Der Meister und die Männer.

haruki_murakami_von_männern_die_keine_frauen_haben

Haruki Murakami hat es wieder geschafft – er hat mich inspiriert und glücklich gemacht. Wie eine Wölfin schaue ich jetzt in den Nachthimmel und heule voller Leidenschaft den Mond an. Sein neuer Erzählband Von Männern, die keine Frauen haben erinnert mich an einen magischen Vollmond, von dem ich einfach nicht lassen kann. Klare, scheinbar alltägliche Geschichten mischen sich unter verschwommene, die in einem mystischen Glanz erscheinen.

 Ich habe noch keine zwei Seiten gelesen und rufe schon begeistert: „Das ist Murakami!“ „Was genau ist es?“ fragt mich mein Gegenüber neugierig. Ich überlege kurz und sage dann: „Seine unaufgeregte und elegante Schreibweise ist unverkennbar.“ Und natürlich ist da sein Sinn für das Schöne. So besitzt der Protagonist in der Erzählung Drive my car ein gelbes Saab-900-Cabriolet. Welch wunderschönes Auto! Und dann noch in der ungewöhnlichen Farbe! Eben Murakami, der Autor mit Stil und Sinn für die kleinen Feinheiten dieser Welt. Nun, ich kenne ihn nicht privat, aber in seinen Büchern entzücken mich diese Details stets aufs Neue und geben mir ein Gefühl der Verbundenheit. Weniger verbunden fühle ich mit den Männern, die in seinem neuen Erzählband im Mittelpunkt stehen. Unglückliche, liebende, einsame, der Welt entrückte Gestalten. Einerseits verwirren mich manche Protagonisten, andererseits wecken sie meinen Beschützerinstinkt. So unterschiedlich sie in ihrem Wesen sind, so verschieden sind die sieben Erzählungen.

Besonders beeindruckt bin ich von Kinos Bar. Jeder Murakami-Kenner wird sich sofort in dieser Kurzgeschichte heimisch fühlen. Als würde man von einer langen Reise nach Hause kommen. Hier taucht eine bedeutende Katze auf, eine Bar mit Jazzplatten gibt’s ebenfalls, es wird gepflegt Whisky getrunken und – zunehmend unheimlich. Fantastisch und wundervoll magisch! Ich empfehle daher diese Geschichte abends oder nachts zu lesen. Erzeugt sie doch gerade dann eine besondere Aura, die man gerne mit ins Bett nimmt und sich am nächsten Morgen fragt: War das jetzt alles wahr, was ich gestern gelesen habe? Oder nur ein Traum? Ebenso skurril ist Samsa in love. Die Geschichte hätte genauso gut Murakami meets Kafka heißen können. Der Protagonist wacht als Gregor Samsa auf und kann sich an nichts mehr erinnern. Die Vergangenheit ist passé, wie vom Wind weggepustet. Gregor Samsa findet sich auf dem Rücken liegend in einem fremden Zimmer wieder. Das Fenster ist mit Brettern vernagelt und wirft beim Protagonisten Fragen über das unbekannte Terrain wie über sich selbst auf. Wer war er vorher? Was ist passiert? Das frage ich mich als Leserin ebenfalls und folge Gregor unter größter Anstrengung. Mit Schmerzen und ausgehungert geht er nackt durchs Haus. Einzig ein frisch gedeckter Frühstückstisch beweist ihm, dass an diesem Ort bis vor kurzem Menschen gewesen sein müssen. Dann klingelt es plötzlich an der Tür und….

Gewöhnlicher hingegen ist Yesterday. Die Kurzgeschichte erinnert ein wenig an Naokos Lächeln. Dabei handelt es sich um eine klassische Coming of Age Geschichte, der gleichsam etwas Bizarres innewohnt. Kitaru bittet seinen Freund – den Ich-Erzähler – mit seiner Freundin auszugehen. Beide sind schon seit Kindheitstagen zusammen. Jetzt befindet sich sein Freund in einer schwammigen Stimmung. Und kann sich überdies seiner Freundin nicht mit Zärtlichkeiten nähern. Ehe sie mit fremden Männern ausgeht, wäre es ihm lieber, wenn sie es mit seinem Freund täte.

haruki_murakami_von_maennern_die_keine_frauen_haben1

Bewegend liest sich Das eigenständige Organ. Hier verliebt sich ein erfolgreicher Chirurg und Schürzenjäger erstmalig in seine Geliebte. Er schüttet dem Ich-Erzähler sein Herz aus. Was zunächst wie eine ruhige Geschichte beginnt, gewinnt mit zunehmender Handlung an Dramatik.

Einen der schönsten Sätze in dem Buch habe ich in Scheherazade eingefangen: „Frauen schenken uns besondere Momente, in denen sie für uns mitten in der Wirklichkeit die Wirklichkeit außer Kraft setzen.“ Dieser Gedanke entspringt Habara, der Angst davor hat, Scheherazade zu verlieren. Die Frau ist seine „örtliche Kontaktperson“, die man ihm zugewiesen hatte. Warum Harabe das Haus nicht verlassen kann, bleibt ein Geheimnis. Scheherazade kauft für ihn ein, erzählt ihm vielerlei Geschichten und schläft hinterher mit ihm. Sie hatte ihn dazu eingeladen, als würde sie ganz natürlich eine Nachspeise servieren. Die Beschreibung des Geschlechtsakts beschreibt Murakami sehr technisch und hat was von einer Gebrauchsanweisung – fernab von jeglicher Romantik oder irgendwelchen Gefühlen. Aber auch diese Form der Beschreibung dürfte die Fans unter den Lesern nicht überraschen.

Die ersten Erzählungen sind unaufgeregt und von einer Ruhe umschlossen, wie in einem stillen Vakuum. Dadurch könnten sie Gefahr laufen, einige Leser nicht zu überzeugen. Mich füllen sie jedoch in Gänze aus, weil ich das Schlichte mag, nicht zuletzt durch die Dialoge, die großartigen Bilder und kleinen Weisheiten, von denen sich in dem wunderschön gestalteten Erzählband einige finden. Letztere setzt Murakami wie gewohnt mit einer Leichtigkeit in die Schwere seiner Themen, als würde er mir ein Taschentuch reichen, bevor ich weiß, dass ich es brauche.

Am meisten schätze ich die fantastischen Elemente. Wenn sich Fragezeichen nicht auflösen und ich eine dritte Macht zwischen den Buchdeckeln heraufziehen sehe. In den Momenten leuchten meine Augen wie die einer Wölfin in einer Vollmondnacht. So auch in der Titelgeschichte zum Schluss. Sie kommt einem köstlichen Dessert gleich und bildet den krönenden Abschluss dieser Geschichten-Sammlung. Von Männern, die keine Frauen haben windet sich um mein Herz und lässt es nicht los. Ich bin auf besondere Weise berührt und lächle über die leichte übermütige jugendliche Frische, die aus den Zeilen herausblitzen. Murakami lässt mich nicht fallen, viel mehr schwebe ich über seine Sätze, bin verzaubert und erneut von seinem literarischen Schaffen überwältigt.

Dieser Erzählband führt mir erneut vor Augen, dass Haruki Murakami ein großartiger und wandlungsfähiger Schriftsteller ist. Obwohl der japanische Autor in diesem Jahr wieder nicht den Literaturnobelpreis bekommen hat, habe ich ihm diesen längst verliehen. Welcher Autor kann mich sonst so inspirieren und zu einer heulenden Wölfin werden lassen? Und überdies immer wieder derart begeistern?

Haruki Murakami: Von Männern, die keine Frauen haben. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Dumont Buchverlag, Oktober 2014, 254 Seiten, 19,99 €.

Eine weitere schöne Besprechung findet ihr bei Japanische Literatur.

24 Gedanken zu „Der Meister und die Männer.

  1. Pop-Polit

    Hm! Ich habe in meinem Literaturkreis vor einigen Monaten „Die gefährliche Geliebte“ gelesen und war allenfalls mäßg begeistert. Weit weg von irgendeinem Nobelpreis. In den Bloggerkreisen scheint jedoch eine allzu einhellige positive Meinung über Murakami zu herrschen. Muss ich wirklich noch ein zweites Buch von ihm lesen? Lieben Gruß, Gérard

    Like

    Antwort
    1. Klappentexterin Autor

      Hm. Vom Müssen wollen wir mal nicht reden beim Lesen. Ich finde, das klingt dann immer allzu sehr nach Pflicht und das sollte es ja nicht sein. 😉 Habt ihr nicht die neue Ausgabe – Südlich der Grenze, westlich der Sonne – von Die gefährliche Geliebte gelesen? Anders als die Geliebte wurde diese vom Japanischen direkt ins Deutsche übersetzt und hat dadurch wohl noch dazu gewonnen. Ich kenne die neue Ausgabe leider nicht und kann dazu nichts sagen, außer, dass mir die Geliebte seinerzeit sehr gefallen hat. Dieses Buch hat ja nicht nur im Literarischen Quartett für Gesprächsstoff gesorgt und scheint die Leser zu spalten. So überrascht mich deine Meinung dazu nicht. Wenngleich ich es natürlich sehr bedauere, dass dich Murakami nicht begeistern konnte. Schwiegermutter inklusive hier unter uns hat es sehr gut beschrieben: „Bei diesem Schriftsteller gibt es nur lieben oder gar nicht mögen.“ Die Beobachtung mache ich ebenfalls oft. Solltest du dennoch irgendwann nochmal was von ihm lesen wollen, dann vielleicht Mister Aufziehvogel, Kafka am Strand, Afterdark oder Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki. Letzteres konnte übrigens einige Nicht-Murakami-Fans überzeugen.

      Liebe Grüße
      Klappentexterin

      Gefällt 1 Person

      Antwort
    1. Klappentexterin Autor

      Es gibt doch nichts Schöneres als Gleichgesinnte zu treffen! Daher bin ich sehr erfreut und danke für den Satz über Murakami, dem ich nur zustimmen kann. Bei Murakami gibt es wohl nur ganz oder gar nicht.

      Like

      Antwort
  2. dj7o9

    Sehr schöne Rezension! Ein wunderbarer Murakami und meine Lieblingsgeschichte war ebenfalls „Kinos Bar“. Wie Du schreibst, man fühlt sich sofort zu Hause in der Geschichte. Die Bar, die Jazzplatten,die wunderbar melancholische immer unheimlicher werdende Stimmung.
    Wie sehr würde ich mir wünschen diese Kurzgeschichte als Roman zu lesen.
    Für mich hat Murakami den Literatur-Nobelpreis ebenfalls längst bekommen. Es gibt keinen Autor den ich lieber treffen möchte als ihn. Und vermutlich auch keinen bei dem das schwerer umzusetzen ist.

    Seine Bücher sind eigentlich verschreibungspflichtige Suchtmittel 😉

    Like

    Antwort
    1. Klappentexterin Autor

      Ich kann jede Zeile unterstreichen, so ist es! Ja, oder? Das Gleiche habe ich bei Kinos Bar ebenfalls gedacht. Nun vielleicht passiert es ja noch, bei Murakami kann man ja nie wissen. 😉 Noch habe ich die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, Murakami-san irgendwann zu sehen. Das kriegen wir bestimmt nochmal hin. Ganz lieben Dank für deinen schönen Kommentar!

      Like

      Antwort
  3. dasgrauesofa

    Liebe Klappentexterin,
    das erste Bild, mit Burger, Pommes und Bier, ist klasse. Wie gut, dass ich schon gegessen habe, sonst weiß ich nicht, was passiert wäre… – Und mit Deiner Besprechung erinnerst Du mich schmerzlich, dass ich noch nicht einmal zu dem farblosen Herr Tazaki gekomen bin, der steht nun schon fast ein Jahr im Regal. So kann ich gar nicht mitreden über den Autor – habe aber durch Deine Besprechung wieder den sanften Schubs bekommen, mich endlich einmal Herrn Murakami zuzuwenden.
    Viele Grüße, Claudia

    Like

    Antwort
    1. Klappentexterin Autor

      Liebe Claudia,
      macht nichts, du weißt doch, für jedes Buch gibt es seine Zeit. Außerdem ist es gerade für uns nicht leicht, immer wieder kommen neue Bücher dazwischen und man muss den Leseplan umdisponieren. Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt, was du zu Murakamis Welt schreibst.

      Viele Grüße
      Klappentexterin

      Gefällt 1 Person

      Antwort
      1. madameflamusse

        Mhh ich hatte mich sehr auf Kafka am Strand gefreut und fand es einfach nur schrecklich. Mein Lieblingsbuch wird immer Die Wilde Schafsjagd bleiben, vermute ich. Die Kurzgeschichten mag ich, und Hardboiled Wonderland, auch Naokos Lächeln war ok. Afterdark hab ich noch hier, ungelesen. Und Mr. aufziehvogel mag ich 🙂

        Like

  4. fraeuleinimmerglueck

    Vielen Dank für die tolle Rezension – als großer Murakami-Fan habe ich das Buch schon mal auf meinen Weihnachtswunschzettel gesetzt und freue mich jetzt noch mehr aufs Lesen (bzw. hoffe, dass der Weihnachtsmann es vorbei bringt). Die Fotos sind echt toll, vor allem das erste!
    Liebe Grüße
    Verena

    Like

    Antwort
    1. Klappentexterin Autor

      Liebe Verena, ganz herzlichen Dank! Noch ein Murakami-Fan an dieser Stelle, das macht mich sehr froh! Genauso wie die Tatsache, dass das Buch schon auf dem Weihnachtswunschzettel steht. Ich drücke beide Daumen, dass es der Weihnachtsmann mitbringt.

      Liebe Grüße
      Klappentexterin

      Gefällt 1 Person

      Antwort
  5. Pingback: Goodbye 2014! | Klappentexterin

  6. Pingback: Neue Lieblinge im Taschenformat! | Klappentexterin

Hinterlasse einen Kommentar