Baeschlin VerlagVielleicht ist Solothurn genau der richtige Ort, um dem Geheimnis des Schreibens auf die Spur zu kommen. Denn dort konnte ich innerhalb weniger Tage einige Lesungen erleben und interessanten Gesprächen mit Autoren lauschen. Wo Herr Klappentexter über das große Ganze geschrieben hat, widme ich mich nun vorrangig den Lesungen sowie den kleinen bezaubernden Dingen vor und hinter den Kulissen.
Archiv der Kategorie: Literaturgespräche
Reiches Land. Reiche Tage.
Die Dame vor uns am Schalter der Bank möchte 5.000,- € in Schweizer Franken wechseln. Ungläubig schauen wir auf unsere wenigen Scheine, die zusammen nur achtzig Euro ergeben. Willkommen in der Schweiz! Wobei der Flughafen Zürich für uns nur Durchgangsstation auf dem Weg nach Solothurn ist. Solothurn? Natürlich hat man den Namen schon einmal gehört, wäre jetzt aber nicht zwingend darauf gekommen, dorthin zu reisen. Dabei findet in der Stadt das wichtigste Literaturfestival der Schweiz statt, und dies bereits zum 39. Mal. Große Namen fanden den Weg an den Jurasüdfuss, darunter Günter Grass, Herta Müller und Claude Simon. Allesamt Nobelpreisträger. So können wir von einer veritablen Bildungslücke bei Familie Klappentexterin sprechen. Gut, füllen wir sie auf: Willkommen zu den Solothurner Literaturtagen!
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Talking about Karl Ove Knausgård und Tomas Espedal.
Karl Ove Knausgård ist ja derzeit in aller Munde, denn soeben ist sein neuestes Buch »Träumen« erschienen. Es ist der fünfte Teil seines autobiographischen Romanprojekts, sechs sollen es insgesamt werden. Obendrein erhält der Autor am 6. Oktober den »WELT«-Literaturpreis. Während alle Knausgård-Fans nun in einer Art Fieberrausch sein ersehntes opulentes Werk lesen, schaue ich staunend zu. Ich muss gestehen, dass ich bislang noch gar nichts von dem Norweger gelesen habe. Dafür konnte mich Tomas Espedal kürzlich mit seinem Buch »Wider die Kunst« vollends begeistern. Den norwegischen Autor habe ich nicht von allein entdeckt. Empfohlen wurde er mir seinerzeit von meiner geschätzten Buchhändler-Kollegin Maria-Christina Piwowarski von ocelot, not just another bookstore. Sie ist überdies noch ein großer Knausgård-Fan. Welch wunderbarer Zufall! So wurde ich von meiner Neugier gepackt und habe die »ocelotin« zu beiden Autoren interviewt.
Es sieht kalt aus, fühlt sich aber warm an.
Erinnert ihr euch noch? Ist ein bisschen her, da hab ich euch diese Karte gezeigt. Eine Karte, die nicht nur schön ist, sondern auch eine Geschichte erzählt. Nicht sie, sondern das Buch, was sich dahinter verbirgt:
Wörterbücher faszinieren mich. Tausende Worte, die man entdecken kann. Manchmal retten sie mich aber auch, wenn ich nicht weiß, schreib ich das nun mit einem r oder doch mit zwei rr? Zusammen oder getrennt? Ja, ich bekenne mich dazu: Ich schlage manchmal Wörter nach. Seit einigen Wochen habe ich für ganz spezielle Fälle ein außergewöhnliches Wörterbuch in meinem Regal zu stehen: [das] Wörterbuch der Liebenden {Roman}.
Anfangs war ich verwirrt. Ein Wörterbuch, das eine Geschichte erzählen soll? Ich musste gleich zweimal, dreimal dort hinschauen, als ich das Exemplar in den Händen hielt. Tatsächlich. Es ist ein Roman, was für einer. Ungewöhnlich. Alphabetisch und fortlaufend – ganz wie in einem Lexikon – erzählt David Levithan eine Liebesgeschichte. Das oberste Wort fasst immer den Kern der Episode zusammen, die der Ich-Erzähler beschreibt. Er beginnt mit abwegig und endet mit Zenit. Übersetzt hat es übrigens Andreas Steinhöfel, der auch hier wieder seine Sache ganz toll gemacht hat.
Wie schreibt man am besten über ein Wörterbuch? Also habe ich zusammen mit meiner Freundin Anne über das Werk gesprochen und ehe wir uns versahen, waren wir mitten in einem Gespräch zu einzelnen Passagen. Und in mir reifte die Lust, ein Wörterbuch eben so wiederzugeben, dass es seinen Geist weiter trägt. Einzelne Wörter zu einem großen Ganzen reifen zu lassen. Das hat David Levithan geschafft und wir sind ihm dabei leise mit lauten Gedanken gefolgt…
[E] Zunächst der erste Eindruck.
Anne: Das Buch in der Hand zu halten, ist ein tolles Gefühl. Der Umschlag ist weich und man möchte es nicht weglegen.
Klappentexterin: Das Cover ist ungewöhnlich. Es ist recht speziell und sieht kalt aus, fühlt sich aber warm an.
[S] Nun die Sprache.
A: Die Sprache ist gut, wenn du dich eingelesen hast. Das braucht eine Zeit. Wenn du jedoch erstmal drin ist, ist es großartig. Ich konnte die Liebe regelrecht spüren. Allein durch die Worte. Das ist der Wahnsinn. Das Schöne sind die einzelnen Episoden, die erzählt werden. Genau das ist es ja auch, was passiert, wenn man sich an vergangene Beziehungen erinnert. Man denkt nicht an das Ganze, sondern an Ausschnitte, einzelne Momente. Episoden eben.
KT: Das finde ich auch. Zumal das Buch zunächst nicht einladend wirkt, weil es wie ein Wörterbuch anfängt. Man erwartet irgendwie was Kühles, Fakten, wie man es ja sonst von Wörterbüchern kennt. Vielleicht schreckt das auch ein wenig ab. Das Cover ist hingegen ganz nach meinem Geschmack.
[ES] Jetzt einzelne Seiten.
Seite 9: abstraction, n. Abstraktum, n., Abstraktion, f.
>>Liebe ist ein Abstraktum.<<
A: Ich mag diesen Gedankengang sehr, weil ich das genauso sehe. Wenn dich eine Person verlässt beispielsweise, sehe ich eher ein Bild vor mir.
KT: Das Wort klingt mir ehrlich gesagt zu kühl, zu weit weg, wenn ich es mit Liebe in Verbindung bringe.
Seite 77: detachment, n. Distanziertheit, (Los-)Lösung, f.
>>Selbst, wenn ich abdrifte, bin ich noch da.<<
A: Diese Aussage finde ich bezeichnend für unsere heutige Gesellschaft. Entweder sagen wir uns zu viel oder wir sagen uns zu wenig und denken stattdessen sehr viel nach.
KT: Mir gefällt vor allem die Aussage, selbst wenn ich nicht anwesend bin, bin ich noch bei dir. Da spricht so viel Verbundenheit heraus, tiefe Liebe und doch eine Freiheit für jeden. Denn Liebe bedeutet für mich auch unabhängig sein, das eigene Leben weiterleben.
Seite 98: fast, n./adj. Fasten, n., schnell, Adj.
>> Ich bin ein Substantiv, das sich blitzartig in ein Verb verwandelt.<<
KT: Ich liebe diesen Satz. Den würde ich mir gern irgendwohin kleben. Es ist eine schöne Art zu sagen, dass man sich klein macht. Aus der Not heraus, weil man eben etwas Böses gesagt hat und nicht weiß, warum. Es tut einen leid. Man schämt sich ein bisschen und möchte sich klein machen, in ein Loch verschwinden. Wobei ich das Wort, das als Überschrift über der Episode steht, hier nicht mag. Fasten. Fasten hat für mich mehr mit Diät zu tun. Und das ist nun keine angenehme Sache. Das bedeutet Verzicht. Auf die Liebe verzichten möchte ich nicht, auch wenn ich mich mal klein mache.
Seite 104: fraught, adj. bedeutungsschwer, nervenaufreibend, Adj.
>>Verdient nicht jeder Kuss, erwidert zu werden? Verdient nicht jede Nacht, das man sie gemeinsam verbringt? Wenn die Antwort auf nur eine dieser Fragen ein Nein ist, was dann?>>
A: Das ist eine Stelle, an der ich sage, mich packt die Sprache. Und irgendwie bin ich hier total melancholisch geworden. Da steckt so viel drin und zeigt auch den Unterschied zwischen Frauen und Männern. Die emotionalen Frauen und die Männer, die sagen, wenn sich was ändert.
KT: Findest du, dass man jede Nacht gemeinsam verbringen muss?
A: Wenn man jede Nacht zusammen ist, wird es irgendwann… ja… normal… irgendwie. Da ist dann das Besondere weg. Wenn man mal woanders übernachtet und dann wieder zusammenkommt, ist das doch ein großartiges Ereignis. Ein besonderes Gefühl.
KT: Da stimme ich dir zu. Wenngleich ich den Alltag sehr schätze. Es bleibt für mich trotzdem was besonderes. Aber ich kenne das, wie es ist, wenn man sich mal eine Nacht nicht gesehen hat. Und zum Kuss kann ich nur sagen: Sicherlich sollte man einen Kuss erwidern oder eine Liebeserklärung, aber man kann es ja auch durch Gesten zeigen. Ein Lächeln, in den Arm nehmen, über die Hand streicheln.
A: Ich finde es auch total wichtig, den anderen wertzuschätzen, wenn er einen seine Gefühle offenbart. Da kann man nicht einfach so drüber hinweggehen. Man muss nun aber nicht auf ein „Ich liebe dich“ „Ich liebe dich auch“ sagen.
Seite 186: stanchion, n. Stütze, f., Pfosten, m.
>> Ich will nicht der Stärkere sein, aber ich will auch nicht der Schwächere sein.>>
A: Es ist total wichtig, wenn man beides ist. Mal braucht der eine den anderen und mal umgekehrt.
KT: Ja, das stimmt. Wenn es nur einseitig wäre, dann würde es irgendwann kippen, den einen mehr belasten als den anderen. Schließlich kann ein Baum auch nicht die ganze Zeit Kirschen tragen. Irgendwann müssen die auch mal runter.
[F] Fazit
A: Es ist ein überraschend-anderer Liebesroman mit netten Einfällen und losen Enden, der nicht jedermanns Geschmack, aber meiner Meinung nach lesenswert ist.
KT: Ich finde, dieses Buch gehört einfach in jedes Bücherregal. Da steckt auf so wenig Raum so viel Gedankengut. Aber du hast recht, es ist schon etwas anderes, etwas Spezielles. Wer aber genau so was mag, wird mit diesem Buch sehr glückliche Stunden erleben.
David Levithan.
[das] Wörterbuch der Liebenden. {Roman}
August 2010, 211 Seiten, 18 €.
Graf Verlag.