Für gewöhnlich lest ihr auf meinem Blog Buchbesprechungen über zeitgenössische Literatur. Manchmal findet sich hier auch ein Kinderbuch oder ein Klassiker. Doch Krimis kommen so gut wie kaum vor. Aber heute mache ich eine Ausnahme. Und das aus zwei Gründen. Zum einen habe ich eine kleine Krimi-Sensation gelesen, die sich hervorragend als Weihnachtsgeschenk eignet. Ja, bald ist es wieder soweit. Zum anderen hat mir das kürzlich im Steidl Verlag erschienene Buch, »Bogmail. Roman mit Mörder«, wieder einmal vor Augen geführt, weshalb ich die Welt der Indiebooks so schätze.
Gerade in Zeiten wie diesen, möchte ich auf die Kleinverlagswelt hinweisen, die derzeit von uns allen besonders Unterstützung braucht. Einige von euch haben sicherlich den Aufruf der Kurt-Wolff-Stiftung gelesen. Es geht um die Rückzahlungsforderungen der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort), die ein einzelner Mensch mit seiner Klage erwirkt hat. Ohne sich offenbar darüber im Klaren zu sein, welche Auswirkungen das BGH-Urteil für den gesamten Verlagszweig hat. Die Verlage bekommen keine VG Wort Ausschüttungen mehr und müssen rückwirkend Geld zurückzahlen. Da geht es um beträchtliche Summen, die einen kleinen Verlag durchaus in den Ruin treiben können. Als ich die Nachricht seinerzeit las, war ich bestürzt und hoffte noch auf ein Wunder. Doch dieses blieb bis heute leider aus.
In einer öffentlichen Erklärung macht nun die Kurt Wolff-Stiftung auf die brisante Lage der Kleinverlage aufmerksam. Auf der Internetseite steht u.a.: »Diese gründen in der diesjährigen richterlichen Aufhebung des vor vielen Jahrzehnten in der VG Wort einstimmig getroffenen Beschlusses, die Geldsummen, die für die physischen und digitalen Kopien urheberrechtlich geschützter Werke von den Verwertungsgesellschaften eingezogen werden, zwischen den Autorinnen und Autoren und den Verlagen aufzuteilen.« Dort steht weiter, dass eingelöste Hilfeversprechen seitens der Politik bisher ausgeblieben sind, ebenso der Vorschlag zur Stundung. Die vielfältige Kleinverlagswelt ist ernsthaft in Gefahr, und ohne die mit viel Herzblut publizierten Büchern würde der Bücherwelt eine Menge fehlen.
Wir von »We read Indie« folgen dem Aufruf von der Kurt-Wolff-Stiftung: »Unterstützen Sie uns, unterstützen Sie die Autorinnen und Autoren, indem Sie Bücher von unabhängigen Verlagen kaufen – und lesen.« Unter dem Hashtag #wereadindie zeigen wir euch unsere Lieblinge. Sophie von Literaturen, Caterina von SchöneSeiten, Jochen von lustauflesen.de sowie Birgit von Sätze&Schätze haben ihre Lieblinge bereits gezeigt, ich öffne für euch ein ganz besonderes Buch aus dem Steidl Verlag.
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Das Foto zeigt meine zehn Lieblinge.
Schon allein die hochwertige bibliophile Ausstattung hebt sich von den Großverlagen ab. So auch bei »Bogmail. Roman mit Mörder» von Patrick McGinley. Das Buch ist in Leinen gebunden und kommt in einer geschmackvollen, reduzierten Gestaltung daher. Ein typisches Wesenmerkmal der Indiebooks – sie schreien nicht, sie sprechen im leisen Ton. Auf dem Cover des Buches schlängelt sich hinter der dunkelgrauen Fassade ein Fluss. Ich spüre die Nebeltropfen auf meiner Nasenspitze. Eine Gänsehautstimmung, unheimlich, stark und atmosphärisch. Einzig ein gelber Poststempel mit dem Titel und Autorenname bringt etwas Licht ins Dunkel und ruft ein Zwinkern meines linken Auges hervor. Die Gestaltung fasst den Inhalt visuell perfekt zusammen. »Bogmail. Roman mit Mörder« ist ein melancholisch und äußerst komischer Spannungsroman mit einer betörend schönen Tiefsinnigkeit.
Hinter dem Namen Bogmail verbirgt sich ein Erpresser, der eine der Hauptpersonen erpresst. Tim Roarty, Pubbetreiber und ehemaliger Priesterseminarist, hat seinen Barkeeper mit dem Band 25 der Encyclopaedia Britannica erschlagen, letztlich im Affekt. Aber es hatte es schon lange vor. Nachdem ein Anschlag mit vergifteten Pilzen nicht funktioniert hat, kam ihm die nächtliche Gelegenheit wie gerufen. Der Lustmolch hat sich an Roartys Tochter vergangen und musste beseitigt werden. Und nun? Wohin mit der Leiche? Erstmal aufs Klo. »Sein Stuhlgang war der schnellste und befriedigendste, den er erlebt hatte, seit seine Mutter ihm eine Überdosis Glaubersalz verabreicht hatte. Sie wäre erstaunt gewesen, wenn sie erfahren hätte, dass Mord ein noch besseres Abführmittel war.«
Ich muss diese abstruse Szene zitieren, um den herrlich komischen Ton des Buches zu verdeutlichen. Hier ist es nicht nur böse und melancholisch, sondern auch äußerst amüsant. Nachdem sich Roarty erleichtert hat, entscheidet er sich dafür, die Leiche und Eales’ Sachen im Moor zu vergraben. Da kommt sicherlich keiner drauf. Und da Eales ohnehin ein Frauenheld und Lebemann war, fällt es nicht weiter auf, wenn er mal über Nacht einfach verschwindet.
Roartys Leben könnte jetzt wunderbar weitergehen. Wenn es da nicht den Bogmailer geben würde. Offenbar hat eine Person aus dem Ort den Mörder bei seiner nächtlichen Verscharrungsaktion beobachtet. Der Bogmailer schreibt Roarty Briefe und erpresst ihn. Wer verbirgt sich hinter dem Pseudonym? Nachdem Roarty seine Stammgäste durchgegangen und sie unter verschiedenen Aspekte analysiert hat, glaubt er den Übeltäter ausgemacht zu haben: Der Engländer Kenneth Potter ist es. Mit Sicherheit. Als Vogelkundler könnte er sich durchaus um drei Uhr nachts durch das Moor bewegt und Roarty beobachtet haben.
Die Zeit eilt, und der kurz vor der Pension stehende und tüchtige Polizist McGing will den Mord schnell aufklären. Nachdem Roarty die erste Rate nicht gezahlt hat, taucht indes der linke Fuß Eales’ bei McGing auf. Roarty muss handeln, der Zeuge beseitigt werden.
Das war nur ein kleiner Ausschnitt aus den über 336 Seiten. Darin finden sich noch viele weitere schöne, verrückte, bewegende Dinge. Schwungvoll-unterhaltsame und abstruse Pubgespräche der Stammgäste mit Namen wie Gimp Gillespie, Rory Rua und Cor Mogaill beispielsweise. Dazwischen fließt jede Menge Pint Stout und natürlich Whiskey. Atmosphärische Naturbeschreibungen halten das Leserauge ebenfalls gefangen. »Es war eine Landschaft grüner Flecken, die zaghaft gegen die Wildheit der sich ausbreitenden Heide ankämpften; mit Bruchsteinmauern statt Hecken; verkrüppelten Bäumen, gebeugt von meeresfeuchten Winden; Straßen, die sich zu längst verlassenen Gehöften und kahlen Bergkuppen schlängelten; und einsamen Ständen zwischen schwarzen Felsen und dem quälenden Tosen der See.« Jetzt kurz die Augen schließen und sich all das vorstellen.
So bewege ich mich zwischen dem gemütlichen Pub und der rauen Natur, lausche dem tiefsinnigen Kenneth Potter, den die Trennung seiner Freundin in das Dörfchen Donegal geführt hat. Dort verliebt er sich in Nora Hession. Die wiederum arbeitet im Pfarrhaus als Dienstmädchen. Der Kanonikus darf vorerst von der Verbindung der beiden möglichst nichts mitbekommen, da »er durchaus weltliche Charakterzüge« hat. Was in einem Dorf natürlich schwierig, gar nicht möglich ist. Die Menschen in dem Dorf sind bisweilen suspekt und es brodelt hier und da. Nicht alles ist so friedlich, wie es auf dem ersten Blick scheint. Wie Tim Roarty, der gerade wieder ein Bier zapft und gedanklich ganz woanders ist.
Dieses Buch ist ein bemerkenswertes Stück aus dem Bereich der Spannungsliteratur, den Hans-Christian Oeser einmal mehr hervorragend übersetzt hat. Packend, skurril, amüsant, tiefsinnig, melancholisch, stimmungsvoll, landschaftlich schön und herausragend literarisch. »Bogmail. Roman mit Mörder« zählt daher nicht ohne Grund zu den Klassikern der irischen Kriminalliteratur. Wer raffinierte Krimis schätzt, dem sei dieser wärmstens empfohlen.
Patrick McGinley: »Bogmail. Roman mit Mörder. Übersetzt von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, 2016, 344 Seiten, 24,- €. Jetzt portofrei bei Hugendubel.de bestellen.
Melancholisch, komisch, tiefsinnig – und das alles in einem in Leinen gebundenen Kriminalroman. Das gibt es nicht so oft und hat mich gleich neugierig gemacht. Schau ich mir an. Danke!
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Wie wahr! Genau deshalb hat mich dieser bemerkenswerte, komische, tiefsinnige und wunderschön gestaltete Kriminalroman derart in den Bann gezogen (und gleichfalls inspiriert). Möge die Begeisterung auch im literaturreich ankommen. In diesem Sinne: Viel Freude beim Erkunden!
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