn man verrückt ist. Da existiert kein Entweder-Oder, nur ein Ist.
In einem erfrischend frechen Ton schreibt Ascanio Celestini die Geschichte der Menschen, die sich ihre eigene Welt schaffen. Der Kopf gerät in eine Schieflage, kämpft mit Vernunft und Irrsinn. Was mich rettet ist der gewaltige Sprachwitz, der der Tragik die Luft nimmt und die Mundwinkel wie eine Mundharmonika auseinanderzieht. „Schwarzes Schaf“ ist ein eigenwilliger Roman, der seine Liebhaber finden wird. Jene, die sich gern mal von dem Normalen lösen und abtauchen wollen in eine skurrile Welt des Absonderlichen. Ihr werdet sehen, schneller als man denkt, ist man selbst ein verrücktes Huhn, das Freude daran hat, anders zu sein und dem Banalen zu trotzen, egal wie befremdlich sich das auch anfühlen mag. Kikerikie!
Ascanio Celestini.
Schwarzes Schaf.
August 2011, 128 Seiten, 15,90 €.
Wagenbach Verlag.