Ein Regenbogen von Buch.

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Fast hätte ich „Die Interessanten“ von Meg Wolitzer verpasst. Und das wäre ein großer Verlust gewesen. Denn dieser Roman schlägt zwar nicht kometenartig ein, aber er entfaltet sich mit jeder Seite, bis er im Kopf sitzt und dort auf angenehme Weise kitzelt. „Die Interessanten“ ist wie ein guter Wein, der Luft braucht, um sein volles Aroma zu verströmen. Wenn man dem Roman mit Geduld entgegentritt, erlebt man ein großes Wunder der aktuellen zeitgenössischen Literatur.

Schon das regenbogenfarbene Cover des Buches lässt vermuten, dass hier viel buntes, aufregendes Leben im Spiel sein muss. Und das ist es wahrhaftig. Die amerikanische Autorin Meg Wolitzer versieht ihren Roman mit spannenden Themen. Sie erzählt von Freundschaften, der amerikanischen Gesellschaft und kreativen Köpfen genauso wie von Menschen, die Träume haben, sich suchen und verlieren. Es ist keine schöne, heile Welt, die sie erbaut hat. Auf den über 600 Seiten findet sich das Leben mit seinen Höhen und Tiefen, mit den vermeintlich Gewinnern und Verlierern.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Ash, Jules, Ethan, Goodman, Cathy und Jonah – alle begegnen sich in einem Sommercamp. Eines Abends finden sie sich im Jungen-Tipi Nummer drei ein, und genau hier wird der Grundstein der besonderen Verbindung untereinander gelegt. Julie, noch heißt sie so, kann es nicht glauben, in diesen Kreis aufgenommen zu werden. Hat sie sich bislang immer „völlig falsch gefühlt“. Noch dazu kommt sie im Vergleich zu den anderen aus einem ziemlich normalen und nicht besonders gut situierten Elternhaus. Ein Stipendium hat ihr den Aufenthalt in dem Camp ermöglicht. Nach dem Tod ihres Vaters hat sich Julie entschlossen, dem Gefühl einer Leere zu entfliehen und Abwechslung zu suchen. Die findet sie bei ihren neuen Freunden, dort kommt sie aus sich heraus und vergisst zum Beispiel, dass sie leicht rot wird. Julie unterhält die anderen mit ihrem Witz und verwandelt sich bald von der schüchternen Julie zur selbstbewussten Jules. Der „grobschlächtige, ungewöhnlich hässliche Ethan“ hat sofort sein Herz an der jungen Frau verloren. Nachdem die Runde von der Weblehrerin und Rettungsschwimmerin aufgelöst wird, nimmt Ethan Jules mit in den Trickfilmschuppen. Dort zeigt er ihr seinen Film, von dem sie angetan ist. Und als Leserin ahne ich, es ist nur eine Frage der Zeit, bis das junge Talent entdeckt wird.

Jahre später gibt es immer noch den inneren Kern: Ash, Ethan, Jules und Jonah, die alle in New York leben. Obwohl jeder seinen eigenen Weg geht, hat das Band nichts von seiner Festigkeit verloren. Doch es gibt Reibungspunkte, die Meg Wolitzer aufdeckt. Das macht sie auf so feinfühlige und kluge Weise, dass ich leuchte. Ich bekomme Gänsehaut bei der besonderen Freundschaft zwischen Jules, Ash und Ethan. Trotz der unterschiedlichen Lebenssituationen bleiben sie Freunde. Ash und Ethan sind wohlhabend, während Jules mit ihrem depressiven Mann kaum Geld zur Verfügung hat. Sie hat zunehmend Zweifel, ob sie noch zu Ash und Ethan gehören darf. Während Jules mit ihrem Mann Dennis ein bescheidenes Dasein fristet, blickt sie immer wieder mit Neid auf ihre Freunde, zerfleischt sich selbst und sagt irgendwann den weisen Satz: „Ich habe immer gedacht, Talent sei alles, dabei war es immer schon das Geld. Oder die Gesellschaftsschicht. Und wenn nicht die, dann zumindest die Verbindungen.“ Dagegen fliegt Ethan mit geradezu unverschämter Leichtigkeit durchs Leben. Er teilt seinen Erfolg gern mit den Freunden, lädt sie zum Essen oder zu Reisen ein. Und das nagt an Jules.

„Die Interessanten“ ist eines jener Bücher, bei denen man staunend aufschaut. Die Haut kribbelt, als hätte man sie mit Brausepulver bestrichen. Meg Wolitzer kriecht unter die Oberfläche und führt uns in die Tiefen ihrer Protagonisten. Ich sehe Zweifel, atme Hoffnung, schmecke Liebe und trinke Tränen. War ich zu Beginn der Lektüre eine ausgeschlossene Fremde, wurde ich im Verlauf des Romans ein Teil der Protagonisten. Das ist das Wunderschöne und Ergreifende an diesem sehr menschlichen Roman. Aus fremden Romangestalten werden vertraute Freunde. Ich sitze bei Jules, Ethan, Ash und Jonah, lausche ihrem Alltag, leide mit ihnen und fühle ihre freundschaftliche Wärme bis in meine Fingerspitzen. Ich begleite sie und bin am Ende schon ein wenig wehmütig zu sehen, dass nur zwei aus der Gruppe ihrem Talent treu geblieben sind und davon leben können.

Doch nicht nur die besondere Freundschaft erzeugt ein spannendes Vibrieren zwischen meinen Augen und dem Buch. Die Geschichte beginnt Mitte der Siebziger Jahre und endet in unserem Jahrtausend. Auf diese Weise zeichnet die Autorin ein sehr spannendes Porträt der USA. Sie zeigt mir ein New York, das sich wandelt und nach am 11. September 2011 tief verwundet wird. Obendrauf noch ein Milliardär als Bürgermeister! Die Mieten steigen und normal verdienende Bürger müssen aus der City weichen, weil sie sich die Wohnungen nicht mehr leisten können. Und noch ein anderes Beispiel, nicht nur auf New York begrenzt: Die Krankenkassen geizen mit dem Geld und können so den Patienten keine ausreichenden Therapien ermöglichen. Stattdessen schlucken die Menschen Antidepressiva und füttern so die Pharmaindustrie. Ich könnte noch weiterschreiben und muss mich jetzt bremsen. Schließlich will ich ja, dass ihr in dieses bunte Buch steigt und wie ich am Ende mit einem Leuchten wieder herauskommt. „Die Interessanten“ ist eine Bereicherung, die sich wie ein bunter Regenbogenschal um meinen Hals schmiegt und lange noch sichtbar bleiben wird.

Meg Wolitzer: Die Interessanten. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. DuMont Verlag, August 2014, 606 Seiten, 22,99 €. Jetzt direkt und portofrei bei ocelot.de bestellen oder das eBook für 18,99 € downloaden.

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10 Gedanken zu „Ein Regenbogen von Buch.

  1. lesesilly

    Liegt schon bei meiner Buchhändlerin für mich bereit. Muss es nur noch abholen und dann kann es losgehen. Freue mich schon darauf, vor allem nach dieser tollen Rezension.
    LG
    lesesilly

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