
Ob Irmgard Keun den Roman „Die Sekretärinnen“ von Elin Wägner gelesen hat? Auszuschließen ist es nicht, denn Wägner hat von 1882 bis 1949 gelebt und war nicht nur schriftstellerlisch äußerst aktiv. Die schwedische Journalistin hat sich seinerzeit für das Frauenwahlrecht stark gemacht und gehört zu den Gründerinnen von Save the Children. Das hätte der Keun ebenso gefallen wie auch die Literatur der schwedischen Autorin. Als große Keun-Freundin war ich jedenfalls sofort begeistert.
In „Die Sekretärinnen“ folge ich der Ich-Erzählerin Elisabeth, die mit Anfang zwanzig nach Stockholm in eine Frauen-WG gezogen ist. Obwohl Elisabeth zu ihrer wohlhabenden Verwandtschaft hätte ziehen können, entscheidet sie sich für ein selbstbestimmtes Leben in der Großstadt. Dazu gehört auch ein unbeliebter Job – als Sekretärin. „Es ließ sich nicht vermeiden. Das heißt, es hätte sich wohl schon vermeiden lassen, aber es war das Nächstliegende. Und manchmal, wenn man sehr müde ist, greift man nach dem Nächstliegenden.“

Zusammen mit ihren drei Mitbewohnerinnen versucht sie irgendwie durchzukommen. Das Arbeitsleben ist hart, vor allem zu einer Zeit, in der man als Frau eigentlich nicht arbeiten, sondern heiraten und Kinder kriegen sollte. Aber Eva, Emmy, Elisabeth und Baby sind Kämpfernaturen. Und sie schätzen durchaus die kleinen Freuden des Lebens: Den Duft von frischaufgebrühtem Kaffee, die arbeitsfreien Sonntage, das Lachen und Scherzen untereinander.

Oh ja, der Roman ist ziemlich aufgedreht, es sprudelt förmlich vor mitreißender Lebensenergie. Er ist mit viel Witz und doch auch großem Ernst geschrieben, denn die Journalistin berichtet über sexuelle Belästigung, Armut und nachdenklich stimmende Themen, die uns Frauen bis in die Gegenwart beschäftigen. Wägner hält jedoch die Balance, die Lektüre ist nie erdrückend, aber stets berührend. Und obendrein ungemein kraftvoll. Lest mal die Passage, in denen sich die Mädchen mit den gut betuchten Damen der Gesellschaft vergleichen:
„Ich hab mich selbst gefragt, wie es sein kann, dass wir, die wir kaum Zeit haben, uns die Nägel zu schneiden, ganz zu schweigen davon, höhere Interessen zu verfolgen, im Schnitt trotzdem so viel netter und lustiger sind. Denn das sind wir. Ich finde, wir sind richtig angenehm und vernünftig im Umgang. Was man nicht wirklich von allen Frauen behaupten kann.“
Allein für diesen Absatz möchte ich die Autorin umarmen. Und hier ist noch ein Ausspruch:
„Lerne zu leiden, ohne zu klagen!“
Dass das Buch 1908 erschienen ist, merke ich ihm sprachlich überhaupt nicht an. Es ist erstaunlich zeitgemäß formuliert.
Wer von euch also Irmgard Keun mag, hat an diesem erfrischenden – und wunderschön gestalteten – Buch seine wahre Freude. Tro mig!
Elin Wägner: Die Sekretärinnen. Aus dem Schwedischen übersetzt von Wibke Kuhn. ecco Verlag, Mai 2022, 176 Seiten, 20,- €. Jetzt portofrei bei Scheller Boyens Buchhandlungen bestellen. Oder ein Exemplar reservieren lassen. Das Buch ist in beiden Häusern vorrätig. Das eBook kostet 14,99 € und ist dort ebenfalls zu bekommen.
Das klingt sehr danach, als könnte es mir gefallen – zumal ich mich für die Anfänge der Frauenemanzipation wirklich interessiere. Vielen Dank für diesen außergewöhnlichen Buchtipp!
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