
»Nebenan« von Kristine Bilkau ist ein stilles Buch. Der Sound ist eher eine zarte Melodie, in der ich von Beginn an versinke, jedes Wort trinke. Dem Buch wohnt gewissermaßen ein Zauber inne, eine besondere Magie. Die Geschichte umarmt mich derartig liebevoll, dass ich nicht genug bekommen kann.
Die Hamburger Autorin erzählt in ihrem neuen Roman über zwei Frauen, die in einem beschaulichen Ort am Nord-Ostsee-Kanal leben. Und dann passieren ein paar unvorhergesehene Dinge.
Alles beginnt damit, dass Julia einen Jungen beobachtet, der am Zaun der Nachbarn steht und scheinbar wartet. Auf wen? Das Haus ist seit einiger Zeit unbewohnt. Mona ist mit ihrem Mann und den beiden Kindern einfach aufgebrochen. Nur wohin? In den Urlaub oder gar ausgezogen? Aber ohne Bescheid zu sagen?
Im gleichen Ort zu einer anderen Zeit springt Astrid nachts aus dem Bett. Eine Frau ist gestorben und die Ärztin soll den Tod bescheinigen. Auf dem Weg zum Fundort macht sie eine seltsame Entdeckung: Auf einem Feld liegen Berge von Post. Was ist passiert? Genauso seltsam erscheint ihr der Tod der achtzigjährigen Frau. Am Oberarm entdeckt sie bei genauerer Untersuchung ein Hämatom. Die Frage, ob seine verstorbene Frau in den letzten Tagen gestürzt ist, verneint ihr Mann.
Vieles hängt in der Schwebe – das zeichnet für mich diesen Roman aus. Nichts ist auserzählt, es bleibt viel Raum für Fragen, Interpretationen, eigene Gedanken. Wer klare Antworten erwartet, der sollte Abstand nehmen. Wer hingegen offen für Unausgesprochenes ist, dem empfehle ich die Lektüre eindringlich.

Kristine Bilkau hat einen universellen Roman geschrieben, voller Zärtlichkeit und Menschlichkeit, mit warmen Farbtupfern an Worten, mit poetischen Bildern und Wahrheiten, die sich wie Balsam auf die aufgewühlte Seele legen. In einem Ton, der dem des Atems gleichkommt.
Werfen wir noch einen Blick auf die beiden Hauptfiguren: Julia ist Ende dreißig und möchte endlich Mutter werden. Doch es klappt nicht auf dem natürlichen Weg, so dass sie und ihr Mann es mit künstlicher Befruchtung versuchen. Parallel verbringt Julia Stunden in sozialen Netzwerken, wie eine Süchtige saugt sie sich an den Profilen von jungen Müttern und Familien fest. Warum tut sie das? Ich möchte sie schütteln und sagen: „Hör auf damit! Das macht doch keinen Sinn.“ Aber würde sie auf mich hören? Wo ich doch den Sog der sozialen Netzwerke selbst nur zu gut kenne.
Astrid kämpft derweil mit beunruhigenden Drohbriefen und mit ihrer Tante Elsa, die seltsame Züge annimmt. Wird sie vergesslich? Und was ist mit Astrids Freundin Marlis, die wieder in ihr Leben getreten ist? Werden beide nach dem Zwist von damals die alten Wunden bei einem Glas Wein schließen können?
Und ihr? Was werdet ihr empfinden bei der Lektüre? Ich weiß es nicht. Und doch glaube ich daran, dass auch einige von euch die eigene Melodie dieses Romans faszinieren wird. Der übrigens am Ende noch mit einem unglaublichen Geheimnis aufwartet. Das kommt auf leisen Pfoten daher. Wie eine Katze, die sich an ihre Beute heranpirscht. Aber passt auf, denn jedes Schweigen könnte eine Antwort bedeuten.
Kristine Bilkau: Nebenan. Luchterhand, März 2022, 288 Seiten, 22,- €. Jetzt portofrei bei Scheller Boyens Buchhandlungen bestellen. Oder ein Exemplar reservieren, das Buch ist in beiden Filialen vorrätig. Das eBook kostet 17,99 € und ist dort ebenfalls bestellbar.
Ich schwanke noch, ob ich das Buch lese, aber diese Rezension hat das Pendel sehr in Richtung „lesen“ ausschlagen lassen. Vielen Dank für diese motivierende Darstellung.
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Bei mir hats nicht gefunkt …
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Bei mir funktioniert momentan noch der Mystery-Thriller-Mischmasch. Ich lese es eigentlich ein wenig wie einen Stephen King-Roman, fällt mir dabei auf. Und das gelingt bislang vorzüglich. Ich schau mal nach deiner Rezension. Viele Grüße und guten Start in die Woche!
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Was für eine wundervolle Rezension. Die Autorin wird sehr glücklich sein, wenn sie sie liest. Macht sehr neugierig aufs Buch!
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