Fremder Freund.

Manche Bücher haben es in sich. Sie sind so gewaltig, dass man am Ende atemlos ist und man sich erstmal sammeln muss. Was habe ich auch anderes erwartet, wenn es um existenzielle Fragen nach Freundschaft, Liebe, Sinn und Authentizität geht? Kuschelliteratur sieht anders aus. Wenn einen der Hunger darauf packt, sollte man das Buch aufschlagen und lesen wie ich es mit „In Spuren“ von Hannes Köhler getan habe.

Das Debüt von Hannes Köhler beginnt sehr radikal: „Und andere nehmen sich einen Strick und hängen sich auf, sagt Felix.“ Das ist der erste Satz, der die Kraft einer explodierenden Bombe hat. Peng! Kurz darauf geht er Kippen holen und kommt nicht wieder. Wer ratlos zurückbleibt, ist der Ich-Erzähler Jakob, der das gar nicht fassen kann und sich nicht damit abfinden will, dass sein Freund verschwunden ist. Aus Minuten werden Stunden, bald Tage, die Jakob zutiefst beunruhigen, was er so einfach nicht hinnehmen kann und begibt sich auf Spurensuche. Glücklicherweise hat Manja, eine Exfreundin von Felix, noch einen Zweitschlüssel und betritt mit ihm gemeinsam die Wohnung, dort entdeckt er ein Tagebuch, das ihn magisch anzieht. Er klappt es auf und stößt auf Dinge, mit denen er nicht gerechnet hat. Plötzlich wird aus einem guten Freund ein Fremder, der verwirrt, Unruhe stiftet und Jakob zutiefst in den Bann zieht, dass er eine Grenze überschreitet und sich Felix‘ Leben überstreift. Alles um Jakob herum fällt auseinander, er liest sich in einen Wahn und denkt sich in einen Rausch, der sein eigenes Leben in ein fahrendes Karussell verwandelt. Es dreht sich und Jakob schaut betroffen zu. Statt zu treten, resigniert er bald und ehe er sich versieht, wird aus einer züngelnden Flamme ein Haufen Asche.

Die Geschichte ist starker Tobak, weil sie Dinge in Frage stellt, die uns Menschen bewegen. Wie viel wissen wir wirklich von den Freunden, die uns nahe stehen? Wo ist die Wahrheit? Hängt nicht irgendwo vielleicht ein Echo in der Luft, das wir überhört haben? Oder unser Leben selbst. Ist es das, was wir wirklich so wollen wie es ist? Was ist wichtig und was nicht? Eine lange Schnur an Fragen bohrt sich durch den Kopf und lässt nicht locker.

Hannes Köhler fordert seine Leser heraus und fängt sie durch die Sprache, die für mich etwas Dämonisches in sich hat und perfekt in die düstere Stimmung hineinpasst. Ein hungriges Tier macht sich breit und saugt bis es fast satt ist, doch nur fast, weil immer noch ein Stückchen Luft dazwischen bleibt. Die atmosphärisch-dichte gefühlvolle Sprache lässt nicht locker, viel mehr ist sie ein kraftvolles Element, die das Buch zu dem macht, was es ist. Ein Hauen, ein Stechen, aber auch ein Wispern hängen sich in die Augen, dass man nicht anders kann, als zu lesen, solange bis man nach Luft schnappt.

Hannes Köhler.
In Spuren.
April 2011, 232 Seiten, 17,90 €.
mairisch Verlag.

Mit dem Roman ist hier erst einmal Schluss, doch mit Hannes Köhler geht es am Samstag weiter. Dann kommt er in einem Interview bei mir zu Wort.

8 Gedanken zu „Fremder Freund.

  1. SalvoSchreibt

    Ich schließe mich Annegret an. Klingt sehr interessant! Wenn ich das Buch im Geschäft entdecke, werde ich mal reinlesen. Vorausgesetzt sie haben es im Sortiment… was bei Indipendent Veröffentlichungen ja leider nicht immer der Fall ist. Es ist schön zu sehen, dass du auf deinem Blog talentierte junge Literaten vorstellst.

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  2. klappentexterin Autor

    Ich bin erfreut, dass ich bei euch das Interesse für den Roman geweckt habe. Und ich drücke die Daumen, dass ihr das Buch auch ganz bald in die Finger bekommt. Danke SalvoSchreibt für deine Rückmeldung! Wie gesagt, es ist mir eine Ehre und ich habe großen Hunger nach junger Literatur, der noch nicht gesättigt ist.

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