Wie feiner Sand rieseln die Gedichte von Sylvia Plath in mein Bewusstsein. Sichtbar und doch nicht greifbar. Manche schauen mir direkt ins Gesicht, andere verbergen sich hinter einem zarten Schleier und warten darauf, dass ich mich hineinfühle. So habe ich den wunderschön gestalteten Lyrikband Übers Wassers / Crossing the Water aus dem „Luxbooks Verlag“ im Zeitlupentempo gelesen, bin nach vorn gesprungen und wieder zurückgehüpft, als stünde ich auf kleinen Steinen mitten im Meer. In den Händen den Sand und auf meinem Kopf den Mondschein.
Bislang habe ich von Sylvia Plath nur ihre persönlichen Tagebuchaufzeichnungen, ihren Roman Die Glasglocke und den Erzählband Zungen aus Stein gelesen. Seit ich in ihre Welt getaucht bin, fühlte ich eine Verbundenheit, die ich 2012 anlässlich ihres 80. Geburtstag hier zum Ausdruck gebracht habe. Eine unentdeckte, literarische Landschaft war für mich bis jetzt ihre Lyriksammlung. Als beim „Luxbooks Verlag“ Übers Wasser / Crossing the Water erschien, wurde ich neugierig. Und noch mehr, nachdem ich las, dass diese Gedichte nach über 40 Jahren nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorliegen. Übersetzt hat sie Judith Zander, deren Romandebüt Dinge, die wir heute sagten mich beeindruckt hatte. Und genau dieses Viereck rief nach mir wie eine Sirene auf offener See.
In dem Band finden sich 34 Gedichte, die zwischen 1961 und 1962 erstanden sind. Das Besondere an der Ausgabe ist – neben der liebevollen Gestaltung und der Faszination der Gedichte – das Layout. Links steht der Originaltext, rechts die deutsche Übersetzung. Einige Gedichte erstrecken sich über mehrere Seiten, andere sind nur ein paar Zeilen kurz. Vielschichtig sind sie alle, doch in einem gleichen sich die Gedichte: Sie sind unglaublich poetisch, seidenfeine Silben, die oft dunkle Bilder aus den Tiefen der Seele herauf beschwören wie bei „Übers Wasser“: „Schwarzer See, schwarzes Boot, zwei schwarze Scherenschnitt-Menschen. / Wohin führen die schwarze Bäume, die hier trinken? / Ihre Schatten müssen ganz Kanada bedecken.“ Bevor mich die Lyrikerin mitzieht in die Düsternis des Sees, lässt sie mich am Ende aufatmen: „Sterne öffnen sich zwischen den Seerosen. / Bist du nicht geblendet von solchen tonlosen Sirenen? / Dies ist die Stille erstaunter Seelen.“ Wie eine Katze streift mich die Hoffnung ganz zart und ich lächle leise in mich hinein. So empfinde ich viele Gedichte, die mich erst tief fallen lassen und mich dann doch sanft auffangen. Sylvia Plath öffnet nicht nur ihre Seele, auch die Natur leuchtet in äußerst schöner Form, wobei die Naturbilder den inneren Prozess der Autorin widerspiegeln. Beispielsweise im „Fasan“: „Durch das Gras auf dem Ulmenhügel, es steht hoch. / Es ist schon etwas, wenn man einen Fasan hat, / Oder überhaupt nur Besuch.“ In „Vorahnungen“ verwandelt sich der Himmel in eine Wand, an der die Sonne zerfließt. Und nur eine Strophe weiter heißt es: „Eine graue Wand jetzt, zerkrallt und blutig. / Führt kein Weg aus dem Kopf heraus?“
Mond, Sterne und Wasser sind stets wiederkehrende Elemente. Vom Mond geht eine magische Anziehung aus und nicht zuletzt sind es die vielen Bilder, die Sylvia Plath mit der Kraft ihrer Worte hervorzaubert. In „Schlafloser“ hat er „eine Schnabelöffnung“, in „Übernachten in der Mojave-Wüste“ leuchtet er am Tag „wie eine bedauernde Mutter“ und in „Nach Mitternacht“ legt der Mond „mir eine Hand auf die Stirn“. Der Mond ist in seiner Funktion zurückhaltend und schön anzusehen. So tauche ich in sein kaltes Licht und werde nicht müde, darin zu schwimmen.
Die Gedichte sind weich in ihren Worten und oft schwer in der Bedeutung. Durch diesen Kontrast entsteht eine Wechselbeziehung, wie zwischen Tag und Nacht. Das Offensichtliche huscht über das Versteckte und legt Geheimnisse frei, die sich manchmal nur erahnen lassen und mich an sanfte Flügelschläge eines Schmetterlings erinnern. In einigen Gedichten erhasche ich Momentaufnahmen und andere offenbaren lang gehegtes Gedankengut, das sich in der Versform ausstrecken und nach Luft schnappen will. Auf kleinem Raum erschafft die Lyrikerin große Welten und hinterlässt in meinem Ohr ein zartes Echo, das noch lange nachhallt. Sie erzählt davon, wie sich Schlaflosigkeit anfühlt, nimmt mich mit ans Krankenbett, blendet mir das beißende Licht in die Augen. Und dann wieder liegen wir am Strand, den Himmel über uns und das Meer im Ohr. Es ist abwechselnd dunkel, kalt, hoffnungslos und dann wieder hell, leuchtend und einfach nur schön.
Sylvia Plath: Übers Wasser / Crossing the Water. Aus dem Englischen von Judith Zander. „Luxbooks Verlag“, September 2013, 140 Seiten, 22,80 €. Ihr könnt das Buch jetzt und sofort bei ocelot.de bestellen.
Liebe Klappentexterin,
das Lyrikband von Sylvia Plath habe ich noch nicht gelesen, auch nicht ihren Roman „Die Glasglocke“. Des Dichters Kunst ist es, bei jedem die unterschiedlichsten Emotionen hervorzurufen. Weil jeder die Verse anders liest und anders sieht. Das ist für mich die Spannung in jedem Gedicht und in jeder Diskussion. Deine Besprechung gefällt mir sehr. 😉 „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ – auf meinem Nachttisch der großartige Hermann Hesse, mein Dauergast. Und neben ihm? …. da ist noch Platz.
Liebe Grüße,
Tanja
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Hat dies auf DUNKELROT Blog rebloggt und kommentierte:
sehr sehr schöner Beitrag.
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