Hans-Christian Oeser über die Kunst des Übersetzens.

Kürzlich hatte ich euch von dem wunderschönen Mark Twain-Abend berichtet. Zu meinem Glück konnte ich Hans-Christian Oeser für ein Interview gewinnen. Er hat die große Aufgabe auf sich genommen und „Meine geheime Autobiographie“ von Mark Twain ins Deutsche übersetzt.

                                          Foto: privat.
Hans-Christian Oeser wurde 1950 in Wiesbaden geboren. Er ist freier literarischer Übersetzer, Herausgeber, Reisebuchautor, Publizist, Redakteur, Korrektor und Sprecher. Hans-Christian Oeser wurde mit dem Europäischen Übersetzerpreis Aristeion für Der Schlächterbursche von Patrick McCabe (1997) ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in Berlin und Dublin.

Klappentexterin: Wie fühlt es sich für Sie an, ein Werk wie die Autobiographie von Mark Twain übersetzen zu dürfen?
Hans-Christian Oeser: Dies war kein Übersetzungsauftrag wie jeder andere, einmal der schieren Textmasse wegen (die deutsche Version umfasst mehr als 900 Normseiten!), aber auch, weil es sich um einen Klassiker handelt, und dazu noch um einen, der wunderbar schreiben – oder wie im vorliegenden Fall –diktieren kann. Als Übersetzer hat man häufig ein angespanntes Verhältnis zu dem Werk, das es zu übertragen gilt. Diese Ambivalenz kann sich, zumindest für die Dauer des Arbeitsprozesses, bis zur Haßliebe steigern. Dann wirft man dem Autor – natürlich in völliger Überschätzung der eigenen Möglichkeiten – mangelhafte Sprachbeherrschung, mangelnde Stilsicherheit, mangelnde Gestaltungskraft vor, denn man ist ja sein genauester Leser und, was das Sprachliche betrifft, sein intimster Kenner. Dieser kritische Blick hat damit zu tun, dass man sich an widerständigem Material abarbeiten muß, dass sich etwaige Schwächen des Originals, ja die Unzulänglichkeit der Sprache, in der es verfaßt ist, voll und ganz erst im Akt des Überführens in eine andere, ebenso unzulängliche Sprache offenbaren, vom eigenen Ungenügen einmal abgesehen. Die Übersetzung der Autobiographie hingegen war eine beglückende Erfahrung. Die Treffsicherheit des Ausdrucks noch in der mündlichen Rede – denn dieses letzte Werk Mark Twains basiert zum allergrößen Teil auf Diktaten –, die Souveränität der Stoffbeherrschung, der lange erzählerische Atem hat mir mit jedem Wort, mit jedem Satz mehr Bewunderung abgenötigt.

Wie lange waren Sie mit der Übersetzung beschäftigt?
Etwa sechs bis sieben Monate, allerdings unterbrochen von der Arbeit an anderen Büchern, darunter etwas zu „Lenin und die Philosophie“. Neun Monate wären angemessener gewesen.

Welchen besonderen Herausforderungen mussten Sie sich stellen?
Mark Twains Autobiographie ist ein Panorama, ein Potpourri, ein Sammelsurium, ein Bilderbogen. Das liegt nicht nur daran, daß ihr vorherrschendes Strukturprinzip die Abschweifung ist, sondern auch daran, daß der Autor in den breiten Strom der Erinnerung die unterschiedlichsten „Textsorten“ einstreut: Telegramm, Brief, Zeitungsmeldung, Vortrag, Tagebuch, Gedicht, redigiertes Manuskript, eine töchterliche Biographie mit Rechtschreibfehlern etc. Im Grunde müßte man von einer Collage sprechen. Stilistisch war also eine gewisse Wendigkeit gefordert. Da ich ein sturer Kopf bin, hat mir das am meisten Schwierigkeiten bereitet.

Wie vertrauter ist Ihnen Mark Twain jetzt nach dieser Arbeit?
Ich war kein Mark Twain-Spezialist und bin auch jetzt keiner. Aber natürlich habe ich, gerade weil der Autor, wie ein Freund ihm schrieb, „nackter als Adam und Eva zusammengenommen“ ist, Einblicke in sein inneres und äußeres Leben nehmen können, die mir vorher nicht vergönnt waren. Wer weiß, hätte ich das Buch nicht übersetzt, hätte ich es womöglich nie gelesen! So aber bin ich hineingezogen worden in eine pralle Selberlebensbeschreibung, die Privates und Persönliches mit Öffentlichem und Politischem kombiniert, die Ernst und Witz, Kritik und Humor verknüpft, die immer kurzweilig, immer tiefschürfend, immer wahrhaftig ist. Besonders anrührend waren für mich die Episoden, in denen der Vater in den Vordergrund tritt, der spielende Vater, der erzählende Vater, der seine Tochter Susy zitierende Vater, der um seine Tochter Susy trauernde Vater.

Haben Sie von Mark Twain ein Lieblingsbuch?
Ich schätze sehr den „Bummel durch Europa“ und nehme mir als nächstes die Spätwerke „Was ist der Mensch?“ und „Briefe von der Erde“ vor.

Wie kann ich mir Ihre Arbeit als Übersetzer vorstellen?

Plackerei von morgens bis abends. Eintauchen in fremde Welten. Im Dienste des Anderen stehen. Freude über das treffende Wort, die gelungene Satzperiode, den musikalischen Klang. Haareraufen, wenn all dies sich nicht einstellen will. Unzufriedenheit über niedrige Honorarsätze. Zufriedenheit über ein kleines Lob in einer kleinen Zeitung.

Wie wird man Übersetzer?
Durch Liebe zur Sprache (zur fremden und zur eigenen) und durch Liebe zur Literatur (zur fremden und zur eigenen). Und weil man sonst nichts kann. Aber es gibt mittlerweile auch universitäre Ausbildungsgänge.

Was ist das Besondere an dieser Tätigkeit?
Daß jedes einzelne Buch das Besondere ist. Keines gleicht dem anderen (wie auch keine Übersetzung der anderen gleicht). Seltsamer Kontrast zwischen dem Mechanischen des Arbeitsablaufs (jeder Übersetzer ist eine kleine Wortfabrik) und der Entdeckung immer neuer Sphären und Galaxien.

Hatten Sie in Ihrer Berufslaufbahn besondere, unvergessliche Momente, von denen Sie mir berichten möchten?
Thessaloniki: die Überreichung eines goldenen Lorbeerkranzes zum Europäischen Übersetzerpreis Aristeion 1997 durch den bulligen Evangelos Venizelos, seinerzeit Kulturminister, in jüngster Zeit Finanzminister und damit einer der Politiker, die im Auftrag des internationalen Finanzmarktkapitals das griechische Volk ausrauben.

Welches Buch werden Sie als nächstes übersetzen?

Juliet Nicolsons historischen Roman „Abdication“ über die Liebesaffäre König Edwards VIII. mit Wallins Simpson.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen und den vielen anderen Übersetzern danken. Ohne Sie blieben mir viele Bücher unentdeckt! Gibt es eigentlich einen Übersetzerfeiertag?
Danke für den Dank! Mein Lieblingszitat in dieser Hinsicht ist der kluge Ausspruch des portugiesischen Romanciers und Literaturnobelpreisträgers José Saramago: „Der Autor schafft mit seiner Sprache nationale Literatur, die Weltliteratur wird von Übersetzern gemacht.“ Und ja, seit 1991 wird der 30. September als Internationaler Übersetzertag begangen. Es ist der Gedenktag des hl. Hieronymus, des großen Schöpfers der Vulgata, der am 30. September 420 in Betlehem starb.

Reizt es Sie nicht, einmal selbst ein Buch zu schreiben?
Nein. Diese Frage wird Übersetzern oft gestellt, weil man offenbar davon ausgeht, daß Übersetzen eine uneigentliche, sekundäre oder jedenfalls nicht ganz vollwertige, weil abgeleitete Tätigkeit sei. Die Übersetzung ist aber, mit Walter Benjamin gesprochen, eine eigenständige literarische Form. Übersetzer sind Schriftsteller, allerdings nur in dem Sinne, daß sie Spezialisten für Sprache sind. Wir erfinden keine Figuren, keine Schauplätze, keine Handlungen, wir bearbeiten keine Stoffe, wir setzen uns nicht mit Themen auseinander, wir erinnern uns nicht, wir beobachten nicht, wir fühlen uns nicht ein. Es fehlt uns an künstlerischer Imagination. Aber wir sind kreativ, denn wir schaffen ein sprachliches Gebilde, das es so noch nie gegeben hat, auch und gerade nicht in der Originalsprache. So konnte Friedrich Rückert schreiben: „Wer Philolog und Poet ist in Einer Person, wie ich Armer, kann nichts besseres tun als übersetzen wie ich.“ Den Stachel originärer Produktion verspüre ich nicht. Ich habe der Welt nichts mitzuteilen.

Die Klappentexterin dankt für das Interview und wünscht Hans-Christian Oeser weiterhin alles Gute und viel Erfolg.

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8 Gedanken zu „Hans-Christian Oeser über die Kunst des Übersetzens.

  1. buzzaldrinsblog

    Liebe Klappentexterin,
    danke für dieses großartige und sehr interessante Interview. Ich finde es gut und wichtig, Übersetzern und Übersetzerinnen mehr Aufmerksamkeit und eine größere Plattform zu geben und habe das Interview mit Hans-Christian Oeser mit viel Freude gelesen. Erst vor kurzem habe ich einen lesenswerten Artikel von Isabel Bogdan im Börsenblatt über die ‚übersehenen‘ Übersetzer gelesen, die ja in der Tat eine großartige Arbeit machen und eigentlich noch viel stärker gewürdigt werden oder im Fokus stehen sollten.

    Viele Grüße
    Mara.

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    1. Klappentexterin Autor

      Liebe Mara,
      du sprichst mir aus der Seele! Ja, das finde ich auch. Wir nehmen das irgendwie als selbstverständlich hin, dass die Bücher aus anderen Ländern für uns übersetzt werden und in unserer Sprache lesbar sind. Dass da aber noch ein Mensch dahinter steckt, der mit seinem Wissen und Gefühl das Fremde für uns vertraut macht, wird viel zu selten wirklich wahrgenommen, weil es eigentlich schon selbstverständlich ist, was es ja eigentlich nicht ist.

      Viele Grüße
      Klappentexterin

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      Antwort
  2. buechermaniac

    Grossartiges Interview und vor allem sehr beeindruckend, dass Hans-Christian Oeser so offen über seine Arbeit Auskunft gegeben hat. Du bringst es auch auf den Punkt: ohne die Arbeit der Übersetzer blieben uns Lesern doch viele Literaturperlen verwehrt. Auch wenn man eine Fremdsprache versteht, was wären beispielsweise die Werke von afrikanischen, asiatischen Autoren ohne deren Übersetzer? Wir würden sie nie für uns entdecken. Deshalb finde ich es ausgesprochen wichtig, dass auch Übersetzer gewürdigt werden.

    Liebe Grüsse
    buechermaniac

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    1. Klappentexterin Autor

      Merci, liebe buechermaniac! Wie bei Mara nicke ich dir zu, genauso und nicht anders. Ohne die Arbeit der Übersetzer wäre ich beispielsweise niemals in diese fantastische Murakami-Welt getaucht oder hätte so viele andere wunderbare Bücher gar nicht entdecken und genießen können, da ich auch viele fremdsprachige Autoren und Autorinnen lese. Diese Arbeit ist ebenfalls wichtiger Bestandteil im Literaturbetrieb und bedarf der Würdigung.

      Lieben Gruß,
      Klappentexterin

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  3. glasperlenspiel13

    Liebe Klappentexterin,
    die lieben Übersetzer. Ja, wenn wir sie nicht hätten! Ich musste dabei unweigerlich an Christina Viragh denken. Sie hatte sieben Jahre an dem letzten Roman von Peter Nádas (1.724 Seiten!) gearbeitet. Auch sie berichtete von einer Hassliebe und absoluten Erschöpfungsphasen.
    Vielen Dank für das interessante Interview.
    Lieben Gruß
    Die Bücherliebhaberin

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    1. Klappentexterin Autor

      Liebe Bücherliebhaberin, erst einmal ein großes WOW! 1.724 Seiten sind eine Menge. Man stelle sich das mal vor! Unglaublich und natürlich große Hochachtung vor dieser Leistung. Ich danke dir für diese Erwähnung und für deine Nachricht. Lieben Gruß, Klappentexterin.

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  4. lesesilly

    Liebe Klappentexterin,
    aufgrund Deines wunderbaren Berichts habe ich mich daran erinnert, dass ich unbedingt einmal Tom Sawyer und Huckleberry Finn lesen wollte. Sofort bin ich die Sache angegangen und habe ein tolles Wochenende mit Tom Sawyer verbracht. Ich habe die wunderschöne Ausgabe von Hanser, die zwar sehr teuer ist, aber sehr schön im Bücherregal aussieht (ich liebe Bücher mit diesen dünnen Seiten, die auch noch so gut riechen). Jetzt werde ich erst einmal Freundschaft mit Huckleberry Finn schließen.
    LG
    lesesilly

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    1. Klappentexterin Autor

      Liebe lesesilly,
      daran habe ich mich auch erinnert und werde dies gewiss bald nachholen. Ich freue mich sehr, dass du dies schon getan hast und so schöne Lesemomente hattest. Ich habe die beiden Knaben damals nur im Fernsehen erlebt und schäme mich ein bisschen für diese Bücherlücke, aber wie gesagt, ich gelobe Besserung. Ich wünsche dir weiterhin viel Freude mit Mark Twain! (Was für eine schöne Ausgabe!!) LG, Klappentexterin

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