Jan Costin Wagner über Stille.

Wie im Vorfeld angekündigt, kommt heute Jan Costin Wagner bei mir zu Wort. Der 1972 geborene Autor lebt als freier Schriftsteller und Musiker bei Frankfurt am Main und in Finnland. Für seine Romane, die in 14 Sprachen übersetzt worden sind, wurde er vielfach (Deutscher Krimipreis, Nominierung für den Los Angeles Times Book Prize) ausgezeichnet. Das Schweigen wurde 2010 fürs Kino verfilmt. Tage des letzten Schnees ist der fünfte Fall mit dem Ermittler Kimmo Joentaa.
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Klappentexterin: In Ihrem aktuellen Buch finde ich wundervolle Stille. Daher meine erste Frage: Haben Sie ein besonderes Verhältnis zur Stille?
Jan Costin Wagner: Es gibt eine Stelle im Roman, an der einer der Protagonisten unter dem Eindruck extremer Ereignisse erkennt, dass er die „Sprache des Schweigens“ erlernen muss, um weiterleben zu können. Das korrespondiert mit meinem Schreiben, denke ich. Ich suche immer diesen Punkt, diesen Moment, in dem aus der Stille heraus etwas Grundlegendes begreiflich wird – für mich und hoffentlich auch für den Leser.

Schreiben Sie in vollkommener Stille?
Wichtig ist nicht, dass eine äußerliche Ruhe herrscht, wenn ich schreibe, sondern dass ich innerlich beruhigt bin. Wenn also meine Tochter durchs Zimmer rennt und hüpft, stört mich das gar nicht, es macht mich eher glücklich und gibt mir diese innere Ruhe. Und grundsätzlich möchte ich ja schreibend in die Romanwelt gelangen, auch deshalb muss das, was außen ist, letztlich irrelevant sein. Ebenso wie es später – hoffentlich – für den Leser nicht wichtig sein wird, was um ihn herum ist, er möchte, wenn er die Lektüre intensiv erlebt, in der Romanwelt verweilen.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob „Tage des letzten Schnees“ mehr Krimi oder Roman ist. Was sagt der Autor dazu?
Für mich sind Kategorisierungen unwichtig, wichtig ist mir, ob im Leser ein Nerv getroffen wird, ob etwas bleibt, Gedanken, Emotionen, prägende Bilder, im schönsten Fall genau die, die mich veranlasst haben, den Roman zu schreiben.

Ihre Sprache verströmt eine wunderschöne Form von Melancholie und lässt mich automatisch an eine Melodie denken. Mit welchem Instrument würden Sie diese Stimmung wiedergeben?
Sicher mit dem Klavier, denn es ist das einzige Instrument, das ich spielen kann. Ich spiele auch tatsächlich bei vielen meiner Lesungen eigene Stücke, die viel mit den Romanen zu tun haben. Weil ich natürlich immer ähnliche Themen und Gedanken zum Ausdruck bringe, sei es schreibend oder in der Musik.

Welche Bedeutung hat der Schnee für Sie in Ihrem Buch? Oder ist der Schnee einfach nur ein stimmungsvolles Mittel?
Die „Tage des letzten Schnees“ bilden eine Klammer, die den Roman bindet. Schnee im ersten Kapitel, am ersten Mai, und Schnee im letzten Kapitel, am ersten September. Das sind selbst in Finnland Tage, an denen mit Schnee eigentlich nicht zu rechnen ist, und das wiederum korrespondiert damit, dass in der Zeit zwischen Mai und September für die Protagonisten des Romans die Welt aus den Fugen gerät. Und die perfekte Form eines Schneekristalls ist in gewisser Weise das Bild, nach dem alle Protagonisten des Romans zu greifen versuchen.

Ich habe Ihren Kommissar zum ersten Mal kennengelernt. Wann ist Ihnen Kimmo Joentaa begegnet?
Im Jahr 2001, als ich begann, den ersten Roman „Eismond“ zu schreiben. Ich wollte einen jungen Mann in Sprache bringen, der den Tod des geliebten Menschen verkraften muss. Kimmos Frau Sanna stirbt im Alter von 25 Jahren an Krebs. Ich wollte eine Sprache dafür finden, wir er diesen Verlust erlebt und vor allem dafür, wie er seinen eigenen Weg findet, den Verlust zu bewältigen. Was ich an Kimmo mag, ist, dass er aus dem Verlust, aus seiner eigenen Traurigkeit, die Kraft schöpft, anderen zu helfen, für sie da zu sein, ihnen zuzuhören.

Ihre zweite Heimat ist Finnland. Was hat Sie nach Finnland gezogen?
Meine Frau, die ich 1992 während einer Interrail-Reise kennengelernt habe. Ich war mit Freunden unterwegs, sie mit einer Freundin, getroffen haben wir uns in Frankreich.

Finnland ist in diesem Jahr das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Haben Sie einen finnischen Autor oder finnische Autorin, den/die Sie mir empfehlen können?
Im Moment lese ich „Fegefeuer“ von Sofi Oksanen. Ich habe sie mal während der Buchmesse kennengelernt, wir haben ein schönes, intensives Gespräch geführt. Ich bin noch am Anfang des Romans, aber im Gespräch mochte ich ihre Kompromisslosigkeit und Ernsthaftigkeit.

Zu guter Letzt interessiert mich natürlich noch folgende Frage: Wird es einen weiteren Band mit Kimmo Joentaa geben?
Das hoffe ich, aber ich weiß noch nicht, wann der richtige Zeitpunkt sein wird. Das weiß Kimmo vermutlich besser als ich, und ich denke, dass er nach dem Roman „Tage des letzten Schnees“, den ich in mehrfacher Hinsicht als Schlüsselroman empfinde, ein wenig Ruhe verdient hat. Wenn ich den letzten Satz eines Romans geschrieben habe, ist für mich immer etwas abgeschlossen, und ich brauche dann erst mal Zeit, bevor ich neu beginnen kann.

Die Klappentexterin dankt Jan Costin Wagner für das Interview und wünscht ihm weiterhin viel Erfolg!

Falls ihr noch mehr über Jan Costin Wagner erfahren wollt, dann schaut mal hier vorbei. Dort geht’s direkt zur Autorenseite.

4 Gedanken zu „Jan Costin Wagner über Stille.

  1. masuko13

    ich finde immer ganz spannend, zu wissen, was für ein Autor eigentlich hinter der Story steht, die mich gerade so fasziniert. Danke, dass du uns Jan Costin so nahe gebracht hast!!! Gleich bekomme ich Lust, „Eismond“ wieder zu lesen, den ersten Fall mit Kimmo. Wie fing eigentlich alles an?
    Schöne Grüße

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