Leben und leben lassen – über den Lärm und die Ruhe in der Literatur.

capus_das_leben_ist_gutWährend sich die Literaturwelt derzeit um bestimmte Bücher dreht, wie ein Wanderderwisch um sich selbst, sitze ich hier und denke: Es kann so einfach und schön sein! Kein Lärm, keine Fragen, keine Aufregung. Still und friedlich wie eine duftende Sommerwiese, auf deren Grashalmen noch zarte Tropfen des nächtlichen Regens hängen. Alex Capus hat mir das einfache, schöne Leben mit seinem neuen Roman »Das Leben ist gut« vor Augen geführt. So funktioniert das Lesen also auch: vollkommen unkompliziert. Ich hatte es fast vergessen. Lesen voller Leichtigkeit und mit dem tiefen Seufzer wohligen Glücks.

Ich muss mich nicht fragen, warum ich mich als eine der Wenigen dem Hype eines Buches überhaupt nicht anschließen kann. Warum es mich nicht fasziniert, viel mehr verstört und abstößt, wenn ich über eine Frau lese, die beschließt, kein Fleisch mehr zu essen und was das alles mit ihr und der Familie anstellt. Ich schweige, lasse das laute Rufen an mir wie ein Schwarm Wildgänse vorbeiziehen und bin trotz Verwirrung beglückt darüber, dass die Menschen derart enthusiastisch über Literatur sprechen, wie gefühlt schon lange nicht mehr. Anfangs war ich noch verwundert über die für mich nicht nachvollziehbare Begeisterung, nun nicht mehr. Im Grunde ist es nämlich recht einfach. Ganz genauso wie Max es in Capus’ Roman anstellt: Leben und leben lassen.

IMG_4935Deshalb schieße ich meinen Ärger über die diesjährige Longlist einfach in den Wind. Bevor dieser um die Ecke verschwindet, schlüpft noch schnell mein Unverständnis wie ein Flaschengeist aus meinem Kopf nach draußen. Ich nehme die Liste dieses Mal einfach hin und schaue indes vergnügt der verwirrten Hummel auf dem Balkon zu, wie sie den Lavendeltopf sucht. Er steht jetzt woanders, nicht mehr auf dem Tisch. Nach mehreren Anläufen hat sie das Ziel ihrer Begierde erschnuppert, fliegt ganz aufgeregt von Blüte zur Blüte. Und ich freue mich wie ein kleines Mädchen, das zum ersten Mal auf Schlittschuhen steht.

Ich liebe den Diskurs in der Literatur, doch manchmal ist er mir zu laut, ein unendliches Gemurmel, das nicht aufhören will. Da mag ich diejenigen Bücher, über die alle sprechen, einfach nicht mehr sehen. In solchen Momenten wünsche ich mir eine Sevilla Bar, wie sie Max betreibt. Ein Ort, in dem ich mich verkriechen und das Draußen ausblenden kann. Ich würde mich genauso mit großer Hingabe um meine Bar kümmern, die Aschenbecher unter dem hellen Mond ausleeren, mit Neugier die Gäste beobachten und die Geschichten erzählen, die sie durch die Tür mitbringen. Wie beispielsweise die über die Jacke, die seit einem halben Jahr an der Garderobe hängt.

Dass ich so einen Protagonisten noch mal erleben darf, hätte ich fast nicht mehr für möglich gehalten. Ein genügsamer Mensch, bei dem alles in Ordnung ist. Capus’ Romanheld lebt in einer glücklichen Ehe, hat drei heranwachsende Söhne, die permanent mit ihren Handys herumspielen, was er eher lustig kommentiert statt sich darüber aufzuregen. Der Barbetreiber und Schriftsteller gleitet mit interessanten Ansichten durch die Nacht und den Tag, rennt mit seiner Handkarre voll Leergut durch die Kleinstadt. Er erinnert mich in seiner Gelassenheit an einen buddhistischen Mönch. Einzig die Menschen um ihn herum geraten leicht in Schieflage. Ein kleiner feiner Nieselregen, der über der Sommerwiese niedergeht. Der große Knall bleibt jedoch aus. Das passt auch nicht zu einer friedlichen Sommerwiese.

Wie man trotzdem ohne wirklichen Konfliktstoff ein Buch mit über 238 Seiten füllen kann, ohne dabei zu ermüden, grenzt an ein Wunder. Das ist Kunst. Das ist Literatur, wie ich sie in der Longlist des Deutschen Buchpreises vermisse. Huch, da ist sie ja wieder. Ich dachte, sie wäre mit dem Wind längst an der See angekommen. Wo ist meine angestrebte Gelassenheit? Gut, bisweilen bin ich doch eine kämpferische Belletristin, die nicht verstehen kann und will, warum in der wichtigen Liste nur ein Favorit auftaucht. Ich kann mich mit meinem Anspruch für schöne Literatur doch nicht derart täuschen?

Nun, warum darüber den Kopf zermatern, wenn ich weiter das lesen kann, was ich möchte? Und schöner noch: Ich kann meine Begeisterung weitertragen, mit meinem ganz persönlichen Siegel. Das ist fantastisch! Das Leben ist gut – ganz genau, lieber Alex Capus.

Schnappen wir uns also die besonderen, kleinen Dinge, die uns glücklich machen. Lassen wir Sachen, die wir nicht ändern können, weiterziehen – bis sie ganz aus unserem Blickfeld verschwunden sind. Oder stecken ihnen die Zunge raus und rufen ganz laut: »Buh!« Das Leben geht weiter, so oder so. Und die Literatur ebenfalls – mit vegetarischen Romanheldinnen und italienischen Freundschaftsgeschichten, die wir fasziniert betrachten oder auch nicht.

***

Seid ihr auf das neue Buch von Alex Capus neugierig geworden? Hier könnt ihr hineinlesen. Wer das Buch gleich kaufen möchte, kann es bei seinem Buchhändler des Vertrauens oder jederzeit bequem von zu Hause aus und portofrei bei Hugendubel.de. Alex Capus: Das Leben ist gut. Hanser, Juli 2016, 238 Seiten, 20,- €.

12 Gedanken zu „Leben und leben lassen – über den Lärm und die Ruhe in der Literatur.

  1. phoenixoftheashes

    Du hast so recht mit dem was du schreibst. Ich hab mir die Longlist noch gar nicht angesehen. Ich bin da um ehrlich zu sein eh nicht so hinter her xD Ich lass mich generell nicht so von solchen Preisen etc. beeinflussen, weil ich finde, man ist selber noch der beste Entscheider und Kritiker und weiß am aller besten was einem gefällt.
    Du hast mir wirklich Lust auf dieses Buch gemacht, ich denke ich werde es mir demnächst mal in der Bücherei ausleihen 🙂

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  2. Masuko13

    Das klingt so ganz nach einem Buch, das ich schon jetzt – ohne es zu kennen – auf der Longlist vermisse.
    Und diese Idee – einfach lesen, um zu lesen – wie traumhaft klingt das denn! Schöne Grüße!

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  3. Nanni

    Hallo,

    ein sehr schöner Beitrag.
    Ich überlege seit Tagen hin und her, ob ich „Die Vegetarierin“ lesen sollte oder nicht. Du hast mir gerade sehr bei meiner Entscheidung geholfen.

    Capus landet direkt auf meiner Wunschliste. Ich mag seine Schreibe sehr gern. „Leon und Louis“ ist für mich einer der schönsten Liebesgeschichten, die ich bisher gelesen habe.

    Viele liebe Grüße
    Nanni

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  4. Blumentorte

    Ich mag nicht nur was, sondern vor allem wie Du Deine Wahrnehmung des Literaturhypes und des Lesens und des Lebens beschreibst. Beides lädt mich ein, das Buch ranzuholen und ein paar einfache, gute Stunden damit zu verbringen.

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