
Heute kommen Jürgen Ruckh und Herausgeber und Gründer Wolfgang Franßen des Polar Verlags zu Wort. Ich habe diesen unabhängigen Verlag seit geraumer Zeit im Fokus, da mich die Krimis stets begeistern. Zuletzt konnte mich Attica Locke mit ihrem neuen Buch „Pleasantville“ überzeugen. Mehr dazu findet ihr im zweiten Teil meines Krimi-Spezials.
Klappentexterin: Seit wann gibt es den Polar Verlag und wie ist es zur Gründung gekommen?
Wolfgang Franßen: Auf der Leipziger Buchmesse 2012 saß ich mit einem Leipziger Verleger zusammen, der so enthusiastisch von der Branche schwärmte, dass allmählich der Gedanke in ihm reifte, selber Bücher zu verlegen. Er hat sich daraufhin über ein Jahr lang mit Übersetzer/innen, Lektoren/innen, Kritikern(innen und Verleger/innen getroffen, um sich einen Einblick zu verschaffen. Was ihn nicht davon abgehalten hat, den Schritt zu wagen.
Wie sieht das Verlagsportfolio aus? Wo liegen die Schwerpunkte?
Wolfgang Franßen: Gerade am Anfang war es wichtig, wahrgenommen zu werden. Deswegen musste ein Branding her und das war der Noir. Jeden Monat erscheinen so viele Kriminalromane, dass es selbst Verlagsmenschen schwerfällt, den Überblick zu behalten. Wir mussten also eine Nische besetzen und haben uns an Krimis orientiert, die uns selbst fasziniert haben. Aus dem Französischen Polar und Neo-Polar wie Manchette und Vian. Im Angloamerikanischen Autoren wie Goodis, Willford, Himes, Hammett, Patricia Highsmith oder Denise Mina und Val McDermid. Oftmals sind es Hard-Boiled-Geschichten. Vor allem suchen wir nach Autoren und Autorinnen, die einen kritischen Blick in die Gesellschaft werfen. Der Noir bietet hier ein weites Feld. Inzwischen sind wie jedoch breiter aufgestellt. Was im Polar Verlag erscheint ist nicht nur reiner Country Noir oder Urban Noir. Dadurch, dass wir zwei Reihen „Die Lost Places“ und „Die Weiße Reihe“ veröffentlichen, jeweils mit unterschiedlichen Herausgebern, spiegeln sich in unseren Neuerscheinungen auch Vorlieben heraus. Die werden wir jetzt nicht erklären, die sollen die Leser selber herausfinden.
Was macht für euch ein guter Krimi aus?
Wolfgang Franßen: Er langweilt nicht. Er ist nicht die x-te Strickware eines Erfolgsromans. Er dient nicht als Vorlage für schöne Urlaubserinnerungen oder geht auf Fischfang in einer bestimmten Gegend, weil Leser die Örtlichkeiten wiederkennen. Er bindet am Ende nicht mühsam alle Fäden zusammen, nur damit die Gerechtigkeit siegt, und wir uns von der Lüge hingeben: Alles wird gut, alles ist gut, wir sind sicher. Natürlich soll ein Krimi unterhalten. Dann aber nicht auf einem sprachlichen Niveau, das unterirdisch ist und Klischees ansammelt. Ein guter Krimi muss sich einmischen, den Leser fordern, muss Bilder lange nach dem Zuschlagen eines Buchs hinterlassen. Einen guten Krimi erkennt man daran, dass man über all das nicht nachdenkt, wenn man ihn liest.
Wie findet ihr eure Bücher und Autor:innen?
Jürgen Ruckh: Nun hier sind der Möglichkeiten viele. Zum einen natürlich die Agenturen, die, da sie ja mittlerweile das Programm des Polar Verlages kennen, uns dementsprechende Manuskripte anbieten, die wir einer Prüfung unterziehen. Dann natürlich die eigenen Recherchen. Zum einen im World Wide Web und dort auf den Webseiten, die der Kriminalliteratur frönen. Hinzu kommen Tipps oder Empfehlungen von Autoren, die wir dann prüfen. Und dann kommt das Eigentliche: lesen und entscheiden.

Attica Locke zählt zu eurem festen Autorinnenstamm. Gerade ist ihr neuer Krimi „Pleasantville“ erschienen. Wie habt ihr sie entdeckt?
Jürgen Ruckh: Auf Attica Locke bin ich durch ihren Roman „Black Water Rising“ gestoßen. Es war der erste Roman, den ich von ihr gelesen habe. Als ich den Verlag dann im Jahre 2017 übernommen habe, war Attica Locke einer der ersten Vorschläge zum Verlagsprogramm. Das erste Buch im Verlag war dann „Bluebird, Bluebird„. Dies wegen lizenzrechtlichen Gründen. Wie schon gesagt erschien nun „Pleasantville“ als viertes Buch. Bisher gibt es noch kein weiteres aber wir hoffen, dass Attica Locke bald wieder ein Buch vorlegen wird.
Zurzeit hat sie eine Serie für Netflix kreiert. Basierend auf einem Buch ihrer Schwester Tembi Locke entwickelte sie die Serie „Scratch“. Die Serie basiert auf der wahren Ehegeschichte ihrer Schwester. Sie hat auch die Serie „Empire“ produziert und dafür auch einige Drehbücher geschrieben.
Bei den amerikanischen Titeln fühle ich mich vom Setting her an HBO-Serien erinnert. Ist das eine persönliche Interpretation von mir oder ein Merkmal dieser Krimiform?
Jürgen Ruckh: Bei HBO-Serien bin ich sehr vorsichtig. Natürlich gibt es da Herausragendes. Leider ist da aber auch jede Menge Mainstreamschrott zu sehen. Lieblose Bestsellerverfilmungen. In den letzten Jahren hat sich vor allem das belgische Fernsehen mit Noir-Stoffen herausgetan. Da sind die Figuren markanter und zeichnen ein Bild einer Gesellschaft, die abgrundtief verfault ist, während an der Oberfläche Korruption, Menschen- und Drogenhandel, politische Intrigen bis in die höchsten Kreise vertuscht werden. Eine gute Serie versteht sich darauf, bewährten Narativen zu widerstehen und von unten her zu erzählen. Wer glaubt, dass die Gerechtigkeit am Ende siegt, ist naiv. Ein weiterer Pluspunkt für den Noir, dem oft vorgeworfen wird, er wäre zu düster.
Eure Bücher heben sich nicht nur inhaltlich, sondern auch von der Gestaltung vom Mainstream ab. Wie könnt ihr euch da gegen die bekannten Namen in diesem doch hart umkämpften Markt durchsetzen? (Wo findet man eure Bücher? Und wie macht ihr auf euch aufmerksam?
Jürgen Ruckh: Nun, es würde uns freuen, wenn unsere Bücher in jeder Buchhandlung ausliegen würde. Aber leider ist dem nicht so. Aber dieses Problem haben die meisten unabhängige Verlage. Unsere Arbeit besteht nun darin (natürlich hauptsächlich durch gute und interessante Bücher) den Bekanntheitsgrad des Verlages zu verstärken. Dazu haben wir verschiedene Möglichkeiten gewählt. Zum einen versuchen wir auf den zwei nationalen Buchmessen vertreten zu sein (Frankfurt und Leipzig). Hinzu kommen regionalen Buchmessen, wo unsere Bücher ausgestellt werden. Die Social Medien wie Facebook und Instagram werden von uns natürlich ebenso bedient, wie eine eigene Homepage, auf der wir jeden Monat unser aktuelles Buch ausführlich vorstellen und auch unser aktuelles Programm enthält. Ein Podcast ergänzt unser Angebot.
Im letzten Halbjahr haben wir die Polar Gazette gestartet. Eine Gazette, die jeweils zu unserer aktuellen Neuerscheinung an interessierte Leser:innen digital verteilt wird. Auch Buchhandlungen sind im Verteiler. Ab Januar werden gedruckte Ausgaben der Polar Gazette bei denjenigen Buchhandlungen ausliegen, die sich dafür angemeldet haben.
Jetzt noch ein Blick zur aktuellen Weltsituation: Wie stark betreffen euch die Inflation und die hohen Papierpreise?
Jürgen Ruckh: Ja was soll man dazu sagen. Natürlich spüren auch wir die gestiegenen Preise, ob es nun die Energiepreise sind oder Papierpreise. So wie jeder und jede in diesem Jahr. Auch andere Kosten steigen, so dass wir diesen Preisdruck natürlich ebenso spüren, wie die Kollegen und Kolleginnen in der Verlagsbranche. Wir versuchen diese gestiegenen Kosten durch Einsparmaßnahmen einzuschränken, müssen natürlich auch einen Teil der Kosten auf den Buchpreis aufzuschlagen. Diesen Aufschlag versuchen wir natürlich so klein wie möglich zu halten. Wir hoffen natürlich, dass die Situation sich evt. Im nächsten Jahr wieder etwas beruhigt.
Die Klappentexterin dankt für das Interview und wünscht Polar weiterhin
viele treue und neue Leser:innen!