Wir treffen uns im Garten.

Foto: Jamaica Kincaid | © Robert E. Woolmington

Gartenarbeit war für mich als Großstadtpflanze bisher fremd wie ein Weltraumanzug. Aber nun wohne ich ja auf dem Lande, und spätestens nach „Mein Garten(Buch)“ von Jamaica Kincaid sehe ich mich bald in Schürze und mit der Schaufel im Grünen stehen. Ist doch der Garten in Corona-Zeiten der Ort für Erfüllung und meditative Erfahrungen geworden. 

Da kommt Jamaica Kincaid zur rechten Zeit, beschreibt die auf Antigua geborene Autorin in ihrem Buch doch von ihren Erfahrungen als Gärtnerin. Und wie bei mir, ist ihr Verhältnis zum Grün zunächst, nun ja, ein wenig gespalten. »Diese Aufregung, wenn ich im Garten bin, und dieses Glück, dass ich mich so aufregen kann!« Ausgerechnet diese ambivalente Liebe (»Mein Garten hat keine ernsten Absichten, mein Garten hat nur Zweifel über Zweifel.« ) führt zu hinreißenden Notizen, denen ich mich nicht entziehen konnte.  

Jamaica Kincaid zählt für mich zu einer der bemerkenswertesten Entdeckungen des Jahres. Und ich muss gestehen, dass mich Herr Klappentexter auf die Autorin aufmerksam gemacht hat: Eines schönen Sonntagmorgens am Frühstückstisch, wir beide lesen in der SZ, die wir im Wochenend-Abo beziehen. Dann reicht mir mein Mann ein Buch der Zeitung über den Tisch und sagt: »Das könnte dich interessieren.«

Ein Artikel von *Johanna Adorján, meiner Lieblingsredakteurin. Und was soll ich sagen – er kennt mich wirklich gut und lag wieder einmal goldrichtig. Wiederentdeckt wurde Jamaica Kincaid auf Verlagsebene von Daniel Kampa, der mir verraten hat, dass er die Autorin schon länger auf dem Schirm hatte, aber erst jetzt die Gelegenheit bekam, auch ihre früheren Werke zu publizieren. Mittlerweile sind vier Bücher von Kincaid bei Kampa erschienen: Mein Garten(Buch), Mister Potter, Am Grunde des Flusses und Nur eine kleine Insel.

Bleiben wir bei Mein Garten(Buch). Das Buch ist etwas durchlässiger als Am Grunde des Flusses, weniger kunstvoll und eigenwillig. Es zeigt die Autorin als äußerst präzise Beobachterin. Ihre Sätze folgen einem eigenen Rhythmus und haben fast einen lyrischen Charakter, erinnern mitunter sogar an Mosaiksteine. Aneinandergereiht ergeben sie das große Ganze und machen selbst die kleinsten Dinge sichtbar.

Jamaica Kincaid schreibt geradezu tropisch-sinnlich, ihre Sprache ist herrlich erfrischend und ebenso mitreißend, wenn sie mit uns ihre geradezu kindliche Freude teilt, sobald die ersten Samen- und Pflanzenkataloge bei ihr eintreffen. Voller Euphorie schreibt sie: »Das Herz wird mir weit, meine Phantasie kommt in Schwung, wenn ich mir den Garten unter seiner weißen Last anschaue und all die wunderbaren Dinge darin sehe, die der Katalog mir verspricht.«Hinter der Begeisterung steckt aber noch mehr: Die Ankunft der Kataloge für die neue Saison bedeutet, dass der kalte Winter bald überstanden ist und der nahende Frühling in den Startlöchern steht. Es darf wieder gelacht und geflucht werden!

Kincaids Gedanken sind im höchsten Maße klug, pointiert, witzig und mitunter sogar philosophisch, dabei stets zutiefst menschlich. Besonders dann, wenn sie Fragen über Fragen umtreiben, warum nicht alles so blüht, wie es sollte. Und wie es wohl bei anderen ausschaut. Zudem ist Mein Garten(Buch) reich an Anekdoten und mit zahlreichen Lektüreempfehlungen versehen. Also die perfekte Anregung für unerfahrene Gärtner*innen und überhaupt für alle, die dem Zauber des grünen Paradieses bereits erlegen sind und nun auf eine Freundin im Geiste treffen wollen. Wir sehen uns im Garten! Diesem grenzenlos Raum an Freude, für den man so gar keinen Weltraumanzug braucht. Außer, man lebt auf dem Mond oder dem Mars. Aber so weit sind wir ja noch nicht. 

Jamaica Kincaid: Mein Garten(Buch). Kampa Verlag, März 2021, 265 Seiten, 22,- €. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Renate Orth-Guttmann.

*Von Johanna Adorján ist unlängst auch ein sehr lesenswerter neuer Roman bei Kiepenheuer & Witsch erschienen: »Ciao«. Mehr dazu hier.

2 Gedanken zu „Wir treffen uns im Garten.

  1. Klausbernd

    Da sind wir gespannt, wie uns dieses Buch bei unserer Gartenarbeit helfen wird. Wir haben nach deutschen Verhätnissen einen größeren Garten und haben über Jahre ein kleines Paradies daraus gemacht – mit Hilfe vieler Gartenbücher und zwei Gärtnern. Wir sind ursprünglich ebenfalls Großstadtmenschen. Bevor wir dieses Grundstück kauften, lebten wir in Montreal und New York City. Nun können wir uns ein Leben ohne Garten nicht mehr vorstellen.
    Danke für diesen Tipp. Den Kampa-Verlag kannten wir bislang nur als Schweizer Krimi Verlag.
    Alles Gute
    The Fab Four of Cley
    🙂 🙂 🙂 🙂

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    1. Klappentexterin Autor

      Wie spannend, lieber Klausbernd, was für eine schöne persönliche Geschichte. Vielen Dank! Na, da wird euch das Buch und die Autorin sicherlich in vielerlei Hinsicht bereichern.

      Kampa publiziert in der Tat besondere Krimis, aber genauso außergewöhnliche Bücher, zeitgenössische und wieder aufgelegte Klassiker. Mein aktuelles Highlight ist »Nur der Sommer zwischen uns« von Dodie Smith. Bald mehr dazu an dieser Stelle.

      Sommerliche Grüße auf die Insel,
      Klappentexterin

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