Wie ihr wisst, bin ich eine große Freundin des internationalen literaturfestivals berlin (ilb). So beglückt ich über das Programm bin, so neugierig bin ich auch. Deshalb habe ich den ilb-Programmleiter, Thomas Böhm, interviewt, um einen Blick hinter die Kulissen zu erhaschen. Herausgekommen ist ein sehr interessantes Interview, das ich heute pünktlich zur Eröffnung des ilb veröffentliche. Wer weitere Informationen über das ilb sucht, wird entweder bei mir hier fündig oder dort auf der Homepage des ilb.
© ilb / Programmleiter Thomas Böhm
Klappentexterin: Zunächst ein großes Kompliment von mir für das vielseitige Programm, das Sie gemeinsam mit Ihren Kollegen und Kolleginnen erneut auf die Beine gestellt haben. Wie ist das internationale literaturfestival berlin (ilb) eigentlich entstanden?
Thomas Böhm: Ulrich Schreiber war 1998 beim Poetenfest in Erlangen. Und er fragte sich: warum gibt es eigentlich kein Literaturfestival, das von seiner Internationalität, seiner Vielfalt, seiner Größe der Metropole Berlin entspricht. Als Antwort darauf hat er es gegründet und gegen viele Widrigkeiten durchgesetzt.
Wann und wie entwickeln Sie das Festivalprogramm? (Sitzen Sie alle gemeinsam zusammen und überlegen sich, wen Sie einladen wollen?)
Es gibt im Grunde genommen vier Quellen. Zum einen haben wir eine Liste von AutorInnen, die wir immer mal beim Festival haben wollten. Die kriegen jedes Jahr eine Einladung. Und manchmal passt es. Letztes Jahr Rushdie und Nobelpreisträger Coetzee, dieses Jahr bei Junot Diaz. Dann gibt es die AutorInnen, die Ulrich Schreiber kennenlernt, wenn er die internationalen Literaturfestivals auf der ganzen Welt besucht. Viele der AutorInnen, die er da entdeckt, sind noch nicht ins Deutsche übersetzt, haben beim ilb ihren ersten Europaauftritt. Das hat uns den Ruf eines Entdeckerfestivals eingebracht.
Schließlich – und dann sitzen wir tatsächlich um einen Tisch – gibt es Projekte, die wir entwickeln. In diesem Jahr zum Thema „Vertrauen“ und „Computerspiele und Literatur“.
Und ebenso wichtig sind dann die Gespräche mit den Verlagen auf den Buchmessen. Dort erfahren wir, welche Bücher im Herbst erscheinen – und wählen dann aus. Dabei haben wir das Glück, dass wir oft die erste Lesung – die Deutschland oder gar Weltpremiere eines Buches veranstalten können. Das wiederum hat uns den Titel „Berlinale der Bücher“ eingetragen.
Wie viele Mitarbeiter arbeiten für das ilb?
Das schwankt natürlich: im Winter um die zehn, zu Festivalzeiten 50.
Wie ist die Zusammenarbeit mit den Verlagen? Bekommen Sie Vorschläge oder gehen Sie direkt auf die Verlage zu?
Beides. Wir besuchen die Verlage auf den Messen, dann sprechen wir deren Programme durch. Aber manchmal kommt AutorInnen, die grade keine Neuerscheinung haben nach Deutschland, um an einem Kongress teilzunehmen oder aus anderen Gründen. Dann rufen uns die Verlage an und fragen, ob wir die Gelegenheit nicht zu einer Lesung nutzen wollen. Man könnte sagen: Wir sind mit den Verlagen in ständigem Kontakt.
Wie ist das so, mit Autoren und Autorinnen aus der ganzen Welt zusammen zu sitzen?
Berauschend. Denn man bekommt ja über die Medien nur ein sehr eingeschränktes Bild von der Welt. Menschen aus vielen Ländern persönlich kennenzulernen – noch dazu Menschen, die das gleiche lieben wie wir: die Literatur – das ist ein sehr beglückendes Gefühl. Man erfährt die Literatur als Brücke zwischen den Kulturen. Man spricht über Bücher, die man gelesen hat. Man bekommt Hinweise auf zu Entdeckendes. Und man kann auf dieser Grundlage über viele andere Themen sprechen: Politik, Religion, Kultur.
Haben Sie dabei Lampenfieber?
Wenig. Und nur deshalb, weil wir ja möchten, dass alles klappt – weil wir möchten, dass unsere Gäste einen gelungenen Auftritt haben. Aber nach 13 Jahren mit tausenden von Gästen und allen möglichen Situationen ist das Lampenfieber viel kleiner als die Vorfreude.
Namhafte Autoren und Autorinnen kosten Geld. Wie finanziert sich das ilb?
Wir bekommen einen Zuschuss vom Hauptstadtkulturfonds. Wir müssen insbesondere für große Projekte Mittel einwerben: bei Ministerien, bei der EU, bei Stiftungen. Das gelingt aber eigentlich ganz gut. Weil wir wie kaum eine andere Institution Projekte mit einer großen Internationalität entwickeln können. Wir haben eben gewachsene Netzwerke auf der ganzen Welt. In diesem Jahr können wir im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2014 – Die digitale Gesellschaft ein Projekt zum Thema „Computerspiele und Literatur“ realisieren, zu dem auch ein Buch erscheint. Zudem arbeiten wir mit den Verlagen zusammen und den in Berlin ansässigen Botschaften und ausländischen Kulturinstitutionen. Und so kommt der Etat jedes Jahr aus größeren und kleineren Beträgen zusammen, insgesamt 650.000 – 700.00 Euro. Für in diesem Jahr 300 Veranstaltungen mit 152 AutorInnen aus 58 Ländern.
Welchen Herausforderungen müssen Sie sich obendrein regelmäßig stellen?
Die Herausforderung – neben der organisatorischen: AutorInnen aus so vielen Ländern nach Berlin zu bringen; Sie glauben nicht, was es da z.B. für Visumsprobleme zu lösen gibt. Da merkt man, was es bedeutet, wenn von der „Festung Europa“ die Rede ist. Wenn einem als Nobelpreisträger gehandeltem afrikanischem Autor das Visum verweigert wird…
Die Herausforderung neben all dem ist vor allem eine: aus dem vorzustellenden Buch heraus eine gute Veranstaltung zu entwickeln. Was soll gelesen werden, über welche Themen soll gesprochen werden. Wie wird übersetzt? So braucht jede Veranstaltung eine Detailplanung – und das ist auch eine große Herausforderung.
Gibt es ein Erlebnis, an das Sie sich besonders gern erinnern?
Ganz viele. Aber eines besonders. Beim letzten Festival hatten wir den Aboriginee-Autor Herb Wharton zu Gast. Ich war mit ihm essen. In einem schönen, nicht teuren Restaurant. Die einzigen Gäste außer uns waren Hape Kerkeling mit zwei Freunden und Joschka Fischer. Ich wollte ansetzen, Herb zu erklären, wer die beiden sind. Plötzlich dachte ich: Das interessiert ihn doch gar nicht. Die beiden sind aus seiner Perspektive unwichtig. Das war eine gute Relatvierungserfahrung. Und die mache ich immer wieder beim Festival: mit jemanden zu sprechen, seine Bücher zu lesen, der aus einer anderen Kultur stammt, lässt einen die Welt mit anderen Augen sehen.
Der Job als Programmleiter des ilb ist eine bedeutende Aufgabe. Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit besonders?
Stellen Sie sich vor: Sie lesen ein Buch, das Ihnen besonders gut gefällt. Und nun haben Sie die Möglichkeit, die Autorin oder den Autor einzuladen. Eine Veranstaltung mit ihm oder ihr zu machen. Ein Gespräch über dieses Buch zu führen. Da hat gar nichts mit „Bedeutung“ zu tun – es ist eigentlich die Verlängerung des Traumes, der Faszination des Lesens, die bei mir wie bei so vielen in der Jugend angefangen hat. Wenn ich an meiner Arbeit etwas besonders schätze, dann das: Dass Lesen mein Beruf geworden ist.
Wie sieht ein gewöhnlicher Arbeitstag bei Ihnen aus?
8.30 Uhr Uhr Lesen in der Bahn
9.30 Uhr Kaffeetrinken in der Nähe des Büros – dabei lesen
10.00 Uhr Büro: Mails und Besprechungen
17.00 Uhr Rückfahrt in der Bahn. Lesen
21.00 Uhr Abends: Manchmal Lesungen; ansonsten vor allem: Lesen.
Und wie sieht ein Festival-Arbeitstag aus?
1. Frühstücken mit Autoren
2. Einleitung / Moderation in Vormittagsveranstaltungen
3. Mails / Besprechungen zum laufenden Programm
4. Interviews / Pressearbeit zum Programm
5. Moderationen / Einleitungen zu Nachmittags- und Abendveranstaltungen
6. Gespräche, Gespräche, Gespräche
7. Troubleshooting bei Veranstaltungen
Und das alles durcheinander.
Auf welche Veranstaltungen sind Sie in diesem Jahr außerordentlich gespannt?
Auf eine: www.literaturfestival.com
Die Klappentexterin dankt Thomas Böhm für das Interview und wünscht weiterhin viel Erfolg sowie ein schönes Festival!
Moin Moin aus Hamburg! Beim Frühstück wäre ich gerne dabei, ebenso beim sechsten Punkt. Mit diesem interessanten Interview, bekommt man einen kleinen Blick hinter die Kulisse. Schön! Ich habe mir gerade das Programmheft durchgelesen, da wird der Kalender bei einigen sicherlich rappelvoll sein. Ich wünsche dir liebe Klappentexterin und allen Besuchern viel Spaß beim ilb. In Hamburg gehts auch bald … auf die Plätze fertig los…! Jawoll! 🙂
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