Von Stieren, Gockeln und einer Lady.

Im Winter hatte ich euch mit den 49 Depeschen von Ernest Hemingway einen Band seiner besten Reportagen empfohlen. Nun ist Frühling, der Sommer nicht mehr fern. Zeit für eine Fiesta unter spanischer Sonne. Zeit für einen gepflegten Stierkampf in Pamplona. Zugegeben, diese Art von, ja, was ist es eigentlich – Sport, Vergnügen, Tradition? Wahrscheinlich von allem etwas. In jedem Fall umstritten.

Ich habe noch keinen Stierkampf gesehen, aber die flirrende Hitze Südfrankreichs und Nordspaniens im Juli erlebt. Und ich war nicht nur einmal verknallt in eine Frau, die mir überhaupt nicht guttat. Da wären wir mittendrin in der Story, die Hemingway erst richtig berühmt machte. The Sun Also Rises, so der Originaltitel, der deutlich weniger provinziell nach einem deutschen Kleinwagen klingt, liegt in neuer Übersetzung vor. Zeit, wieder einen Blick hineinzuwerfen.

Klassiker haben den unschätzbaren Vorteil, dass ihre Autoren keinen Mist mehr verzapfen und die Werke für sich stehen können, zumindest bei den Menschen, die es moralisch einrichten können, den zeitlichen Kontext zu akzeptieren, in dem ein Buch erschienen ist.

Aufregende Zeiten zwischen den Kriegen.

Beamen wir uns also in die Zwischenkriegszeit des letzten Jahrhunderts. Gibt ja Stimmen von Leuten, die damals dabei waren, dass diese Jahre aufregend, spannend und energiegeladen waren wie wenige zuvor und danach. Große Werke sind in der Zeit entstanden, große Literaten waren am Werk. Hemingway himself bereiste erneut Europa, wenngleich Fiesta ein fiktives Werk ist. Wer will, kann selbstverständlich Parallelen zum Verfasser erkennen, was am deutlichsten wird bei der Schilderung der Stierkämpfe. Und sicher auch beim ersten Teil der Geschichte, die noch in Paris spielt.

Spanien und Paris waren seinerzeit noch nicht totgetrampelt von Millionen von Touristenfüßen und tippelnden Jakobswegjüngern. Nahezu unberührt von der Moderne. Trotzdem orakelte Gertrude Stein aus den Tiefen ihres plüschigen Salons: „Ihr seid eine verlorene Generation.“ Nun, X Generationen später, von denen ich ein paar hab kommen und gehen sehen, kann ich eines bestätigen – bisher wurde noch fast jede Generation als verloren abgestempelt und in den Keller der Geschichte zu den Akten gelegt.

Fragt mal die jungen Spanier, die nach der Finanzkrise 2008 in ihrem hochentwickelten Industrieland nahezu ohne jede Perspektive waren, die jungen Ukrainer, die gerade unter Einsatz ihres Lebens für die Freiheit ihres Landes kämpfen oder die unzähligen Menschen quasi jeden Alters, die derzeit unter den prekären Bedingungen einer zweifelhaften Fast-Food-Ökonomie den Leuten ihr Essen bringen.

Paris, dieses Fest für die Sinne.

Klar, immer noch nicht zu vergleichen mit der Generation, die zwei Weltkriege erlebt und oft nicht überlebt hat. Aber wer konnte und wollte, hatte zwischen den Kriegen Möglichkeiten, die Welt mit Augen zu sehen und mit Sinnen zu erleben, die unvergleichlich waren.

Zum Parc Montsouris, sagte ich dem Fahrer, stieg ein und schlug die Tür zu. Brett lehnte in einer Ecke, die Augen geschlossen. Ich setzte mich neben sie. Das Taxi fuhr mit einem Ruck an. „Ach, Liebster, ich bin so unglücklich“, sagte Brett.

Um Lady Brett Ashley dreht sich fast alles in dieser Geschichte. Die Lady hat ein todsicheres Talent zum Unglücklichsein: Sie ist Spinne und Fliege, Licht und Motte zugleich. Von Lord Ashley getrennt, irgendwie liiert mit Michael, der noch mehr trinkt als alle anderen, ihr Liebster ist der Erzähler Jake, und dann sind da noch der New Yorker Schriftsteller, der auch Boxer sein möchte und nicht zu vergessen Pedro Romero, dieses begnadete Talent von Stierkämpfer, dem die Lady völlig verfällt.

Ernest Miller Hemingway (1899-1961), Ècrivain amÈricain. Vers 1950. Foto: ©  ullstein bild – adoc-photos

All dies passiert zwischen Paris und Pamplona, zwischen Forellenfangen und Absinthabstürzen. Und Jake Barnes ist immer an der Seite der Gottesanbeterin, die von Männern nicht satt wird und von dem Lord, der sie ernährt hat, kein Geld mehr bekommt. Ziemlich vertrackt. Aber wunderbar erzählt. Diese Nachtclub-Szenen!

Ich hatte das Gefühl, ich hätte das alles schon einmal erlebt. (…) Der Trommler schrie: „Ich lass mich nicht von dir be-…“ (…) „Was ist denn los?“ „Weiß nicht…“ „….“, sang der Trommler. Und schwang die Stöcke. (…) Ich fühlte mich wie in einem Albtraum, in dem sich alles wiederholte, etwas, das ich schon mal durchgemacht hatte und jetzt wieder durchmachen musste. „…“ sang der Trommler leise.

Atemlos. Godard. Auch Paris, aber dreißig Jahre später. Immer wieder Paris. Schreibt diese Stadt Geschichten oder schreiben die Geschichten eine Stadt in den Olymp?

El Toro und die Aficionados.

Pamplona braucht keinen Olymp. Sie haben den Stierkampf, und dies seit ewigen Zeiten. Archaisch, sicher, aber auch von einer faszinierenden Choreographie und dieser nicht zu überbietenden Dramaturgie Mann gegen Tier. Und wenn wir über Ethik sprechen, sollten wir auch über die von Olympischen Spielen sprechen oder Fußballweltmeisterschaften. Beides Veranstaltungen, die oft nur durch Korruption vergeben werden, an denen fast ausschließlich multinationale Konzerne verdienen und die nicht selten in den austragenden Ländern Schulden und überdimensionierte Sportstätten zurücklassen, die dann zu Ruinen verkommen.

Wir sprachen oft über Stiere und Stierkämpfer. (…) Wir erfreuten uns einfach daran, zu erfahren, was der jeweils andere empfand. Männer kamen aus weit entfernten Orten, und bevor sie Pamplona wieder verließen, gingen sie kurz bei Montoya vorbei und sprachen mit ihm über Stiere. Diese Männer waren aficionados. Die aficionados bekamen immer ein Zimmer, auch wenn das Hotel belegt war. (…) Irgendwie ging jederman davon aus, dass ein Amerikanwer keine afición haben könnte. Wenn sie dann merkten, dass ich afición besaß (…), klopften sie mir entweder verlegen auf die Schulter oder sagten „Buen hombre“.

Hemingway besaß zweifellos diese Leidenschaft für den Stierkampf, die ihm als Kenner selbst bei den Spaniern Respekt einbrachte. Und wer je auf spanischen Weiden diese ästhetischen, schnaufenden und vor Kraft strotzenden Muskelpakete von Stieren bewundern durfte, wird diesen Anblick nicht mehr los. Und weiß sofort, dass hier ein erheblicher Unterschied zu den Massen von Rindern besteht, die im Rest der Welt – auch bei uns – erst auf üble Art gemästet und ausgenutzt werden, um sie dann in oft unwürdiger Art zu schlachten. Für unser Steak, für deine Wurst, für den Hunger der fleischfressenden Welt. Einer Menschenwelt.

Und da geht´s oft rabiat zu, wenn jemand nicht das bekommt, was er will. Da fast alle Männer in dieser Geschichte die attraktive, lebenshungrige und launische Lady Brett Ashley wollen, ziehen die Gockel alle Register, am Ende fliegen sogar die Fäuste.

Trotzdem bleibt es stets gentleman-like und von einer sommerlichen Sorglosigkeit, wie die Truppe um Jake Barnes ihre Zeit im Europa zwischen den Kriegen verbringt. Dieses Buch erzählt von diesen Jahren im lakonischen Hem-Stil, aber mit einer Kraft und einer Herrlichkeit, dass ich dieses Werk für die ersten warmen Tage im Jahr nur empfehlen kann.

Ernest Hemingway – Fiesta, Neu aus dem Englischen übersetzt von Werner Schmitz, Rowohlt Taschenbuch, 320 Seiten, 10,-€

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