Manchmal kann man nur schweigen.


Die Vergangenheit hockt wie ein Schatten die ganze Zeit in der Brust. Tiefes Atmen fällt schwer, flaches um so leichter. Dennoch ganz frei wird es nie bei den Menschen sein, die der hässlichen Fratze des Krieges in die Augen geschaut haben. Wie schwer Vergangenes sein kann, weiß ich nun durch Jack Hamesh. Er hat mit seinen Briefen an Ingeborg Bachmann ein klares Bild gezeichnet:

„Sie alle können nicht mehr froh werden, man versucht zu vergessen, vertieft sich ins Schweigen und vergräbt sich so umso mehr ins Vergangene unvergessliche.“

Die beiden lernen sich im Büro des Field Security Section kennen, als Ingeborg einen neuen Ausweis beantragen will. Dort fragt Jack, ob sie Mitglied im „Bund deutscher Mädel“ war. Er fragt sie gar nicht, sondern stellt es fest. Schlecht ist ihr dabei, keine Kraft hat sie und nickt nur stumm, obwohl es gar nicht stimmt. Einige Tage später treffen sich beide wieder und die Stimmung ist viel gelöster. Aus einem kurzen Gespräch entwickelt sich eine tiefe Beziehung.

Als ich das Buch gelesen habe, war es grau vor den Fenstern und viel zu kalt für den Mai. Die Teetasse dampfte, versprach mir Halt. Hier und da ein Schluck an Zuversicht. In dieser schmalen Lektüre steckt so viel mehr drin als es zunächst den Anschein erweckt. Ich spreche von den Gedanken, Schilderungen und Gefühlen. Tatsächliche 108 Seiten, gefühlte 500 Seiten.

Man lernt die junge, aufgeweckte Ingeborg kennen. Mutig sitzt das Mädchen während des Krieges im Garten und liest. Wenn schon sterben, dann draußen und nicht im muffigen Keller. Ebenso beeindruckend sind Jacks Briefe an seine Freundin, in denen er zunächst nur berichtet und ihr sagt, dass er sie vermisst. Der Ton ändert sich, als Jack seine Uniform als britischer Soldat abgibt und sich im damaligen Palästina einlebt. Stück für Stück öffnet er seine Tür. Wir schlüpfen hinein und lauschen: Er beschreibt seine Ängste, verarbeitet die Vergangenheit. Dabei sehnt er sich mit einem unstillbaren Lebensdurst nach so viel, dass man den Geschmack frischer Zitronenlimonade auf der Zunge schmeckt. Das ist die eine Seite.

Die andere berührt. Sie treibt den letzten Rest Wärme aus dem Körper. Selbst die Teetasse kann nicht vorm inneren Zittern bewahren. Ich musste aufstehen, zum Himmel schauen und konnte erst danach wieder weiterlesen. Selten habe ich ein so bewegendes Zeitdokument gelesen. Es ist in einem grauen Buchschutzmschlag eingeschlagen. Grau wie dicke Wolken, die den blauen Himmel verstecken und uns die Sprache rauben. Manchmal kann man einfach nur schweigen. Wie bei diesem Buch.

Kriegstagebuch: Mit Briefen von Jack Hamesh an Ingeborg Bachmann.
Ingeborg Bachmann.
April 2010, 108 Seiten, 15,80 €.
Suhrkamp Verlag.

2 Gedanken zu „Manchmal kann man nur schweigen.

  1. Karin

    … so schön geschrieben von dir!

    Das schmale Bändchen habe ich vor gut einer Woche gelesen und wollte immer noch etwas dazu schreiben. Aber ich fand die Worte nicht. Du hast sie im Schweigen aufgefangen.

    Beeindruckt haben mich die Eigenwilligkeit und Entschiedenheit der jungen Ingeborg Bachmann, sich einer menschenverachtenden Ideologie und dem Kriegsgeschehen zu verweigern. Unglaublich ist dieser schlichte, aber so ergreifende Satz: „Ich habe mir fest vorgenommen, weiterzulesen, wenn die Bomben kommen.“ (S. 11)

    Traurig, dass wir von Hamehs weiterem Leben nichts weiter wissen.

    Danke dir für die sehr schöne, informative und stimmungsreiche Rezension! Ein Freude für mich zu lesen…

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  2. klappentexterin Autor

    Liebe Karin,
    danke für deinen wunderbaren Kommentar, der den Artikel würdevoll ergänzt und freue mich, wenn ich dem Schweigen eine kleine Stimme geben konnte. Ich finde es ebenso schade, dass man von Jack Hamesh nicht mehr weiß. Aber schön, dass Ingeborg so einen wunderbaren Menschen an ihrer Seite hatte.

    Lieben Gruß

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