Nur noch wenige Tage. Haus bauen, Baum pflanzen, alles zu spät. Aber ein gutes Buch, das lässt sich meist noch fix besorgen. Selbstverständlich beim Buchhändler eures Vertrauens. Hier also der letzte Teil unseres Geschenke-Spezials mit den besten Empfehlungen von Herrn Klappentexter.
Charles Bukowski: Dante Baby, das Inferno ist da!
Wer glaubt, schon alles vom guten alten Buk zu kennen oder sogar zu haben, der kennt diesen Gedichtband noch nicht. Der erste posthume, der nicht zensiert wurde. Zensiert? Wo leben wir denn? Nun, offensichtlich wurde in Gedichtbänden, die nach Bukowskis Tod in den USA erschienen sind, einige seiner Poems geschönt, verharmlost oder gar verstümmelt. Das geht natürlich nicht, mit Buk schon mal gar nicht. Tja, was ist eigentlich aus dem sogenannten amerikanischen Traum geworden? Ein Albtraum. Zigtausend Tote im Jahr durch Schusswaffen, Millionen ohne Krankenversicherung und eine Infrastruktur, die es in ihrer Verwahrlosung mit jedem Dritte-Welt-Land aufnehmen kann. Und an der Spitze dieses Albtraums thront ein toupierter Turbo-Kapitalist. Was macht Buk? Der sitzt irgendwo da oben an der Theke, nippt an einem eiskalten Bier und lacht sich kaputt über den ganzen Wahnsinn. Derweil einer seiner Stellvertreter auf dieser höllischen Erde, Benno Käsmayr vom wunderbaren Maro Verlag, sich dieser bisher unveröffentlichter Gedichte angenommen hat und sie nun auch uns unzensiert zugänglich macht. In gewohnt liebevoller Aufmachung. Aber mit bisweilen ungewohnten Inhalt – denn wir erleben in manchen Gedichten einen geradezu experimentellen Bukowski, andere sind pure Philosophie. Dabei stets mitten aus dem Leben und immer mit der galgenhumorigen Gelassenheit, die man einfach haben muss, wenn man auf der Rennbahn beim Pferdewetten seinem Arzt begegnet oder nach den ersten Erfolgen als Autor ständig von paarungswilligen Groupies belagert wird. Me too gab es noch nicht. Aber einen weisen Buk, der einer jungen Verehrerin – damals noch per Brief – absagte: „Dann lächle ich, falte den Brief/stecke ihn in den Umschlag, leck dran,/mach ihn zu, klebe eine Briefmarke drauf/und laufe die Straße bis zum/nächsten Briefkasten hinunter/und lasse die emanzipierte Frau so frei sein, wie es nur geht/und tue auch mir selbst/einen großen/Gefallen.“ Also, tut euch oder anderen lieben Menschen einen Gefallen, und kauft dieses knisternde Inferno der tröstlichen Worte. Oder, Buk? „Ich verbrenne im Wasser/und ertrinke in der Flamme.“
Charles Bukowski: Dante Baby, das Inferno ist da! Deutsch von Esther Ghionda-Breger, herausgegeben von Abel Debritto. Maro Verlag, 256 Seiten, 24,- €.
Cees Nooteboom: 533 Tage
Nochmal Nooteboom, es muss einfach sein. Zu gut hat mich dieser Mann durch nicht so leuchtende Zeiten in diesem Jahr mit seiner Sprache, seinen erhellenden Gedanken und Geschichten getragen. 533 Tage – Berichte von der Insel ist tatsächlich eine Art Tagebuch, und doch noch viel mehr. Die meisten dieser oft kurzen, selten etwas längern und nie langweilenden Reflexionen hat Nooteboom auf Menorca geschrieben, seiner zweiten Heimat. Wobei man das Gefühl nicht loswird, dass dieser Kosmopolit eigentlich auf der ganzen Welt zu Hause ist. Und doch auf Menorca seinen ganz eigenen Mikrokosmos gefunden hat, inmitten einer üppigen und manchmal widerspenstigen Botanik, über die der Autor seitenlang berichten kann. Ja, er spricht sogar mit ihr und vermeint, Antworten zu hören. Hat die Yucca nicht gerade mehr Licht gesagt? Eine Palme, die die vermeintlich letzten Worte des großen Goethe spricht? Herrliche Phantastereien sind das, zu denen uns Nooteboom einlädt. Oder wenn er sich nach einer schlaflosen Nacht im Morgengrauen auf die Terrasse setzt: „Dies ist der erste Septembermorgen, aus dem feuchten Boden ein früher Hauch von Herbst. In einer Stunde das Morgenkonzert, das mich meist weckt. Hähne, Hunde, Tauben, Gänse, Ziegen, der Esel mit seinem Weltleid oder seiner ekstatischen Freude, wer will das entscheiden?“
Oft schaut der Mann auch in die Sterne, begeistert sich für das All und erzählt von seinem Schutzheiligen, dem Sternbild Orion. Ganz wunderbar auch der Bogen, den er von den Voyager-Raumsonden zu den Menschen spannt, die sich noch um diese Veteranen der Raumfahrt kümmern und dabei selbst zu Rentnern geworden sind. Und dann erst diese Nächte mit den Träumen, diesen seltsamen bis furchterregenden Theaterstücken, die unser Hirn da aufführt. Nooteboom berichtet, wie er in einer Woche quasi im Kopf in Berlin, Irland, Wien und Kolumbien, den USA und Bad Segeberg war. Bad Segeberg? Ich kenne diesen Ort, und er ist derartig unspektakulär, dass nicht nur der Autor sich fragt, wie er ausgerechnet da hinkommt. Aber es nützt ja nichts: „Eines ist sicher, ich durfte mir das nicht selbst aussuchen, das gehört nicht zu den Arbeitsbedingungen. Es wird von dir geträumt, du selbst hast dabei nichts zu sagen.“ Denn auch er kommt in Träumen anderer Menschen vor, die ihm davon berichten. Schon komisch, dieser Menschenkosmos, das weltenumspannende Netzwerk, das allgegenwärtige Universum des Unterbewusstseins. Neuronen, Neurosen, Botanik der Nerven. Und am Ende kommt David Bowie. Magisch, dieser Nooteboom!
Cees Nooteboom: 533 Tage. Berichte von der Insel. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, 255 Seiten, 11,- €.
Simone Sassen: Ultima Thule
Wir bleiben sozusagen in der Familie. Simone Sassen ist die Frau von Cees Nooteboom und eine hervorragende Fotografin. Hatte sie in Saigoku noch die Bilder zu den Texten von Nooteboom beigesteuert, sind die Rollen in Ultima Thule umgekehrt verteilt: Ein Bildband von Sassen, zu dem ihr Mann ein Essay geschrieben hat. Ultima Thule ist ein Synonym für Spitzbergen, für das Ende der Welt. Spitzbergen ist die nördlichste Inselgruppe im Polarmeer, wie gemacht für atemberaubende, menschenleere und wirklich stille Fotografien, die den Betrachter in den Zustand vollkommener Ruhe versetzen können.
Aber Spitzbergen ist noch etwas anderes als nur ewiges Eis, Gletscher und vegetationslose Landschaften mit schroffen Felslandschaften. Auf Spitzbergen finden sich Spuren und Zeugnisse ehemaliger menschlicher Siedlungen, vornehmlich aus der von Russen betriebenen Kohlebergbaustadt mit dem seltsamen Namen Pyramiden. Auch hier Stille, der eigentümliche Zauber von menschenverlassenen Ruinenstädten und sinnlos gewordenen Industrieskeletten.
Die traurigen Zeugnisse der Vergeblichkeit des Menschen bei seinem Versuch, die Natur zu beherrschen. Das Einzige was er jedoch perfekt beherrscht, ist diese Natur zu vernichten. Insofern war der Grund dieser Reise von Sassen und Nooteboom, eine Einladung anlässlich des Internationalen Polarjahres 2007/2008, programmatisch und ein deutlicher Hinweis, dass wir auch imstande sind, selbst am Ende der Welt diese noch zu verletzen. Nootebooms Essay ist ein erneuter Beweis seiner Kraft, auch selbst Bilder zu malen, Schriftbilder sozusagen: (…) Photos von Gletschern und im Schnee eingeschlossenen Hütten, von Walfängern und Schneestürmen, alles riecht nach Gefahr und Einsamkeit, Mensch und Tier im Kampf mit den Elementen und miteinander. Und in der Hauptrolle der Tod (…).“ Also noch nicht für den Yoga-Kurs anmelden, erstmal dieses Buch nehmen als Futter für die Seele.
Simone Sassen: Ultima Thule. Eine Reise nach Spitzbergen. Photographien, mit einem Essay von Cees Nooteboom. Verlag Schirmer/Mosel, 128 Seiten, 29,80 €.
Roger Willemsen: Musik!
Nun ist es auch schon über zwei Jahre her, dass Roger Willemsen von uns gegangen ist. Nooteboom hat recht – je älter du wirst, desto mehr Tote kennst du. Und desto weniger sagen dir die noch Lebenden. Aber es gibt etwas, das dir immer wieder aufs Neue viel geben kann: die Musik. Und Willemsen war ein manischer Musikhörer und begnadeter Kenner. Über sich selbst sagte er: „Für kaum etwas bin ich so dankbar wie für die Entdeckung neuer, unbekannter, sprechender Musik.“ Er nahm diese Kunst ernst, sehr ernst und damit auch persönlich, so dass er sie tatsächlich wehrlos hörte und deshalb in öffentlichen Räumen auch entsetzlich litt unter dem, was John Lennon so treffend als Muzak bezeichnete: Die ständige und ungefragte Berieselung mit nichtssagendem und völlig austauschbarem Tonmüll, der – analog zur gesellschaftlichen Entwicklung – auch immer lauter und aggressiver wird. In Musik! würdigt Willemsen vor allem seine große Liebe, den Jazz. „Man kann sagen, Jazz sei die klassische Musik des 20. Jahrhunderts. Man kann sagen, er sei Ausdruck der Emanzipation von Diskriminierung und politischer Unterdrückung. Man kann auch sagen, er enthalte die schönsten Formen existentieller Freiheit, er sei Klima, Atem, Luft von vorn, er synchronisiere das Innenleben des modernen Menschen mit der Großstadt, dem Tempo der Bewegungen (…). Das Lebensgefühl, das Jazz heißt, entwickelt sich in einem Klima der Wahrhaftigkeit (…).“

Foto: © Roger Willemsen Stiftung 2018
Viele weise Worte findet Willemsen für dieses musikalische Lebensgefühl, sehr lebendige Worte abseits jedweden Jägerlateins, so dass niemand Sorge haben muss, bei diesem Buch handelt es sich um eine öde theoretische Abhandlung einer durch und durch vitalen Musikgattung. Musik, die von verliebten Männern, liebenden Frauen, von einsamen Herzen und dem Unglück der Liebe ebenso erzählt wie von den Farben des Herbstes bis hin zu legendären Nachtstimmungen. Natürlich ist der Autor auch ein genauer Beobachter und Menschenkenner, wenn er über John Coltrane schreibt: „Die Aggression, die er auch ausgelöst hat, hängt vielleicht mit der Freiheit zusammen, die er artikuliert, mit der Unbeirrbarkeit, die er verkörpert hat.“ Genau das ist es ja, was der Kleinbürger (heutzutage gern Wutbürger genannt), so gar nicht mag: Die Freiheit im Kopf eines unabhängigen Menschen. Und die meisten Jazz-Musiker waren sehr, sehr unabhängig. Zumindest, solange es nicht um Alkohol und Drogen ging. Und wer zu den Texten von Roger Willemsen einige seiner (und auch meiner) Helden des Jazz als Bild an der Wand haben möchte, dem sei Der Jazz Kalender 2019 mit Texten von Roger Willemsen empfohlen. Von Miles Davis, Eric Dolphy über Billie Holiday bis hin zu Charles Mingus und Charlie Parker (um nur ein paar zu nennen) erwarten den interessierten Genießer hier nicht nur die kundigen Texte von Willemsen, sondern auch noch biografische Details zu jedem Künstler.
Die einzige, leise Kritik meinerseits: Der großartige Chet Baker findet bei Willemsen nicht statt. Legt einfach nur passend zur winterlichen Stimmung Grey December auf und ihr wisst nicht, ob ihr vor Freude grinsen oder weinen sollt.
Ansonsten gilt: Kauft das Buch, den Kalender und legt eine gute Jazz-Platte auf. So wird Weihnachten zu einem erträglichen Ereignis. Ach, ihr wollt noch ein Gedicht aufsagen? Buk, gib´s ihnen! „Lasst uns Lichter anzünden/lasst uns im großen Stil leiden – /grinsend und mit einem Zahnstocher im Mund/Wir können das/…/Unsere Knochen werden wie Zweige in den Himmel/ragen und den ewigen Sieg/verkünden.“
Roger Willemsen: Musik! Über ein Lebensgefühl. S. Fischer Verlag, 512 Seiten, 24,- €.
Der Jazz Kalender 2019. Mit Texten von Roger Willemsen. edition momente, 28 Seiten, 18,99 €.