
In diesen Roman fällt man wie in ein wärmendes Bett, aus dem man nicht wieder hinaus möchte. „Das Beste von allem“ gehört zu den besten Büchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Welch’ glücklicher Zufall, dass ausgerechnet meine Lieblingsserie „Mad Men“ den Ullstein Verlag angestoßen hat, diesen Roman aus dem Jahr 1958 jetzt in einer Neuübersetzung herauszubringen. In einer Folge der Erfolgsserie liest der gutaussehende Don Draper in genau diesem Buch, es ist seine Bettlektüre. So steht es auch auf einem Button, der auf dem Cover wie eine goldene Münze schimmert.
Am Anfang herrscht eine Atmosphäre, die ein Prickeln auf der Haut erzeugt. Sie elektrisiert und reißt mich mit. Ich befinde mich nicht mehr in Berlin des 21. Jahrhunderts, sondern fließe im Strom der Berufstätigen im New York vergangener Jahre mit. Rona Jaffe begeistert mich gleich mit dem ersten Satz: „Jeden Morgen um Viertel vor neun sieht man sie: Sie strömen aus dem Schlund des Subway-Tunnels, eilen aus der Grand Central Station und überqueren die Avenues – Lexington, Park, Madison und Fifth -, Hunderte und Aberhunderte junger Frauen. Manche wirken fröhlich, andere missmutig und andere wiederum so verschlafen, als lägen sie noch in ihren Betten.“ Spätestens an der Stelle stehe ich senkrecht und folge dem Geschehen mit wachen Augen, voller Vorfreude, auf das, was kommt.
Es ist das besondere „Mad Men“-Gefühl, das nach Aufbruch und Abenteuer schmeckt. Die Geschichte führt direkt ins New York der fünfziger Jahre und erzählt von fünf jungen Frauen. Sie sind hungrig nach dem Leben und auf der Suche nach dem Glück, das für jede ein anderes Gesicht hat. Caroline will ihre gescheiterte Liebesbeziehung vergessen und strebt danach, eine erfolgreiche Lektorin zu werden. April ist eine große Tagträumerin und verliebt in New York. Mary Agnes plant ihre Hochzeit, Barbara war schon verheiratet und steht nun mit ihrer Tochter allein da, sie teilt sich die Wohnung mit Kind und Mutter. Gregg hingegen träumt von einer Schauspielkarriere. Die blutjungen Frauen treffen sich alle beim großen Fabian Verlag und werden bald zu Weggefährtinnen, die Höhen und Tiefen gemeinsam durchlaufen. Und noch mehr: Alle erliegen dem Zauber, der verlockenden Verheißung, die das Leben und die Großstadt für sie bereithält.
Rona Jaffe fühlt sich in jedes Mädchen ein und lässt sie auf ihrer Bühne tanzen. Mit feinfühliger Hand beschreibt sie die unterschiedlichen Lebensentwürfe. Nicht selten finde ich Parallelen zu mir und meinen Freundinnen. Da ist Carolines Ehrgeiz, der mich an meinen eigenen denken lässt, damals, als ich davon träumte, eine erfolgreiche Journalistin zu werden.
Was für uns heute selbstverständlich ist, war es vor 60 Jahren ganz bestimmt nicht. Rona Jaffe legt Dinge offen, über die man in den fünfziger Jahren geschwiegen hat. Im Nachwort von 2005 schreibt sie:„Damals sprachen Frauen nicht darüber, wenn sie nicht mehr Jungfrauen waren. Sie sprachen nicht darüber, wenn sie ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann hatten. Sie sprachen nicht über Abtreibungen. Sie sprachen nicht über sexuelle Belästigung, es gab nicht einmal einen Begriff dafür.“ Nach Interviews mit fünfzig Frauen wurde ihr klar, „dass alle diese Dinge auch im Leben dieser Frauen existierten. Ich dachte, wenn ich einem jungen Mädchen helfen konnte, das in seiner winzigen Wohnung saß und glaubte, mit ihrem Problem allein zu sein, und sich als „gefallenes“ Mädchen betrachtete, dann hätte sich dieses Buch schon gelohnt.“ Und das hat es. Die Autorin greift all die Themen auf, schreibt von lüsternen Chefs, die sich an die jungen Mitarbeiterinnen heranmachen, genauso berichtet sie von einer Abtreibung sowie vom Liebesleben und sie erzählt von Frauen, die selbstbewusst ihren Weg gehen wollen. Frauen, die sich in der harten Männerwelt behaupten, ihren Stolz zeigen und selbstbewusst den Rücken strecken. Sicherlich sind manche Situationen für uns heute ein wenig befremdlich, wie die Bedeutung der Hochzeit, der sehr viel Raum gegeben wird. Oder das Rollenbild der Frau, das nach der Eheschließung feststand: Mann ging arbeiten und Frau blieb daheim. Über das konnte ich hinweglesen und irgendwie gehört es auch dazu: Andere Zeiten, andere Begebenheiten. Trotz der festgesetzten gesellschaftlichen Regeln verströmt der Roman so viel Esprit, der leicht betrunken macht, vor Glück und Abenteuerlust.
Besonders begeistert haben mich die Mädchen, die all das nach draußen tragen, was uns bekannt ist: die unbändige Neugier und das Frische, die Leichtigkeit und das Nachdenkliche, das Naive und die Ernsthaftigkeit. Sie laufen in das Leben so wie es kommt, stürzen manchmal ab, als wären sie junge Vögel, die zu weit geflogen sind. Genau das gehört zum Leben, das Sammeln von schmerzhaften und erkenntnisreichen Erfahrungen, vor denen man vielleicht auch mal erschreckt und sich fragt: „Was habe ich da nur angestellt?“
Obwohl ich mich heute in einer anderen Zeit bewege, ist der Roman nach wie vor noch aktuell, wenn es um die Selbstverwirklichung und die eigenen Träume geht. Für erfahrene Frauen ist es eine Reise in die Vergangenheit, in der die Zukunft noch verlockend wie reife Äpfel an den Bäumen hingen und für die jungen ist es ein Blitz, der leuchtend am Himmel zischt und die eigenen Träume elektrisiert. Sie wollen den Geschmack von Aufbruch und Abenteuer auf ihrer Zunge spüren.
Rona Jaffe.
Das Beste von allem.
Mai 2012, 656 Seiten, 9,99 €.
Ullstein Taschenbuch.