Ein wenig Auszeit mit Hanya Yanagihara – das Lesetagebuch, Teil 1.

IMG_5655.jpg

Für einen Bücherwurm klingt das wie ein Traum: Drei Tage lesen. Nichts anderes als lesen, lesen, lesen. Gut, vielleicht zwischendurch mal einen Tee kochen, etwas essen, spazierengehen und die Nase in die klare Winterluft halten. Und all das auch noch in bezaubernder Umgebung – in einer Holzhütte in Brandenburg. Kein WLAN, dafür ein knisternder Kamin. Nur Natur und das Buch und ich. Hanser Berlin hat mir dieses besondere Geschenk bereitet. Anlässlich der Erscheinung von „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara hat der Verlag Blogger, Buchhändler und Journalisten zu einem Leseretreat nach Ferch eingeladen. Ich zählte zu den Glücklichen und möchte euch in Tagebuchform an dieser ungewöhnlichen Leseerfahrung teilhaben lassen. Der Verlag wirbt mit dem Satz: „Sie werden nach dem Buch darüber sprechen wollen.“ Genauso ist es. So spreche ich hier in diesen Tagen über „Ein wenig Leben“; weniger über den Inhalt, mehr über das, was das Buch mit mir angestellt und die Auszeit am See mir Wundervolles geschenkt hat. Schön, dass ihr dabei seid!

Berlin, 7. Januar 2017, 18:15 Uhr

Ich trete aus dem Laden – Feierabend! Vor mir tanzen unzählige Schneeflocken und hüllen Berlin in ein weißes Federbett. Ich lächle, denn genauso habe ich es mir vorgestellt: Schnee! Ich hatte allen, die vor Weihnachten sehnsuchtsvoll in den Himmel schauten und sich fragten, ob es in diesem Winter noch Schnee geben wird wie folgt geantwortet: „Klar, vom 8. bis 11. Januar“. Daraufhin erhielt ich erstaunte Blicke. Entzückt und doch ein bisschen verwundert bin ich jetzt, wo es tatsächlich passiert. Kann ich zaubern? Habe ich übersinnliche Fähigkeiten?

Meiner kleinen Leseauszeit in einem Winterwonderland steht demnach nichts mehr im Wege. Morgen ist es soweit. Dann fahre ich mit meinem Liebsten in eine Holzhütte an den Schwielowsee, um einer der schönsten Tätigkeiten nachzugehen – dem Lesen. In tiefer Stille und Ruhe werde ich mich dem Werk „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara widmen. Ruhe brauche man dafür in der Tat, sagten diejenigen, die das Buch bereits gelesen hatten.

So betrachte ich, zu Hause angekommen, den ziemlichen Wälzer von Buch – immerhin ist es 958 Seiten dick. Ich frage mich: Kann man Respekt vor einem Buch haben? Ich habe im Vorfeld bereits einiges über den Roman aufgeschnappt, was er mit den Menschen angestellt hat, und muss sagen, ich fürchte mich ein wenig. Na, wir werden sehen.

Berlin, 8. Januar 2017, 8:30 Uhr

Vorsichtig schiebe ich am Morgen die Vorhänge im Schlafzimmer zur Seite. Ich bin aufregt und fühle mich wie ein kleines Mädchen, das inständig hofft, der Schnee möge bitte, bitte noch auf der Straße liegen. Ich atme auf und blicke hinaus. Ja, da liegt er und schluckt den Lärm der Großstadt. Wie schön!

Heute ist der ersehnte Tag, an dem ich mit der Lektüre von „Ein wenig Leben“ beginnen werde. Die Erwartungen sind groß, die Neugier ebenso. Und noch eine Frage beschäftigt mich: Werde ich es schaffen, „Ein wenig Leben“ in drei Tagen durchzulesen? „Bei 40 Seiten pro Stunde dürfte das zu schaffen sein“, sagt Thomas Rohde, Pressesprecher von Hanser Berlin. Ich habe ihn gefragt, wie es zu der tollen Leseaktion gekommen ist. Als Thomas Rohde von Hanser Berlin seinerzeit den Roman las, war er vollkommen eingenommen von dem Buch und wollte es nicht mehr aus der Hand legen. Wie großartig wäre es, wenn man einen ruhigen Ort hätte, an dem man dieses opulente Werk in einem Rutsch lesen könnte. Damit war die Idee für das Leseretreat geboren.

Irgendwo zwischen Berlin und Ferch, 8. Januar 2017, 16:00 Uhr

Berlin wird immer kleiner, das Umland größer, öffnet sich und grüßt uns mit seinem weißen Federbett, in das ich mich am liebsten fallen lassen möchte. Laut kreischend und mit glühendem Gesicht nach einer ausgiebigen Rodelpartie. An uns ziehen schneebedeckte Felder vorbei, hinter der Frontscheibe zeigt sich eine neue, prall gefüllte Wolke. Als wir in Ferch ankommen, spüre ich die Stille selbst durch die geschlossenen Autofenster. Der Schnee übertüncht die Dunkelheit der Bäume und des späten Nachmittags, der ohne klaren Himmel den Charakter eines Abends hat.

wunderschoene_huette

Welch wunderbare Atmosphäre! Auch der Anblick der Holzhütte entzückt mich. Ich betrachte sie und frage mich: Bin ich wirklich hier? Oder träume ich den Winterzauber? Wie das Häuschen so dasteht, leise, zurückhaltend, umgeben von Bäumen, rührt mich auf eine ganz besondere Weise. Als wir sie betreten, empfängt uns Wärme wie ein flauschiger Schal. Zwei Frostbeulen freuen sich, lächeln und sind glücklich.

Das Haus hat die Größe einer gemütlichen 2-Zimmer-Wohnung und wurde mit viel Liebe eingerichtet. Orange und Blau sind die beiden dominierenden Farben, die sich durchs ganze Ambiente ziehen. Das Orange der Vorhänge finde ich im Gästebuch wieder, das leuchtend und verführerisch auf dem Küchentisch liegt. Ich schlage es neugierig auf und stoße beim Blättern auf einen Beitrag, in dem steht: „Neuseeland!“

Ein wenig irritiert und zugleich neugierig blättere ich weiter und lese allerhand Leserstimmen auf, die voller Dankbarkeit und Freude auf die Leseauszeit zurückblicken. Die Vorfreude ist am Zenit angekommen. Kurz kneife ich mich. Autsch! Es ist also wahr und kein Traum…

Ferch, 8. Januar 2017, 21:20 Uhr

Draußen ist es finster und still. Keine Autos, einzig der Atem der Bäume empfängt die nahende Nacht. Ich möchte hier jetzt nicht alleine sein und bin froh, dass ich es nicht bin. Wobei so wirklich alleine ist man mit dem Buch ja gar nicht, das zeigen mir die ersten Seiten. Dort treffe ich auf die vier Freunde Jude, Malcolm, Willem und JB. Plötzlich liege ich nicht mehr in Ferch, sondern stehe mitten in New York am Restauranttisch und beobachte die vier. Noch sind sie allerdings von mir entfernt, wie das Tier vor der Hütte, dessen Spur wir am nächsten Morgen im Schnee entdecken. Gute Nacht!

img_5652

***

In den nächsten Tagen geht es hier weiter. Meine Blogger- und Buchhändlerkollegin masuko13 war ebenfalls in Ferch und teilt ihre Leseeindrücke auf Instagram.

18 Gedanken zu „Ein wenig Auszeit mit Hanya Yanagihara – das Lesetagebuch, Teil 1.

  1. letteratura

    Das klingt wunderbar. Ich lese das Buch gerade, leider in nicht ganz so zauberhafter Umgebung, aber ich kann nur sagen, dass stimmt, was der Verlag sagt: Man will darüber reden. Ich erzähle selbst Menschen davon, mit denen ich nie über meine Lektüre spreche, weil sie einfach keine Leser sind. Ich freue mich auf Deine Besprechung!

    Like

    Antwort
    1. Klappentexterin Autor

      Ja, dann willkommen im Yanagihara-Gesprächskreis-Club! 😉 Verrückt ist es (weil so schmerzvoll und herzenswarm in einem) und wunderbar zugleich. Mir geht es da wie dir. Ich habe nach der Lektüre mit einigen Menschen über das Buch gesprochen, auch mit solchen, die es noch nicht kannten und neugierig geworden sind. Schwierig ist, man darf nicht zu viel verraten und muss sich rechtzeitig auf die Zunge beißen.

      Wann hatten wir zuletzt solch ein Buch?

      Ich wünsche dir weiterhin spannende Stunden mit dem Buch!

      Liebe sonnige Sonntagsgrüße
      Klappentexterin

      Gefällt 1 Person

      Antwort
      1. letteratura

        Schmerzvoll und herzenswarm – das trifft es absolut. Ich finde auch, dass eine möglichst unbedarfte Heransgehensweise das Beste ist, ich wusste nicht viel, als ich begonnen habe und finde das gerade gut. Ich kann mich auch nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so von einem Buch gepackt wurde.

        Gefällt 1 Person

  2. fabelhafteweltderbuecher

    Ich bin ebenfalls gerade am Lesen und musste schmunzeln – die 40 Seiten pro Stunde sind sehr realistisch angesetzt 😉 Und das meine ich nicht im Scherz, ich bin normalerweise wirklich schnell mit dem Lesen und hier genieße ich regelrecht, lese den einen oder anderen Satz mehrmals oder blättere kurz zurück, um eine andere Passage erneut zu lesen und eventuell sogar mehr als vorher zu begreifen.

    Es stimmt: Ich will über dieses Buch reden! Ich will meinen Kunden im Laden von meinen vier neuen Freunden erzählen, will ihnen sagen wir schwer es mir fällt sie auch nur für ein paar Minuten alleine zu lassen und dass ich bereits jetzt schon weiß, dass das Ende mir mein Herz sprengen wird.

    Doch woran liegt dieser Sog? Ich kann es noch gar nicht so sehr beschreiben und bin dem Buch dennoch restlos ausgeliefert.

    Bin sehr gespannt auf weitere Leseeindrücke bzw. Emotionstexte 😉 Weiter so!

    Gefällt 1 Person

    Antwort
    1. Klappentexterin Autor

      Dein Kommentar war eine große Freude, wie schön! Eine weitere Yanagihara-Verbündete sozusagen. 😉 Das hast du treffend formuliert, ja, man ist dem Buch restlos ausgeliefert und findet nicht auf alle Fragen Antworten. Aber das muss es ja nicht. Gerade das führt uns zu den Gesprächen. Großartig ist, wenn es das mit einem anstellt. So lass uns mit vielen Lesern darüber reden. In diesem Sinne wünsche ich dir allerhand spannende Gespräche zu „Ein wenig Leben“!

      Like

      Antwort
  3. lesesilly

    Liebe Klappentexterin,
    inzwischen bin ich so oft auf Beiträge zu diesem Buch gestoßen, dass ich denke, auch ich muss es unbedingt lesen. Und natürlich erst recht, wenn klappentexterin und masuko so begeistert darüber schreiben. Was hat es wohl mit dieser magischen Anziehungskraft auf sich? Ich bin wirklich gespannt.
    Deine Tagebucheinträge empfinde ich als ganz besonders und freue mich schon auf weitere. Beneidenswert ein Buch in einer solch tollen Umgebung zu lesen, ohne äußere Einflüsse, die davon abhalten.
    Liebe Grüße
    lesesilly

    Gefällt 1 Person

    Antwort
    1. Klappentexterin Autor

      Liebe lesesilly,
      ich danke dir für deinen glücklich-machenden Kommentar! Ja, masuko und klappentexterin haben mal wieder ein gemeinsames Buch gefunden. Pssst, sie haben sich sogar mit einer weiteren Buchhändlerin darüber unterhalten. Die Tage hier bei mir erfährst du mehr.

      Ich bin gespannt, ob dich die Anziehunsgkraft des Buches ebenso packen wird. Und wenn du während der Lektüre oder danach mit uns darüber sprechen möchtest, bist du herzlich willkommen!

      Oh ja, das Buch in einer derart traumhaften Umgebung zu lesen, ist ein ganz besonderes Geschenk. Ich werde „Ein wenig Leben“ immer mit diesem schönen Ort und der tollen Auszeit verbinden.

      Liebe Grüße

      Klappentexterin

      Like

      Antwort
  4. Pingback: Wer zu spät kommt … | Au fil des mots

  5. Constanze Matthes

    Ein wundervoller Bericht, der nicht nur die Neugierde auf das Buch, sondern auch das Interesse für Ferch weckt. Diese Hütte wäre auch genau das Richtige für mich; selbst im Winter, den ich sehr mag. Der Roman steht schon seit langem auf der Leseliste und war der erste, der mit den neuen Vorschauen notiert wurde. Viele Grüße

    Like

    Antwort
    1. Klappentexterin Autor

      Liebe Constanze,

      beides sind eindrucksvolle Dinge. Wobei Ferch mehr der harmonische, friedliche Part und das Buch der aufwühlende Teil ist. Sie ergänzen sich also prächtig. Bin gespannt auf deine Leseerlebnisse!

      Liebe Grüße

      Klappentexterin

      Gefällt 1 Person

      Antwort
  6. literaturreich

    Ja, das klingt ganz zauberhaft! Ich werde morgen mit dem Buch beginnen und hoffe, dass sich der Zauber auch im Alltag herstellen lässt. Wäre dann auch im Gesprächskreis-Club 😉 Viele Grüße, Petra

    Like

    Antwort
  7. Pingback: Ein wenig Auszeit mit Hanya Yanagihara – das Lesetagebuch, Teil 2. | Klappentexterin

  8. Pingback: 2017: Alles war in Bewegung. | Klappentexterin und Herr Klappentexter

Hinterlasse eine Antwort zu Klappentexterin Antwort abbrechen