
Dieses Buch knallt – von der ersten bis zur letzten Seite. Es ist unglaublich laut, auf angenehme Weise laut, so dass ich Lust hatte, wie ein kreischender Groupie hin- und her zu hüpfen. Selbst jetzt versuche ich, mich zusammenzureißen, muss meine Finger wie eine Dirigentin bewusst koordinieren, damit sie nicht wild durcheinander wirbeln. So ist es wohl, bei Doris Knecht ruhig zu bleiben, kommt einem Kunststück gleich.
Eigentlich verbindet mich wenig mit der Ich-Erzählerin. Weder bin ich eine Mutter, noch bewege ich mich wie Antonia in gutsituierten Kreisen. Aber die Autorin ist meisterhaft darin, mitreißend zu erzählen und mich zu begeistern, weil sie alle Schranken mit einer Axt zerhackt. Hauptsächlich ist es ihrem besonderen Stil zu verdanken, diese schrägen, zum Brüllen komischen Töne bei denen ich mir das Lachen nicht verkneifen kann. Der Schelm sitzt auf der Schulter und pustet mir stürmisch ins Ohr. Und das obwohl die Geschichte im Kern nicht wirklich zum Lachen ist. Antonia erinnert mich an ein Rehkitz, das sich im Wald verlaufen und sich mit der aussichtslosen der Lage arrangiert hat: „Ich wollte diesen normalen, gutsituierten Mann und sein schönes Dasein und seine schöne Wohnung und seine warmen Augen und ich wollte das alles beglaubigt und vor Zeugen. Ich wollte Kinder mit ihm, genau zwei. Ich wollte zu ihm gehören, zu seiner Welt, auch wenn mir klar war, dass mir einiges davon immer fremd bleiben würde und unangenehm in vielerlei Weise. Und dass ich darin fremd bleiben würde.“ Dieses Fremde ist das tragende Element in der Geschichte. Es ist der Stachel, der dem Buch seine Schärfe verleiht. Spitze Zacken, die sich haifischgleich in der Haut festbeißen. Denn eins ist sicher: Doris Knecht haut die Dinge zynisch, nonchalant und glasklar auf den Tisch – ohne Schönfärberei. Sie sind bisweilen bitterböse, aufwühlend, aber zutiefst wahr, so dass ich mit dem Finger darauf zeige und rufe: „Genau! Weiter so! Herrlich!“
Antonia hat alles, wirklich alles, um glücklich zu sein. Ein warmes, schönes Nest mit einem liebevollen Ehemann und zwei Kindern. Dennoch schwebt vor ihrem Glück eine dicke, hässliche Regenwolke, die nicht abziehen will. Die Rolle als Mutter führt sie bisweilen an ihre Grenzen und das schildert sie ehrlich, täuschend echt. Sie macht manchmal Dinge, die nicht recht ins Bild einer fürsorglichen Mutter passen. Während der jüngste Sohn Juri schreit, zündet sich Antonia eine Zigarette an und schaut dem Kinderdrama zu. An diesen „ganz guten Tagen“ ist es ihr egal, „was die Leute über mich denken und ob sie denken, wie Unterschicht ist die denn…“ Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, ein unfassbares Szenario, bei dem sämtliche Mütter aufschreien würden, aber sie tut es einfach. Als Leserin begreife ich relativ schnell: Antonia ist eine Ausbrecherin, die sich das holt, was sie sich wünscht. Die Vernunft muss dann eben mal für bestimmte Zeit in den Keller ziehen. So hat sie einen Geliebten, der im Verborgenen bleibt und mit dem sie alles aufs Spiel setzt. Im Verlauf der Geschichte wird das Bild über die Protagonistin runder und erschreckend düster, indem sie ihre Kindheit rekapituliert. Sofort spüre ich frische Narben und das somit einhergehende Jucken und Ziehen. Die Rückblenden in Antonias Vergangenheit erinnern mich an Wespenstiche und singen ein trauriges, hoffnungsloses Lied. Kalte Schatten kriechen wie unangenehme Insekten an die Oberfläche: „Aber manchmal brennt es durch und das Dunkel explodiert in mir und breitet sich aus, übernimmt mich, und rund um mich herum wird alles zu laut und zu grell, und ich kann meine Kinder nicht mehr ansehen und nicht meinen Mann, und ich will nicht, dass sie mir zu nahe kommen, und ich will nicht, dass sie mich berühren, ich brauche Raum um mich herum, Wände und Stühle. Und dann bin ich meine Mutter. Genauso.“
Vorrangig steht eine Frau im Fokus dieser Geschichte, eine sich suchende Frau, deren Sehnsucht unersättlich scheint und deren Seele verletzt ist. Die Wunden sind tief, die Schmerzen schneidend und das Fremdsein pocht mit dem Herz im Duett. Darüber hinaus kommt das Buch einer Abrechnung mit der Gesellschaft gleich und verleiht dem Werk eine chilischarfe Note. „Es gibt bei uns auch keine dicken Kinder. Die gibt’s nur in der Unterschicht.“ Oder: “Heute muss natürlich jeder laufen, egal, was die Natur für einen vorgesehen hat: Yoga oder Laufen, eines von beidem muss man machen, dazu Massagen und Wellness, sonst gilt man als unverantwortlich seinem Körper, seiner Gesundheit und vor allem seinen Kindern gegenüber, denen man, wenn man nicht läuft, Yoga oder Wellness macht jederzeit an einer Herzkreislauferkrankung wegsterben kann. Ich kenne eigentlich niemand, der sich nicht traut, keinen Sport zu machen.“ Antonia spuckt Feuer, das nicht verschluckt, sondern auf seltsam angenehme Weise verbrennt. Ihr lest richtig, ich möchte den Finger von dem lodernden Feuer nicht wegziehen. Wer den Roman liest, wird verstehen, warum das so ist.
„Besser“ hat mich aus meinem winterschlafähnlichen Zustand wach gerüttelt. Doris Knecht schreibt für den „Kurier“ eine tägliche Kolumne, genau das merkt man dem bemerkenswerten Buch an. Es ist erfrischend, reflektierend und spannungsgeladen. Mit jedem Satz knallt es. Ihre Wortexplosionen hinterlassen Funken und beleben wie eine morgendlich kalte Dusche. Liebhaber von literarischem Zündstoff, die offen für kritische, zynische Töne sind, werden mit „Besser“ eine große Freude erleben.
Doris Knecht.
Besser.
März 2013, 288 Seiten, 19,95 €.
Rowohlt Berlin