The Acid States: Ein amerikanischer Alptraum.

America the Beautiful! America the Land of the Free! Das weite Land, in dem angeblich jeder vom Tellerwäscher zum Millionär werden konnte, wenn er nur hart genug arbeiten würde, das Sehnsuchtsland von Auswanderern und Aussteigern, was ist nur aus dir geworden? Beunruhigende Nachrichten erreichen uns aus den Vereinigten Staaten, die einst Garant für Freiheit, Frieden und Wohlstand waren. Diese Vereinigten Staaten sind ein gespaltenes Land geworden, canyontiefe Risse ziehen sich durch die Gesellschaft. Beautiful? Millionen von Amerikanern sind fettleibig und die Natur wird weiterhin systematisch von Gas- und Ölkonzernen zerstört. Freiheit? Vielleicht mit der richtigen Hautfarbe und einem gut gefüllten Bankkonto. Frieden? In keinem Land kommen proportional mehr Menschen durch Schusswaffen ums Leben als zwischen New York und Los Angeles, zwischen Seattle und San Diego.

 

Es ist ein Mythos ohne Ethos geworden, dieses Land. Vor allem, seitdem ein Mann an der Spitze dieses halben Kontinents steht, der Donald heißt und reich wie Dagobert ist. Ein Mann, der vorgeblich die Stimme des sogenannten kleinen Mannes ist und doch großspurig und kleingeistig nur seine eigenen und die Geschäfte reicher Freunde im Sinn hat. Let´s make a Deal! Wie konnte es nur soweit kommen? Einerseits. Andererseits wurde eben dieser Mann legitim in einer demokratischen Abstimmung von einer Mehrheit gewählt – das ist die wirkliche, bittere Wahrheit. Warum hatte ein großer Teil der USA nach Obama das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören? Dieser erste schwarze Präsident, der als Hoffnungsträger gestartet war, den Nimbus des Friedensstifters aber nie rechtfertigen konnte und seit dem Ende seiner Präsidentschaft nicht viele Gelegenheiten auslässt, eben diese acht Jahre äußerst geschäftstüchtig zu vermarkten und seinen Reichtum nach Kräften zu mehren.

Was ist also los da drüben? Die Lektüre dreier Bücher könnte helfen, sich selbst eine Antwort zu suchen. Weiss von Bret Easton Ellis, Willkommen in Lake Success von Gray Shteyngart und Das Licht von T.C. Boyle. Zwei Romane und eine Polemik. Bret Easton Ellis hat schon länger keinen Roman mehr geschrieben, war jedoch jahrelang sehr aktiv auf Twitter und hat im Rahmen eines eigenen Podcasts mehr oder weniger berühmte Menschen interviewt. Das Twittern hatte er zwischenzeitlich aufgegeben, nachdem er sich immer stärker für seine Tweets rechtfertigen musste und bei ihm Ärger wie Verdruss stetig zunahmen: »…dass es mich überraschte, wie tief ich Luft holen musste, um die Empörung und Enttäuschung abzuschütteln, die nur von der Torheit anderer Menschen herrührte.« Menschen, die seiner Meinung nach in den sozialen Medien »ihre vorschnellen Meinungen und Urteile, ihre geistlosen Beschäftigungen kundtaten, und das immer in der unerschütterlichen Überzeugung, recht zu haben.«

Zorn und Rechthaberei

Womit Ellis Ton und Umgang in einigen Bereichen der sozialen Medien des von uneingeschränkt fortschrittsgläubigen Zeitgenossen immer noch als größte Erfindung der Menschheit gefeierten Internets recht gut beschreibt. Ellis diagnostiziert eine toxische Haltung und einen offenbar ausufernden Zorn in den Posts der Menschen, eine ständige Empörung, denn so wird man am ehesten gehört und bekommt die meisten Klicks. Und plädiert dafür, den ganzen Kram nicht so ernst zu nehmen. Aber dafür ist die ganze Sache leider schon zu ernst geworden. In den sozialen Medien zählen seiner Meinung nach nur Oberfläche und Zurschaustellung, ein Verhalten, das den bisher gültigen Paradigmen künstlerischer und kultureller Entwicklung widerspricht.

Bret Easton Ellis (by Casey Nelson)

Foto: © Casey Nelson

Irgendwann wird er derartig mit hasserfüllten, rechthaberischen Mails und Tweets bombardiert, dass es ihn nur noch anstrengt. Wobei man gerechterweise erwähnen sollte, dass der Autor daran nicht ganz unschuldig war, denn nicht selten postete er eindeutig provozierende Tweets, gern auch unter Einfluss von Alkohol und anderen Substanzen. Was natürlich ein Fehler ist. Wie lauten die Regeln noch? Schreibe nie besoffen eine Mail, rufe nie betrunken deine Ex-Freundin in der Nacht an usw. Sollte alles auch für Tweets gelten.

Richtig interessant wird es, wenn Ellis über die Reaktionen seines Umfeldes auf die Wahl von Trump zum Präsidenten berichtet: Hysterie, pure Hysterie und eine fast schon pathologische Verzweiflung. Er selbst beschreibt den neuen Präsidenten als das Arschloch Trump, als ekelhaft und pubertär und fragt sich: Warum mögen so viele Menschen so ein widerliches Verhalten? Gute Frage, sehr gute Frage. Die berühmten Angry White Men. Aber mittlerweile wissen wir ja, dass es nicht nur die Abgehängten und Hillbillies waren, die dem Mann mit den gelben Haaren ihre Stimme gaben. Ellis´ Meinung nach waren auch die liberalen Medien nicht ganz unschuldig, da sie einer sich verändernden Realität nicht mehr folgten und überhaupt die gesamte liberale Elite sich in einer arroganten Blase bewegte. Und so machten sie alle gemeinsam aus Trump einen Underdog – der er ja überhaupt nicht ist. Aber genau mit diesem Underdog-Image konnten sich viele identifizieren. Zu allem Überfluss trifft sich Ellis mit Menschen, die sich offen zu dem Mann bekennen, so dass ihm weitere Ablehnung entgegenschlägt.

Dabei scheint immer wieder sein Wunsch nach Harmonie und Verständigung durch. Er plädiert dafür, dass sich alle wie Erwachsene benehmen, gemeinsam einen trinken gehen und sich richtig miteinander unterhalten. »Denn letztlich hatten wir nur ein Land, das wir uns teilten. Aber selbst dieser Gedanke klang mittlerweile sentimental.«

Befindlichkeiten aus der Komfortzone

Das ist alles zweifellos gut geschrieben und mit dem Titel Weiss auch bewusst als Provokation eingesetzt, aber auf die Dauer leider auch ein wenig ermüdend bis ärgerlich. Genau dann, wenn Ellis selbst hämisch wird, und die Millenials nur noch Weicheier nennt und einen ganzen Absatz lang das Wort Scheiße arg strapaziert. An anderen Stellen wird er geradezu larmoyant und ist sich gar nicht recht bewusst, in welch einer privilegierten Komfortzone er sich da bewegt. Ellis wird dies nicht lesen, aber ich würde mir von ihm wieder einen richtigen Roman wünschen, ein narratives Werk, das es mit American Psycho aufnehmen könnte. Wobei, das wird schwer. Und dies wiederum weiß Bret Easton Ellis auch selbst: »Ich fing an, mir Notizen für einen Roman zu machen. Doch auch daraus ist nie etwas geworden.« Schade.

Aber es gibt zwei fiktionale amerikanische Werke, die ich gern noch empfehlen möchte. Ellis schreibt ja in Weiss auch über bis zur Hilflosigkeit verhätschelte Kinder, ein Phänomen, das sicher nicht nur auf die USA zutrifft. Zum Beweis müsste man sich nur morgens vors Tor einer Schule in einer bevorzugten Wohngegend irgendwo in Deutschland stellen und die Helicopter-Eltern beobachten, wie sie in Schwärmen mit ihren SUVs heranfliegen, um dann punktgenau vor der Schule zu landen und eben jene überversorgten Kinder heil dort abzuliefern. Woran liegt das? Lauert wirklich an jeder Ecke ein Kinderschänder? Oder gar der böse Wolf?

Kommen wir zur zweiten Schnittstelle zwischen Weiss und Lake Success: New York.

Genauer: Das heutige New York, in dem es immer mehr Reiche gibt, wo Manhattan zu einer Art Gated Community geworden ist, fast ausschließlich von Reichen bevölkert, und alles gesäubert und anonym wirkt. Dort wohnt Barry Cohen mit seiner wunderschönen Frau in einem wundervollen Apartment und hat statt eines wunderwunderbar geraten Kindes vom Schicksal einen Sohn beschert bekommen mit einer Diagnose und einem speziellen Profil, der in einem Spektrum liegt. Ja, es dauert tatsächlich zig Seiten, bis sich jemand traut, die Krankheit des Sohnes einfach und direkt beim Namen zu nennen: Sohn Shiva ist Autist. Kein besonders leichter Fall. Er wird nie wie sein Vater werden, nie in Princeton studieren. Kein Erstgeborener, auf den man im hippen Madison Park vor anderen Auserwählten des goldglänzenden Götzen namens Neoliberalismus stolz sein konnte. So denken seine Eltern tatsächlich.

Obszöner Reichtum, erschreckende Armut

Menschen, deren Kindermädchen sechsstellig im Jahr verdienen, und die ein Heer von Bediensteten, Coaches und anderen Hilfen beschäftigen, nur um ihr Leben am Laufen zu halten. Ein Leben, in dem selbst die Liebe und Zuwendung zwischen den Menschen durchökonomisiert scheint. Ein Leben, in dem es sehr strenge und deutlich sichtbare, aber nie ausgesprochene Insignien und Hierarchien gibt, die alles regeln. Das ist kein Platz für lästige Überraschungen oder unvorhergesehene Unfälle. Kein Platz für ein Kind, das nicht der wohlgeratenen Norm einer pervertierten und obszön reichen Umgebung entspricht.

Der Roman begibt sich auf die Straße eines literarischen Road Movies und führt einmal quer durch die USA. Barry Cohen ist ein Master of the Universe, wie sich die millionenschweren Hedgefond-Manager selbst gern nennen. Darunter geht es selbstverständlich nicht. Aber auch ein Mister Universum muss sich hin und wieder mit den Niederungen des Lebens auf der Erde herumschlagen. In seinem Fall: Einer Frau, die ihn für unkultiviert und fantasielos hält, ein Kind, das ihn nicht zu verstehen scheint und eine Börsenaufsicht, die über die Legalität seiner Geschäfte eine etwas andere Ansicht hat als er selbst.

Shteyngart, Gary_hon.frei (c)Brigitte Lacombe

Foto: © Brigitte Lancombe

Nach einer Auseinandersetzung mit seiner Frau und dem Kindermädchen flieht Cohen ziemlich derangiert und begibt sich auf eine Odyssee durch die USA am Vorabend der Trump-Ära. Er nutzt dafür den Greyhound, dieses uramerikanische Symbol von Freiheit, der Bus, der dich überall hin bringt und in dem dir keine unangenehmen Fragen gestellt werden. In Barrys Fall könnte der Gegensatz nicht krasser sein – eben noch in einer parfümierten Welt mit dem Privatjet unterwegs, der stets Standby wartet, findet er sich plötzlich unter lauten normalen Menschen wieder. Menschen mit Ausdünstungen, schrägen Frisuren, bis unters Dach gepierct oder tätowiert. Menschen, die noch nicht einmal Geld für einen Flug in der Economy Class haben, vom Privat-Jet ganz zu schweigen. Menschen, für die er aber etwas empfindet: »Er wurde ganz friedlich in seiner Bewunderung für sie. Sie war ein echter Mensch. Keine Spur von dieser New Yorker Raffinesse

Seltsamerweise neigt Barry Cohen zur Sentimentalität. Und bricht dabei mit einer ebenfalls universell gültigen Regel: Mach dich nie auf die Suche nach deiner Jugendliebe oder deiner Ex-Freundin. Cohen tut genau das. Wie es ausgeht, lasse ich offen. Aber sein Roadtrip ist sehr süffig – wenn auch manchmal am Rande der Glaubwürdigkeit – erzählt und glänzt mit einigen wirklich lustigen Einfällen und klugen Beobachtungen. So, wenn Barrys Frau nach seiner überstürzten Flucht plötzlich nicht mehr weiter weiß und sich nach etwas Stabilität und, sagen wir mal, Halt sehnt: »Sie wollte auch eine Zigarette. Und Benzos, oh Gott, Benzos.« Kenner instabiler Lebenssituationen wissen Bescheid, wie es so schön heißt. Oder wenn Barry in – natürlich! – Baltimore zu einem Krümel Crack kommt, der ihm just beim Wiedersehenessen mit den Eltern seiner Jugendliebe aus der Tasche fällt.

Der sinnlose Krieg gegen die Drogen

Überhaupt: Auch Trump propagiert ja den War on Drugs, den bereits Richard Nixon vor fast fünfzig Jahren ausrief, und den bis heute niemand, wirklich NIEMAND, gewonnen hat. Aber sehr wohl zu instrumentalisieren wusste. Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen, so lange kein Umdenken einsetzt. Verblüffenderweise geschieht genau dies in einigen Bundesstaaten der USA, wo Cannabis legalisiert wurde. Weniger verblüffend, dass daraus bereits der am schnellsten wachsende Wirtschaftszweig Nordamerikas wurde.

T.C. Boyle 2017

Foto: © Peter-Andreas Hassiepen

Und wenn wir schon bei den Drogen sind, ist es nur noch eine schmale Linie, um Das Licht zu sehen. »Das Licht«, sagte er. »Das Licht«. Bereits auf den ersten Seiten verrät uns T.C. Boyle, was den ganz speziellen Reiz eines LSD-Trips ausmacht. Dafür geht der kalifornische Autor bis ins Jahr 1943 zurück. Das Jahr, in dem ein Schweizer Chemiker das von ihm bereits ein paar Jahre zuvor entdeckte LSD an sich selbst ausprobiert. 1949 kam es sogar in den Handel und wurde jahrelang in der Psychiatrie eingesetzt. Manche sagen, durchaus erfolgreich. Andere hielten es für schlichtweg gefährlich, so dass LSD das gleiche Schicksal blühte wie Heroin und Kokain – beides ebenfalls zunächst frei verkäufliche Arzneimittel. Heute ist alles illegal. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass allein in den USA täglich über einhundert Menschen am Missbrauch legal zugänglicher, opioidhaltiger Schmerzmittel sterben. Ein Dank unseren weitsichtigen Politikern und der selbstlosen Pharmaindustrie.

Groß heraus kam LSD erst wieder in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Interessanterweise zunächst an einer Elite-Universität – in Berkeley, California. Besonders Ken Kesey und der schon fast sagenumwobene Timothy Leary haben im Rahmen von Studien versucht, die Wirkung von LSD als Mittel zur Rettung des Weltfriedens zu beweisen. Na ja, zumindest als Mittel, um aus uns konsumversessenen Halbaffen wieder Menschen zu machen, bessere Menschen. Damit rannten sie bei der aufkommenden Hippie-Bewegung natürlich offene Türen und Münder ein und stießen auf reichlich Gehirne, die die euphorische Grundstimmung von LSD bald nicht mehr missen mochten.

Love & Peace

Wie bei jedem Rausch, gibt es auch hier unerwünschte Nebenwirkungen, bis hin zu den berüchtigten Horrortrips. Das bekommt auch die junge Familie um den wissenschaftlichen Assistenten Fitz zu spüren, der bald in den Dunstkreis um Leary gerät und sich ihm und seiner Entourage anschließt.

Was als medizinisches Experiment beginnt, entwickelt sich jedoch zu einer von der Außenwelt losgelösten, kommunenhaften Lebensform, die alle Grenzen von Besitz sprengen soll. Auch von emotionalem Eigentum. Natürlich ein Patentrezept für Spannungen und kräftigen Rissen im Porzellan einer Ehe und Familie. Auch bei Boyle bleibt kein Stein auf dem anderen, die Reise geht durch die USA bis nach Mexiko und zurück. Aber dieses Licht ist zu verlockend. „Die Krise war überwunden, und sein schlechter Trip erblühte zu einem unendlichen ekstatischen Augenblick: »Was er erlebte, war weder Gott noch bloß ein Drogenrausch, sondern Anmut und Licht und tiefste Liebe für alle Anwesenden, für alle Menschen der Welt.« Love and Peace klingt irgendwie besser als War and Money, oder? Man könnte es ja mal wieder probieren. Also das mit der Liebe und dem Frieden natürlich. Nicht nur in den USA.

Bret Easton Ellis: Weiß. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Ingo Herzke. Kiepenheuer & Witsch, April 2019, 320 Seiten, 20,- €.

Gary Shteyngart: Willkommen in Lake Success. Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. Penguin, April 2019, 432 Seiten, 24,- €.

T. C. Boyle: Das Licht. Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Hanser, Februar 2019, 379 Seiten, 25,- €.

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Ein Gedanke zu „The Acid States: Ein amerikanischer Alptraum.

  1. Elke Schneefuß

    Ja, um eine schonungslose Analyse des Zustandes, in dem sich die ehedem selbst ernannte „Führungsnation der westlichen Welt“ befindet, kommt man wohl auch als Leser dieser Tage kaum herum. Zumal sich der Typ mit dem giftig schwefelgelben Haar verbal gerade für eine zweite Amtszeit warmläuft…
    Vielen Dank für die Rezensionen, für mich kommt wohl vor allem TC Boyle in Frage…

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