
Der Sensenmann ist mir auf den Fersen. Er ist aus „Dunkle Gewässer“ hervorgekrochen. Nun hat er mich am Schopfe gepackt und meinen Kopf um 180 Grad gedreht. Bevor ich schreien konnte, flogen meine Gedanken quer und schräg vor mir nieder. Jetzt sortiere ich sie, grinse mir ins Fäustchen und spüre immer noch am ganzen Körper eine Gänsehaut. Joe R. Lansdale hat einen schrägen, unheimlichen Krimi geschrieben, bei dem die Welt verkehrt herum steht. Das ist verrückt und ein atemberaubendes Abenteuer!
Der erste Satz kneift mich wie eine Wäscheklammer, die man mir auf die Nase gesetzt hat und verrät, dass es sich hier wahrhaftig um ein sehr spezielles Buch handelt: „In jenem Sommer hörte Daddy auf, Fische mit dem Telefon oder mit Dynamit zu fangen, stattdessen vergiftete er sie mit grünen Walnüssen.“ Die Geschichte haucht mir an dieser Stelle ihren Atem ins Gesicht. Leicht würzig, sauer und auf eine besondere Weise süß. Ein seltsamer Mix, bei dem sich unweigerlich ein Kopfschütteln einstellt. Ist diese ganz spezielle Kombination doch recht bizarr und makaber. Zwei Adjektive, die mich im Verlauf des Lesens immer wieder anstupsen wie zwei Katzen, die nicht müde werden, mit mir zu spielen.
„Dunkle Gewässer“ beginnt – wie es sich für einen Krimi gehört – mit einer Leiche. Während die Ich-Erzählerin Sue Ellen mit ihrem Vater, Onkel und ihrem Freund Terry am Sabine River sitzt, beißt plötzlich etwas sehr Schweres an, so dass alle gemeinsam das Seil ziehen müssen, bis sie feststellen: Dies ist kein Fisch, sondern eine Leiche. May Lynn war eine gemeinsame Schulfreundin von Terry und Sue Ellen. Jetzt liegt sie vor ihnen, an eine Nähmaschine gebunden und ist mächtig aufgedunsen vom Wasserbad. Aus Lansdale Feder liest sich das so: „Urplötzlich fing May Lynn an zu zucken und auszulaufen. Sie hatte Blähungen, die wirklich furchtbar stanken, wie ein gewaltiger Furz.“ Erschaudern und Grinsen geben sich gegenseitig die Hand. Diese komische Wechselbeziehung ist eines der herausragenden Elemente, die oft wohlwollend hervorblitzen. So verliert die Geschichte an Schwere und spannt einen hellen Rettungsschirm über die Düsternis, die morastartig aus den Seiten sickert.
Aufgeklärt wird der Mord indes nicht, dafür findet die Beerdigung in Windeseile statt. Aus, vorbei. Doch nicht bei Lansdale. Der amerikanische Autor schickt seine Helden durch eine aufregende Abenteuerjagd. May Lynn wollte zu Lebzeiten unbedingt nach Hollywood. Eben diesen Wunsch holen die Freunde jetzt postum nach. Also wird die Leiche transportfähig gemacht, verbrannt und die Asche in einen Behälter gefüllt. Vor der Reise graben sie noch einen Schatz aus, der wie gerufen kommt. May Lynn hielt die Schatzkarte von ihrem verstorbenen Bruder in ihrem Tagebuch versteckt, das ihre Freunde gefunden haben. Leider bleibt die Tat nicht unentdeckt und so werden Terry, Sue Ellen und Jinx zu den Gejagten. Während sie zusammen mit Sue Ellens Mutter auf einem Floß flüchten, heften sich habgierige Angehörige und der Constable an ihre Fersen. Sie bleiben nicht die einzigen Jäger, haben sie noch schnell den Killer Skunk auf die Gruppe angesetzt. Ein Mann, bei dessen Beschreibung schon allein die Zähne klappern. Daher mag es nicht verwundern, dass sich mit seinem Erscheinen eine äußerst gruselige Stimmung über den Schauplatz erhebt.
So nervenaufreibend und gefährlich die Flucht für Sue Ellen und die anderen wird, so befreiend ist sie für alle. Sue Ellens Mutter erlebt einen Entzug von ihrem „Allheilmittel“. Sue Ellen, die zeitlebens Angst vor ihrem Stiefvater hatte, will ihm entkommen, und beweist mit ihren Taten eine ungeheure Stärke. Terry, gesteht sich endlich seine Homosexualität ein und die schwarze Jinx, von der Gesellschaft wegen ihrer Rasse diskriminiert, findet in der Gruppe eine zweite Familie. Joe R. Lansdale hat ein Händchen für spezielle Charaktere, die genauso mitreißend sind wie das ganze Abenteuer.
„Dunkle Gewässer“ ist genreübergreifend. Crime, dazwischen Horror, Sozialdrama, Mystik und Coming of Age. Diese Vielfalt zeichnet das Gesamtstück aus, wie die einnehmende Atmosphäre und nicht zuletzt auch die wunderbare Sprache des vielfach ausgezeichneten Autors. Lansdale schafft großartige, bildhafte Vergleiche. Sie zerschmelzen wie leckere Schokolade auf der Zunge und ziehen lautes Gekicher gleichermaßen aus mir heraus. Nehmen wir Sue Ellens Beschreibung über Jinxs Aussehen: „Ihr Gesicht war niedlich, aber ihre Augen wirkten alt, wie bei einem Großmütterchen, das in ein Kind hineingestopft worden war.“ Hier stößt man in eine wahre Goldgrube an wunderschönen Bildern.
Bis zum Schluss bleibt es spannend. Der Sensenmann schleudert seine Axt und raubt mir den Frieden. Aber ich bleibe standhaft und hänge mich an die Stärke der Romanhelden. Aufgegeben wird nicht. Durchhalten lautet die Devise. Da kann der Sensenmann noch aufdringlich an meinen Fersen kleben. Ich komme durch, irgendwie.
Joe R. Lansdale.
Dunkle Gewässer.
Aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel.
Februar 2013, 320 Seiten, 19,95 €.
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