Nach der Lektüre hatte mich eine Unruhe gepackt und ich bin wieder einmal erstaunt, was Literatur mit einem anstellen kann. Dafür braucht sie nicht immer hunderte von Seiten, auch in wenigen können wir uns verlieren. So ist es mir bei der Novelle „Andosina“ von Annina Luzie Schmid ergangen.
Die Ich-Erzählerin studiert in London und wohnt mit sechs Leuten im 14. Stock eines Hochhauses. Der Ausblick von da oben ist unendlich und man kann sogar die Themse sehen, „wie sie die Sonne verschluckt.“ Täglich kreuzen sich auf der Etage die Wege der verschiedenen Menschen. Da ist Marlene, die das einzige Telefon nur für sich in Beschlag nimmt. „Sie spricht eine seltsame Sprache, als läg ihre Zunge im Weg, viel zu schnell dafür eigentlich, Aussagenhindernislauf.“ Oder Ines, die Spanische „mit diesen riesigen Ohrringen.“
Das Leben der jungen Frau fließt vor sich hin und hat etwas von der Themse, die sie aus ihrem Zimmer sehen kann. Immer dann, wenn ich mich fast in der Leichtigkeit verliere, überrascht mich eine Tragik. Ein Schmerz, ein Zweifel, ein schiefer Gedanke und ich bleibe stehen. Eindrucksvolle Fragmente fliegen wie Vögel aus der Geschichte hinaus. Man segelt durch die Luft, sieht die grüne Themse und möchte nur kurz hineinspringen, um seinen erhitzten Kopf abzukühlen. Ich denke da an eine kurze Szene. Die Studentin erzählt von einem Vorstellungsgespräch. Der neue Chef fragt die junge Frau, wann sie das letzte Mal etwas Großes geregelt hat. „Mein Leben, denke ich, an jedem gottverdammten Tag. Es ist diese seltsame Sorte der Einsamkeit.“ Die beiden Sätze sagen nicht nur viel, sie tragen auch den Grundton der Geschichte auf jedem einzelnen Buchstaben. Leichtfüßig, frech, nachdenklich und suchend bewegt sich unsere Heldin durch das Leben in dem fremden Land. Sie ist hungrig wie der große Fluss, den sie täglich sehen kann. Im Herzen trägt sie eine Melancholie. So eine, die was von einsamen Strandspaziergängen hat. Es ist ruhig und gleichzeitig bohrt sich etwas Gewaltiges an die Oberfläche. Wie laut Stille sein kann, zeigt uns dieses literarische Werk der jungen Autorin ganz deutlich.
Normalerweise sind die Geschichten, die ich lese in Büchern verpackt. Diese hier macht eine Ausnahme. Annina hat damals von einer Agentur eine Absage erhalten, weil die Novelle für ein Buch zu kurz war. Sie hätte für einen Druck noch Erzählungen ergänzend dazu geben müssen. Das wollte sie nicht. Nun vertreibt sie ihre Novelle so für 2 €, und ist damit zufrieden.
Annina Luzie Schmid.
Andosina.
2008, 42 Seiten, 2 €.
Zu erwerben hier: www.anninaluzieschmid.net/Andosina.html
Die Klappentexterin ♥ Annina Luzie Schmid
Annina Luzie Schmid habe ich durch meinen Blog kennengelernt. Ich schätze Anninas aufgeweckten und neugierigen Geist. Bisher kannte ich nur ihre Blogs GIRLS CAN BLOG und Words On A Watch. So trug mich meine Neugier zu ihrem Debüt.
Über die Autorin:
Annina Luzie Schmid wurde 1983 in Zürich geboren. Sie betreibt die Blogs GIRLS CAN BLOG (seit 2010) und den Litblog Words On A Watch (seit 2007). Zudem ist sie Gründerin von DIE FREIE LANZE ® und die Gewinnerin des FM4 Wortlaut Preises 2007. Annina veröffentlicht in diversen Magazinen. Gedichte und Kommentare sind online erhältlich zum Beispiel bei Lyrikmail, Lyrikkritik.de, und Fixpoetry.
Liebe Simone, ich danke Dir sehr für diese wunderbare Rezension und das äußerst nette Kompliment am Ende, das ich uneingeschränkt zurückgeben kann! Wie schön, dass wir uns kennenlernten!
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Liebe Annina,
den Dank kann ich nur zurückgeben: Für die schönen Lesemomente und deinen Kommentar.
Viele Grüße
Klappentexterin-Simone
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